Leider nicht schwul

“Der fünfundsiebzigste Gangsta-Rapper mit seinem scheiß Autotune ist belastend” – Juicy Gay im Interview

Juicy Gay ist ein Phänomen, seine Songs und Videos übergrell. Das ist Cloud-Rap, das ist die ganz neue Zeit im Game. Wem das alles too much ist, den bitten wir, einfach nach hinten in die Nick-Cave-Lounge zu gehen und sich kurz abzulegen. Der Rest kann weitermachen und unserem brandneuen Autor RINKO HEIDRICH lauschen. Der hat sich nämlich eine Begegnung mit Artur alias Juicy Gay herbeigeführt. Hier kommt sein Text.

Ich schaue in den Spiegel und sehe das Grauen. Müde, abgeschlafft und jetzt auch noch graue Haare. Wie konnte es nur so weit kommen? Und, viel wichtiger: Lässt sich das ändern? Während ich mir umständlich den Rücken mit Franzbranntwein einreibe, erwacht in mir ein Plan: Ich werde mich vong Swag her an die Jugend ranschmeißen und an ihrem frischen Blut nähren. Da Moneyboy (eigentlich selbst schon über dreißig) bereits seit Jahren mit seiner Glo Up Dinero Gang die Jugendsprache prägt, erscheint mir eine schamlose Ranwanzung hier zunächst am sinnvollsten. Da der Boy allerdings heftig über die Grenzen am been ist und seine Knaben Hustensaft-Jüngling und Medikamenten-Manfred doch ziemlich unterhalb der Sympathiegrenze fahren, fällt mir ein Phänomen ein, das ich schon länger beobachte: Juicy Gay. Nein, das ist nicht die neue Modedroge der schwulen Clubszene, sondern Arthur Rudt, der sich vor ein paar Jahren ein schwules Rapper-Alter-Ego zugelegt hat, dafür von der Presse mit viel Aufmerksamkeit belohnt wurde und dann später etwas zerknirscht zugab, dass er eigentlich hetero ist.

Die Idee, eine Szene mit ihren eigenen Phobien zu schocken, hatten auch schon die schwedischen Rocker von Turbonegro, als sie ein queeres Image erschufen und mit Homo-Sex-Phantasien den Machismo des Rock wortwörtlich von hinten nahmen – dabei aber stets die Regeln des breitbeinigen Rock’n’Roll befolgten. Leider machten homophobe Aussagen einiger Bandmitglieder das Bild einer idealistischen Punk-Band kaputt; das Bild einer dumpfen Schock-Rock-Show, die sich über Klischees eher lustig macht, als sie zu brechen, bleibt. Auch Juicy Gay und sein seelenverwandter Produzent Asadjohn spielen erst einmal die Regeln des HipHop-Game, brechen sie aber auch ironisch gekonnt und  ihre Haltung ist, wir mir Juicy versichert, eindeutig pro homo. “In Deutschland ist eben so, dass es noch homophobe Rapper gibt, und daran kann ich auch leider nichts ändern. Wenn sich jemand wie ILoveMakonnen in den USA outet, dann stehen da alle hinter – hier aber leider nicht. Mir haben Fans geschrieben, dass sie sich wegen mir geoutet haben.” Wenn der Fokus auf sein vermeintlich schwules Image gelegt wird, nervt ihn das eher ab, sagt er, aber wer es unbedingt in die Headline hauen möchte, soll es eben tun. “Hauptsache sie beschäftigen sich dann mit meiner Musik.”

Juicy Gay ist das schrille Image, Arthur Rudt ein wirklich am Boden gebliebener Zwanzigjähriger, der gerade seine Ausbildung beendet. Den ersten Skype-Interview-Termin verpennt er erst einmal sympathisch, und entschuldigt sich dann beim zweiten und erfolgreichen Versuch ausgesprochen höflich dafür. Da sitzt keine schrille Kunstfigur, sondern ein mittlerweile blondierter junger Mann, der sehr herzlich über seine Familie spricht und seinen Labelchef Michael “Ed” Brähne sehr lobt. Der Chef von WSP Entertainment (Schote, HH) ist sein Mentor und väterlicher Kumpel, gerade wenn es Juicy mal wieder nicht schnell genug gehen kann mit dem Erfolg. Die unangenehmen Seiten des Erfolgs hat Arthur auch schon kennengelernt, als er mit einem Fernsehteam eher merkwürdige Erfahrungen machte. Ob er sich denn nicht vorstellen könne, für eine bekannte Softdrink-Marke zu werben, wurde er gefragt. “Das war schon belastend. Die haben sich kaum für mich interessiert oder mal vorher informiert.”

Ebenfalls belastend und bedrückend kann die Enge einer Kleinstadt sein, mit neugierigen Nachbarn und Straßenflurfunk. In einer Reportage mit dem Splash Mag gab Juicy zu erkennen, dass es ihm in seiner Heimat Borken wohl doch so langsam zu eng und zu klein wird. Mir liegt fast der Titel “Smalltown Boy” auf den Lippen, aber das Gay-Thema wollten wir ja ruhen lassen. Fakt Ist: “In Borken kennt mich als Juicy Gay keiner! Ich war sogar letztens in der Borkener Zeitung, im Rahmen eines Berichts über das Juicy (sic!) Beats Festival, und die wussten noch nicht einmal, dass ich aus Borken stamme. Früher, als ich 13/14 war, habe ich unter dem Namen ‘Kellerkind’ gerappt, davon kennen mich die Leute hier noch, aber nicht die neuen Sachen – die sind für die wohl nicht so zugänglich wie meine alten Sachen. Wenn ich auf dem Schützenfest auftauche, rufen die random dudes immer noch meinen alten Künstlernamen, das ist echt komisch.”
Mit 15 hat er das Electro-Album “Time To Make This” veröffentlicht, das sogar auf Spotify zu finden ist. Die Minimal-Electro-Tracks fanden damals so viel Anklang, dass sich der Regisseur Hannes Stöhr meldete und Arthur fragte,  ob er die Tracks eventuell für den Nachfolger seines Films “Berlin Calling” verwenden könne. “Das war komplett surreal. Er hat sich aber nicht mehr gemeldet.” Ein großes Seufzen um die verpasste Chance oder Verbitterung sind nicht zu vernehmen Es entsteht während des Interviews eher der Eindruck, hier einen Menschen zu erleben, der für sein Alter ziemlich im Reinen mit sich ist und ausgesprochen gechillt den Dingen entgegensieht, die da kommen. Als ein paar Tage später ein “Glo Up Dinero Gang”-Mitglied in einem Video zwei Uhren trägt, was man als Diss gegen Juicy Gays Track “2 Uhren” verstehen könnte, kommt auf eine diesbezügliche, das Interview ergänzende Frage keine brauchbare Antwort. Scheint alles easy.

Wäre ja schön, wenn alles so friedlich ablaufen würde, wie bei ihm und seinem Umfeld. Die Wurzeln von Juicy und seinem Kumpel Asadjohn liegen in Usbekistan und Kasachstan – zwei Länder, die wegen irgendwas einen Konflikt haben. Das kann man sich bei den beiden nicht vorstellen; sogar Oldschool-Legende Torch, das Hassobjekt der zweiten Welle des Deutschrap, bekommt allergrößten Respekt. Und nicht nur er: “Fetten Shoutout an Toni L., er ist der Beste! Ohne Scheiß, ich dachte er ist ein Alien, und dann habe ich ihn backstage gesehen, wie er sich konzentriert vorbereitet und dann seine Roboter-Moves auf der Bühne macht. Ich habe mich kaum getraut, ihn anzusprechen und richtig krassen Respekt vor ihm, auch wenn ich mich in ein paar Tracks lustig über ihn gemacht habe. Live waren die richtig krass. Schreib: ‘Respect an Toni L. und Torch!’.”

Mit Understatement erreicht man doch nichts. Ich spreche Arthur auf sein neues Mixtape/Fast-eher-Album “Hallo, wie geht’s?” an. Hier lässt er seiner Kunstfigur freien Lauf, die Beats böse dröhnend, die Ansprache härter als bei seinen vorigen Songs. Der Junge, der einem da auf dem Skype-Screen wirklich ausgesprochen nett begegnet, entwickelt sich zum blondierten Berserker. Mein Eminem-Vergleich (Ja, den kennt Opi!) stößt auf ein unterkühltes “Hm, ja, der war früher schon cool, die letzten Sachen sind aber schon whack.” Der Vergleich des Intros mit Kanye Wests “Yeezus” führt allerdings zu einem breiten, strahlenden Grinsen.

“Ich höre da alles. Russland, Deutschland, Frankreich. Ich nehme zwar auch Afro-Trap aber HWG ist absolut mein Juicy-Sound und das möchte ich auch weiter ausbauen. Asadjohn hat das von Anfang an so eingefädelt, dass wir nun Juicy Gay 2.0 machen. Puh, ich will mich da nicht selber loben, aber ich finde schon, dass alleine meine Stimmfarbe schon relativ einzigartig in Deutschland ist, und dass ich eine Marke bin. Der fünfundsiebzigste Gangsta-Rapper mit seinem scheiß Autotune ist dagegen wirklich belastend. Ich finde Grime auch richtig toll, oder Afro-Trap. In Amerika ist ja Trap schon der normale HipHop-Standard-Sound und mittlerweile vollkommen im Mainstream angekommen. Das Besondere, was wir vor drei Jahren gestartet haben, ist mittlerweile nicht mehr so krass. Im Gegensatz zu anderen Künstlern könnte ich ja alles machen, selbst Schlager.”

Könnte hier die Ablösung des deutschen Gangsta-Rap stattfinden? Bushido hat schon wieder seine Promo-Maschine mit Provokationen und Deluxe-Box-Anpreisung angeworfen, Frisur-Ikone Rooz sich vom Deutschrap-Verkaufs-Sender hiphop.de mal wieder auf ein Käffchen einladen lassen. Es wirkt so alterswelk, wenn sich diese Enddreißiger-Business-Menschen gegenseitig auf die Schulter klopfen. Die frischen Newcomer wie Hayiti, Juicy, Asadjohn oder auch ein MC Smook stehen bereit, aber wollen anscheinend noch nicht. Oder doch? “Schreib: ‘Kool Savas ist vielleicht der King of Rap, aber eigentlich bin ich das! Ich bin vielseitiger als er. Ich bin der Krasseste! Aber: no front, also Respekt an Savas!'” Fast hätte ich mit einem fetten Diss abschließen können, aber das breite Grinsen lässt mich zweifeln. Ach, diese höflichen jungen Menschen. Ich schaue mir das neue Eminem-Video an. Er wirkt müde, abgeschlafft und hat ohne Blondierung bestimmt sogar graue Haare.

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