Record of the Week

Telepathe „Destroyer“

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„Destroyer“
(BZML Records)

Zu Busy Gagnes und Melissa Livaudais alias Telepathe aus Brooklyn hatte ich bislang eine geradezu romantische Beziehung: Zu ihrem Debütalbum „Dance Mother“ schrieb ich seinerzeit meine allererste Review für das (glaube ich jedenfalls) Debütheft des Missy Magazine.

Telepathe stehen für mich also für Neubeginn, den Anfang von etwas ganz Tollen, Aufbruchstimmung, Debütanteneuphorie. Darüberhinaus mochte/mag ich „Dance Mother“ wirklich gerne. Die Mischung aus 1980er-Synthie- und Shoegaze-Elementen, sirenenhaftem Gesang plus tribal Percussion klang zwar anno 2009 nicht total brandheiß, aber angenehm suggestiv und voller Atmosphäre. In den folgenden Jahren fragte ich mich immer mal wieder, was Telepathe so machen – vor allem, wenn neue Platten von Austra, Au Revoir Simone, Pure Bathing Culture und Warpaint rauskamen. So richtig intensiv habe ich die Aktivitäten von Telepathe dann aber offensichtlich doch nicht verfolgt: dass das Duo in den letzten drei Jahren sechs neue Songs als Singles und/oder Live-Videos veröffentlichte, habe ich schlicht nicht mitbekommen. Dafür kann ich mich jetzt aber auch nicht darüber beklagen, dass auf dem neuen Album nur vier richtig neue Stücke drauf sind, die übrigen sechs, na, die kennt man ja schon seit Jahren. Für mich ist „Destroyer“ rundum neu, frisch und verheißungsvoll.

„Destroyer“ sollte schon vor einiger Zeit erschienen sein, angeblich lagen die Aufnahmen beim Label herum, das sich mit der Veröffentlichung nicht gerade beeilte. Genervt gründeten Gagnes und Livaudais ein eigenes Label, BZML, und zogen nach Los Angeles, um dort das Finish für das Album zu machen. Nun bleibt ein Umzug nach L.A. für die wenigsten KünstlerInnen ohne Spuren, weshalb „Destroyer“ folgerichtig unter anderem von kalifornischen Todeskulten, Science-Fiction-Literatur á la Philip K. Dick und der Komplexität menschlicher Umgangsweisen beeinflusst sein soll. Musikalisch zollen Telepathe „freestyle Miami beats and Madonna’s early work“ Respekt.

Das alles kann man raushören, wenn man will, muss aber nicht. Der Titeltrack klingt stringenter und energischer als das, was ich bisher von Telepathe kannte (aufmerksame LeserInnen wissen: das war ja auch nur altes Zeug), aber auch rührend retrofuturistisch. Als hätten Telepathe nicht nur die junge Madonna gehört, sondern auch Dee D. Jacksons „Automatic Lover“. Apropos retro: Telepathe spielen auf antiken Synthesizern und sonstigen Geräten, was bedeutet, dass auch der Sound antik wirkt. Was ja nicht schlimm ist, nur wirkt das auf Albumlänge zuweilen ein bisschen… öde.
„Drown Around Me“ und „Slow Learner“ haben für meinen Geschmack zu viel Zuckeraustauschstoffe, aber schicke Videos mit tanzenden Männern auf Hochhausdächern.

Im Mittelteil von „Destroyer“ ertappe ich mich dabei, wie ich im Netz nach Alternativen für meinen E-Mail-Provider suche, aber ok, das gehört nicht hierher. Das kieksige Einstiegs-OWWW von „Throw Away This“ holt mich wieder rein, die Pads klöppeln hier wirklich miami-like, flach und scheppernd, zwingend und super, waiting for your sign, waiting for your sign, waiting, waiting… Daneben bleibt mir einzig noch „Fuck You Up“ mit seinen Original-Achtziger-Blubber-Beats und weit ausholender Hookline im Gedächtnis, der Rest ist leider lost in space.
Christina Mohr

Die beiden ersten Titel der „Dance Mother“, „So Fine“ und „Chrome’s  On It“, waren bei mir vor fünf Jahren mit die meistgespielten Lieder der Saison. Wie toll das war, irgendwie poppig, aber auch formal experimentell, lieblich, aber auch gefährlich. Wie Dancehall-kompatibele rabiatisierte Cocteau Twins oder, anders rum, eine ins Ätherische, Abstrakte gekippte M.I.A..

Die neue Platte ist eine Zusammenstellung von zum Teil schon auf EPs erschienem Material, also eigentlich ein Album im uralten Sinn. Trotzdem klingt es sehr homogen. Man kann nicht sagen, dass sich Telepathe nach der „Dance Mother“ vollkommen neu erfunden hätten, allerdings gibt es doch ein paar markante Verschiebungen. Das Achtzigermäßige, vorher eine Klangfarbe unter vielen, hat jetzt ganz das Regiment übernommen. Stilecht tuckert die alte Möhre von Drumcomputer, darüber die gestimmten elektrischen Toms und der kühle, schon fast nicht mehr kitschige Kitsch verwehter Synthies, wie wir ihn von Visage oder Soft Cell kennen. Die Sängerinnen stellt man sich immer vor, wie sie sich in Bauchfreihen Tops, von hinten beleuchtet, in dezent schaurigem Setting durch die Haare fahren. Nur ab und zu beunruhigen angefettete Breakbeats die regressive Seligkeit und verraten die wahre Entstehungsära dieser Musik. Mit der Zuspitzung der Soundästhetik hat sich auch das Songwriting traditionalisiert. Keine gebrochenen Strukturen mehr, keine Abfolgen von ellenlangen in sich gnadenlos repetitiven Teilen mehr wie früher: Strophe and Refrain it is. Man kann nicht sagen, dass das die Sache aufregender macht. Aber wenn es funktioniert, und wenn die Refrains so gut sind wie bei „Damaged Raid“ und „Throw Away This“, dann sag ich: “Keine weiteren Fragen, euer Ehren.” Dann sind Telepathe nach wie vor eine tolle und sträflich unterbejubelte Band.
Jens Friebe

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