Record of the week

Hot Chip „Why Make Sense?“

Cover Hot ChipHot Chip
„Why Make Sense?“
(Domino)

Als ich vor ein paar Wochen zum ersten Mal „Huarache Lights“ von Hot Chip hörte, dachte ich, dass der Song von einer aztekischen Stadt handelt, in der vor über 500 Jahren prä-Berghainische Tanznächte abgehalten wurden. Und weil ja niemand wirklich etwas Gegenteiliges behaupten kann, feiern Hot Chip diese untergegangene Clubkultur und natürlich auch die Beleuchtung, die den Azteken bestimmt ganz wichtig war. Sonnenkulte, sowas in der Art.

Etwas enttäuscht war ich dann schon, als ich erfuhr, dass Huarache Lights Sneaker von Nike sind, die Hot Chip gerne tragen. Turnschuhe also, nach wie vor bedeutende Distinktionsobjekte für Bart-Hipster – und bartlose Popnerds wie Dan Snaith (Caribou) und Alexis Taylor (Hot Chip), die ich aus verschiedenen Gründen (Stimme, Pullover) schon öfter verwechselt habe. Hoffentlich trägt Snaith keine Huaraches, deren Name übrigens auf mexikanische Hippie-Sandalen verweist, womit der Kreis zu den Azteken ja beinah geschlossen ist.

Wo war ich? Ah richtig, „Why Make Sense?“, Hot Chips sechstes Album in fünfzehn Jahren Bandgeschichte erscheint in diesen Tagen und ich mag es genauso wie die fünf Platten davor. Was nicht heißen soll, dass es genauso klingt wie die anderen fünf, aber eben ähnlich. Hot Chip erkennt man sofort, nicht zuletzt an Taylors Sanso-Stimme (es sei denn, man verwechselt sie mit jener von Snaith), wobei die Londoner diesmal ihren freundlichen Trademark-Sound beherzter variieren, „Why Make Sense?“ traut sich einiges mehr als zum Beispiel „One Life Stand“ von 2010, das ganz im Zeichen von 70er-Jahre-Disco stand – diese spielt zwar auch 2015 eine wichtige Rolle bei Hot Chip, aber nicht mehr so durchgängig und glatt: Der analoge Titeltrack scheppert und schlingert, und Taylors Stimme klingt wie Andy McCluskey von OMD. Bei „I Need You Now“ singt Taylor gleich gar nicht, man hört dafür ein dreißig Jahre altes Sinnaman-Sample. „Love is the Future“ ist Hot Chips Hommage an die Neunziger, inklusive Gastauftritt von De La Soul’s Posdnuos und Green Gartside als Arrangeur, die Balladen „White Wine and Fried Chicken“ und „So Much Further to Go“ sind arg adult orientated, aber schließlich stellen sich Hot Chip auf diesem Album die ganz großen Fragen:

Können wir noch Clubmusik machen oder sind wir zu alt?

Gibt es inzwischen Maschinen, die besser sind als wir?

Sollen wir weiter Sneaker tragen?

Keine Sorge, klopft man ihnen auf die intarsiengemusterte Strickpullischulter, immer nur weiter so, und tanzt zum cheesy Funkbeat von „Started Right“ davon.
„Huarache Lights“ handelt übrigens vom Anziehen fürs Ausgehen und vom Tanzen, also nur mittelbar von Turnschuhen, und mit einem Stück wie diesem kriegen sie mich immer wieder rum.
Christina Mohr

Es ist mir klar, dass die „die erste Platte war immer noch die beste“-Attitüde einem die unsexy Aura eines missmutigen doktrinären Plattenhändlers verleiht. Aber ich kann es in diesem Fall nicht ändern. Nach der ersten, oder nein, seien wir nicht nerdiger als der Nerd, nach den ersten beiden Platten, mit denen ich sehr heiß sympathisierte, ist irgendwas zerbrochen bei Hot Chip oder bei mir oder zwischen uns. Etwas, nicht alles. Wenn eine neue Single im Radio läuft, freue ich mich, und immer noch bewundere ich ihre Einfälle und ihr Know How, aber eine gewisse Müdigkeit hat sich in die Freude geschlichen, eine gewisse Kälte in die Bewunderung.

Nun kann man sagen, ist ja normal, dass die Euphorie des ersten Kennenlernens verfliegt und die Schaffenskraft leicht erschlafft, aber in diesem Fall ist es eventuell noch was anderes. Vielleicht hat der Erfolg ganz speziell dieser Band nicht richtig gut getan, vielleicht hätten ihre Mitglieder nie erfahren dürfen, wie gut sie sind. Es scheint als wären sie dadurch gleichzeitig zu selbstbewusst und zu eingeschüchtert geworden. Es fehlen im Gegensatz zu früher sowohl der Charme der kleinen Geste als auch die genialische Unverschämtheit des Konventionsübertritts. An deren Stelle trat eine sehr ausgecheckte Gefälligkeit.

Wem die gefällt, der wird auch mit „Why make Sense“ sehr zufrieden sein. Meiner Urteilskraft entzieht sich die Platte und hält mich in ungewohnter Unentschiedenheit gefangen. Immer wenn ich mich entschließen will, sie gut zu finden, drängt sich ein Eindruck der Leere dazwischen; will ich aber mit ihr fertig werden und sie für ein schwach motiviertes, zu Tode kontrolliertes Machwerk halten, fesseln mich plötzlich die warmen, wohlgesetzten Synthies, reißen mich die Melodien mit und ich denke ich höre perfekten Pop. Stabil bestehen bleiben nur wenige Einschätzungen.

  1. Die Härte und Wonkyness des Titelstücks ist interessant.
  2. Das Schlagzeug ist meistens langweilig.
  3. Phantasien über Funk stehen Hot Chip, wie „Started right“ beweist, immer noch sehr gut. Das Stück hat außerdem mit „You’re making my heart feel like it’s my brain“ die denkwürdigste Textzeile. Beschreibt, so fragt mein vom Hören schon ganz verhirntes Herz sich, sich die Platte in diesen Worten vielleicht selbst?

Jens Friebe

 

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