Record of the Week

Foxygen “Hang”

Foxygen-CoverFoxygen
“Hang”
(Jagjaguwar)

Okay, dieses Album ist nicht mehr ganz taufrisch, und auch TV Spielfilm fühlte sich bereits genötigt zu berichten; aber der faszinierende, hoch anzusiedelnde Beknacktheitsgrad von „Hang“ berechtigt dazu, das Kriterium der Aktualität ausnahmsweise zu vernachlässigen.

Wäre die Platte katholisch, würde sie eine Todsünde begehen, macht sie sich doch ganz offensiv der Völlerei schuldig. „Dick aufgetragen“ ist gar kein Ausdruck. Bläsersätze, Streicher, Chöre bilden das Inventar der Musik, und je länger ein Stück dauert, desto mehr Instrumente werden anscheinend addiert.

Im Eröffnungssong „Follow The Leader“ funktioniert dieser Ansatz sehr gut, weil die emphatische Vielschichtigkeit, die die Band kultiviert hat, auf clevere Akkordwechsel trifft, die selbst einem Todd Rundgren zur Ehre gereichen würden. Bei allem Drall ins Maßlose wird der Song von einer grundlegenden Pointiertheit bestimmt, die seine Pop-Qualität herauskehrt.

Stilistisch scheint es Foxygen auf diesem Album um die Aneignung einer Spielart von Blue-Eyed-Soul zu gehen, die mit Prog-Rock-Auswüchsen (ohne Rock) im Einklang steht. Die Band bewegt sich im Spannungsfeld zwischen Geschmack und Geschmacklosigkeit. Indem alle Gesten dramatisiert werden, dominiert der Eindruck einer bis ins Groteske gesteigerten Übertreibung (die im Falle der Videos zu diesem Album die schlimmsten Momente einer augenzwinkernden 90er-Jahre-Ästhetik hervorbringt). Dadurch, dass Foxygen die Musikgeschichte rückwärts bis ca. 1967 reflektieren, ist ihr Vorgehen immer schon mehrfach gebrochen.

Gebrochenheit verlagert sich dabei von einer ironischen Haltung direkt ins Material: das kann man hören in den sprunghaften Tempowechseln von „America“, das wie ein auf manische Weise polyrhythmisch strukturierter Cole-Porter-Song klingt. Die hyperaktive Qualität der Musik lässt sie oft zeitgedehnt erscheinen: weil in den Songs so viel passiert, wirken sie viel länger als sie sind – im positiven Sinne.

Vielleicht parallelisiert „Hang“ ein Trauma, das sich ewig fortsetzt, ohne dass man zum Ursprung vordringen könnte. „Upon A Hill“ etwa verweist auf Scott Walkers „Jackie“, das aber seinerseits bereits auf Jacques Brel zurückgeht. Tatsächlich gibt es auf dem Album einen „Trauma“ betitelten Song (!), der Inhaltlichkeit (also Bezug auf ein Außen) durch Tautologie (also Selbstbezüglichkeit) ersetzt:

Ooh, yeah so you free it from the trauma
(Trauma) Trauma
(Trauma) Trauma
Everyone has their own trauma (trauma)
Trauma (Trauma)
Trauma just like me
Oh, trauma
If I could get over this trauma (trauma)
Trauma, trauma

Worin das Trauma besteht, bleibt unklar beziehungsweise wird verschluckt vom herrlich überkandidelten Gesang. Hier wird also die Verabschiedung von Sinn zugunsten von Klang zelebriert. In dieser Hinsicht hat sich das 40köpfige Symphonie-Orchester, das die Band auf „Hang“ beschäftigt, auf jeden Fall gelohnt, denn das Album klingt ganz hervorragend.
Mario Lasar

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