Record of the Week

Stabil Elite “Spumante”

Stabil-Elite-'Spumante'-(Italic-Recordings)Stabil Elite
“Spumante”
(Italic Recordings)

Dieses neue Album von Stabil Elite aus Düsseldorf gehört zu den überzeugendsten und aufregendsten Simulationen des süßen Lebens und 80er Glamour, die ich seit langem gehört habe (ich hatte die Band bislang nur am Rande beachtet, ihre ersten beiden Veröffentlichungen von 2011 und 2012 waren an mir vorbei gegangen). Wie immer wenn es um Simulation geht, ist der Gegenstand, der simuliert wird, abwesend. Dieses Prinzip wird sehr schön illustriert vom Coverfoto, das mit Spiegelungen arbeitet, in denen sich die Umrisse der Musiker subtil brechen (man muss allerdings schon genau hingucken). Das Subjekt, die 80er und der Glamour sind immer schon woanders, daher kann ihnen die Musik auch stets nur auf der Spur sein. So stellen die Sounds auf dieser Platte eine 80er-Jahre-Ästhetik nach, die eine Zeit vergegenwärtigt, zu der kein unmittelbarer Zugang mehr besteht. Daraus resultiert eine unerfüllte Sehnsucht, die Stabil Elite mittels musikalischer Gesten inszenieren, in denen sich unterkühlte Distanz und der darin eingelassene Wunsch nach Nähe vermischen. Passend dazu bewegt sich auch der Gesang an der Grenze zur angenehm unaufgeregten, schnöseligen Ausdruckslosigkeit. Damit konvergieren die stark verdichteten Texte, die zwischen Abstraktion und größtmöglicher Pointierung balancieren, wobei sich aber letztlich der Eindruck durchsetzt, dass die Worte sich entziehen, wenn man sie losgelöst von der Musik betrachtet. Die Texte sind in der Hinsicht musikalisch organisiert, dass sie keine feste Bedeutung haben und stets im Fluss bleiben. Die Phrase „Alles Wird Gut“ etwa könnte auf eine gleichnamige New-Wave-Kneipe in Hamburg zwischen 1981 und 1983, die Signatur-Abmoderation von Nina Ruge in „Leute heute“ (!) verweisen oder als simple Optimismusbekundung verstanden werden.

In einigen Momenten gelingt Stabil Elite das seltene Kunststück, gleichzeitig selbstreflexiv und rührend zu sein. Das dezidiert Klischees streifende Covermotiv voller Neonlicht und Insignien des Hedonismus ironisiert die Idee eines bestimmten 80er-Jahre-Lebensgefühls, verrät aber andererseits eine unterschwellige Sehnsucht danach. Das zeigt sich auch im Albumtitel sowie dem gleichnamigen Song, der zu den Höhepunkten der Platte zählt. Im Songtext vorkommende Schlüsselbegriffe wie „Diplomaten“ und „Kühle Seide“ situieren den Song im Kontext einer Sphäre des Luxus und der Unberührbarkeit, die aufgrund der fragmentierten Darstellungsweise immer ein bisschen irreal bleibt. Stabil Elite kokettieren mit Fiktionen, in denen sie sich über die langweilige Wirklichkeit erheben. Gespiegelt wird dieser Ansatz in der verführerischen Eleganz der stets leicht übertrieben wirkenden Musik, die dem Ideal perfekter Popmusik sehr nahekommt (tatsächlich KLINGT dieses Album so gut, dass man es kaum für möglich hält).

Wenn man von Hits im emphatischen Sinne sprechen will, muss auch „Alles Wird Gut“ erwähnt werden, ein Traum von einem feinsinnigen Popsong, der zur vollen Blüte gelangt in dem Moment, in dem das Saxofon einsetzt. Das Stück scheint darauf angelegt zu sein, im Radio zu laufen und aus den Zuhörern bessere Menschen zu machen. Das fordernde, sich in den Vordergrund drängende Element, das sich hier aktualisiert, wird ergänzt durch introspektive Songs wie „Zeitzonen“ oder „Mellow“, die leicht resignative Sommernächte in überhitzten Großstadtwohnungen oder halbleeren Bars vertonen (auch die Liebe spielt hier mit hinein. Natürlich, es geht ja um Popmusik). Man fühlt sich erinnert an die Post-Party-Atmosphäre von Roxy Musics „Avalon“ oder – um in Düsseldorf zu bleiben – den perlend-eleganten Popentwurf von „Magnificent Obsession“ vom dritten Fehlfarben-Album „Glut und Asche“.

All diese Songs erzählen vom Ende des Moments, von Vergänglichkeit, die im Akt des Erzählens, also als Musik, aufrechterhalten werden. „Spumante“ wiederholt diese Momente mittels Variation. Stabil Elite demonstrieren, dass Popmusik fortgeschrieben werden kann, indem man sie spielt und so eine eigene Wirklichkeit konstruiert. Die Existenz von Pop ist demnach gebunden an Praxis und Performance, so wie eine Sprache auch nur weiterbesteht, wenn sie gesprochen wird. Sprechen über Popmusik anlässlich des Sommeralbums von 2016.
Mario Lasar

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