Record of the week

Spectre „Ruff Kutz“

Cover Specre

Spectre
„Ruff Kutz“
(PAN)

Es soll wirklich schon mehr als 15 Jahre her sein, seitdem wir den düsteren Beats des Brooklyner Word Sound Kollektivs verfallen sind? Ein seltsames Gefühl, wenn das, was einem noch als contemporary vorkommt, bereits historisierend aufbereitet wird.

Aber seien wir dankbar, dass sich PAN überhaupt dieser Aufgabe angenommen und in den Word-Sound-Archiven dieses HipHop-Mixtape von Skiz Fernando Jr. (aka Spectre) ausgegraben hat.

1998 lediglich auf Tape erschienen, entführt uns die zweiteilige (jeweils circa vierzigminütig) Soundcollage, denn so muss man diesen verflechtenden Stil nennen, mit dem Fernando Songs, Samples und Geräusche verwebt, zurück in die Heydays des Labels und Sounds. Experimenteller HipHop und Dub waren damals so hip, dass The Wire gar mit Illbient ein Subgenre aufmachte und damit den kranken Charakter – eine Zuschreibung, die jemand mit Deleuze und Derrida Hintergrund mal für eine Abhandlung angehen sollte – hervorstellte. Irgendwo in diesem verführerisch eklektischen Sound von Fernando finden sich jedenfalls Songs, Remixe, Edits oder andere Fetzen von Leuten wie Kevin Martin, den Jungle Brothers, Sensational, Professor Shehab und Bill Laswell, die alle damals eng mit Word Sound assoziiert wurden.

Man kommt nicht umher, „Ruff Kutz“ 2015 im Kontext der gewagten Soundarrangements von D´Angelo und Kendrick Lamar zu lesen – nur dass eben Word Sound primär ein Dub Label war und sich HipHop via langsamen Breakbeats und Noise genähert hat, während die beiden HipHop gen Soul, Funk und Jazz aufbrechen. Aber sie eint der Wille, die Dinge zum verschmelzen zu bringen, Zäune weich zu brettern und Sicherheiten auszublenden.

Mal sehen, ob Fernando mit der Wiederveröffentlichung aus dem Schatten der Geschichte hervortritt. Er war ja damals schon eine spezielle Gestalt, lebte sich hier und dort durch und organisierte Word Sound und seine eigene Künstlerkarriere von einer öffentlichen Telefonzelle in Brooklyn aus.
Thomas Venker

Bass kann Leben retten. Ganz im Ernst. Erst kürzlich haben zwei Studenten der George Mason University in Fairfax einen wirksamen Feuerlöscher entwickelt, der Brände nicht mit Wasser, sondern mit extrem tiefen Bassfrequenzen löscht. Die beiden angehenden Ingenieure planen in Zukunft mit Monsterbässen bewaffnete Drohnenschwärme über Waldbrände fliegen zu lassen, um die Feuerkatastrophen einfach wegzupusten.

Superidee, Jungs! Ich hoffe ihr kriegt den Nobelpreis.
Einen Vorschlag mit wessen Sound ihr eure Drohnen bestücken solltet, hätte ich auch schon: nehmt Spectre! Dieser unheimliche Typ, der sich auch gerne The Ill Saint nannte, schaffte es Mitte der 90er in  Brooklyn einen einzigartigen Sound zu erschaffen, der das Prinzip Dub in absurd düstere und tieffrequente LoFi-Gefilde führte, in denen teilweise auch noch einige der verstörendsten Rapper überhaupt lauerten. Vor allem mit Compilations wie der großartigen „Crooklyn Dub Consortium“-Reihe erschuf Spectre eine eigensinnig kaputte HipHop Ästhetik, die mühelos den Bogen von extrem bedrohlich zu absurd komisch schlug.
Das PAN Label widmet diesem Pionier nun ein Doppelalbum und bringt damit echtes Gold ans Licht. Ein Mixtape, das Skiz Fernando Jr., so der bürgerliche Name Spectres, 1998 ausschließlich auf Kassette veröffentliche. Im Stil einer Radiosendung präsentiert Fernando hier, mit der für ihn typischen runtergepitchten Stimme, einige der besten Tracks aus dem Katalog seines Labels Word Sound. Mit dabei unter anderem der manisch produktive Bassist Bill Laswell (mit dem Fernando die großartige Supergroup Dubadelic bildete), der Produzent Dr. Israel (der neben Fernando den größten Einfluss auf den Stil von Word Sound hatte) und Rapper wie der offensichtlich vollkommen verrückte Sensational, von dem ich persönlich weiß, dass er Spaghetti mit bloßen Händen isst.
Zu begrüßen ist die Entscheidung des PAN Labels, Fernandos Mixtape zwar erstmals einem Mastering zu unterziehen, es aber dabei nicht in einzelne Tracks aufzuspalten. Passend zum spartanischen Stil des Word Sound Labels gibt es also nur die Seiten I. und II. Skippen geht nicht. Es wäre angesichts dieses wegweisenden Materials auch Frevel.
Martin Riemann

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