Record Of The Week

Nick Cave & The Bad Seeds “Skeleton Tree”

gallery-1464874465-nick-cave-skeletonNick Cave & The Bad Seeds
“Skeleton Tree”
Bad Seed Ltd. / Rough Trade

Nick Caves neues Album steht im engen Zusammenhang mit dem Tod seines Sohns Arthur, der letztes Jahr in Brighton bei einem Sturz von den Klippen ums Leben kam. Düstere, erstarrte Soundscapes, die emotionale Anspannung widerzuspiegeln scheinen, wechseln sich auf „Skeleton Tree“ ab mit sakral-balladeskem Material, das die Spannung nie wirklich löst, aber zugänglicher, erträglicher macht. In einem ähnlichen Spannungsverhältnis steht Nick Caves Vortragsstil, der sich hier zwischen metrisch freiem Sprechgesang und einer Form von Gesang bewegt, die unmittelbar beseelt anmutet. Caves Gestus entfaltet vor allem dadurch dramatisches Potenzial, dass die Wörter immer wieder quer stehen zur Musik, die sich in einer anderen Zeit und an einem anderen Ort zu befinden scheint als der Sänger. Ein ums andere Mal entziehen sich Cave die Songs. Beim Hören des Albums wird man Zeuge davon, wie der Sänger versucht, die Musik einzuholen und es auch immer wieder schafft, seinen Platz in ihr zu finden, wenn auch nur als transitorischer Reisender. Diese Momente des ausgestellten Kontrollverlusts und des Außersichseins bringen eine Intensität hervor, die extreme Nähe etabliert. Die Art, wie in „I Need You“ gesungen wird, ist unmittelbar berührend und völlig entwaffnend. Indem Caves Gestus die semantisch verbrauchten Wörter mit einer erhabenen Qualität ausstattet, werden alle existierenden Poplyrik-Klischees transzendiert. In dieser Hinsicht entspricht „Skeleton Tree“ auch einem Triumph der Sublimierung.

Natürlich ist es nicht unproblematisch, diese Platte zu hören – man wähnt sich manchmal in der Nähe von Gaffern bei einem Verkehrsunfall. Es stellt sich die Frage, ob erst jemand sterben muss, damit einen Musik bewegt. Ein furchtbarer Gedanke. In den frühen 70ern sagte Keith Richards in einem Interview mit Nick Kent, Bob Dylan müsste sich in eine emotional verletzliche Lage bringen, um wieder so großartige Platten zu machen wie in den mittleren 60ern. In dem die Aufnahme von „Skeleton Tree“ dokumentierenden Film „One More Time With Feeling“ verwahrt sich Cave gegen die These, dass eine traumatische Erfahrung dem kreativen Prozess zuträglich sei. Tatsächlich sollte man nicht vergessen, dass es sich trotz aller aus dem Leben abgeleiteten Trauerverarbeitung auch bei dem hier vorliegenden Album um Kunst handelt, der ein Modus der Fiktionalisierung zugrunde liegt (darauf weist auch der Abspann des Films hin). Auch wenn man schon nicht mehr nur in der ersten Reihe zu sitzen scheint, sondern auf dem Schoß des Sängers.
Mario Lasar

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