Record of the Week

Greg Fox “The Gradual Progression”

Cover_FoxGreg Fox
“The Gradual Progression”
(Rvng Intl.)

Beim Moogfest 2016 spielte Greg Fox ein sogenanntes Durational von vier Stunden, das über den Gestus einer Performance weit hinaus ging und als quasi-wissenschaftlicher Aufritt zu verstehen war, gewährte es visuelle und erkenntnistheoretische Einblick in die tiefere Essenz seines Schlagzeugspiel. Fox offenbarte sich sozusagen und leitete damit hin zu Fragen über die “Future of Drumming”, die er ergänzend zum nachmittäglichen Auftritt auch noch auf einem Panel diskutierte.

Kurzer Einschub: Erinnert sich noch jemand an die Durcacell Werbung aus den 1980er Jahren  mit dem trommelnden Hasen? Gerade im Abgleich mit den Durationals anderer elektronischer Produzent_innen während des Moogfests – denen nichts von ihrer Essenz und der ebenfalls großen körperlichen Leistung abgesprochen werden soll – ist es dennoch wenig verblüffend, dass gerade bei Schlagzeuger_innen die Länge der Performance als etwas übermenschliches wahrgenommen wird. Ich will diesen Aspekt der Performancelesung an dieser Stelle gar nicht zu sehr verfolgen, der selbstreferenzielle Umgang mit der (eigenen) Musik und der Performanz der Musik passt aber sehr gut zu Greg Fox, dem die (akademische) Auseinandersetzung mit der eigenen Kunst sehr wichtig ist. Allerdings viel weniger abstrakt-analythisch in ihrer Ausrichtung, als dass vielleicht bislang in diesem Text  vermittelt wurde.

Der New Yorker Greg Fox spricht in den Texten, die seine Musik begleiten, davon, dass diese die Transformation in befreite spirituelle Zustände anregen solle. Er möchte durch das sensible in sich hineinhören einen Sound erschaffen, der es den Hörer_innen erlaubt, die Zwängen der eigenen körperlichen Existenz hinter sich zu lassen.

Wobei es dieses verbalen Überbaus nicht bedarf, kommt “The Gradual Progression” doch nicht nur musikalisch ohne Worte aus. Fox ist ein wunderbar fließendes Free-Jazz-Album gelungen, das sich in steter Progression von sanften Gesten hin zu energischeren und hektischeren Bewegungsmustern entwickelt, die Klangfarben immer schmutziger mischt und sich dabei zunehmend dem polyrhythmischen Klang der Freiheit hingibt. Es verwundert nicht, dass das Schlagzeug (neben der Trompete) den Sound maßgeblich prägt, als dass man Greg Fox als Schlagzeuger von Bands wie Liturgy, EX EYE, Guardian Alien und Zs kennt – und eben zuletzt immer öfter als suchenden Klangforscher, der in einer Art akademischen Jam die Grenzen des konventionellen Schlagzeugsspiels zu sprengen versucht, in dem er mit der Sensory Percussion Software interagiert, die es Computern erlaubt, mit dem Schlagzeug zu kommunizieren.

Mit “The Gradual Progression” dockt Fox im Vergleich dazu wieder etwas konventioneller bei der Tradition seiner Lehrer an – er studierte unter anderem bei Thurman Barker (Anthony Braxton, Cecil Taylor) und Marvin “Bugalu” Smith (Sun Ra, Archie Shepp). Der Schönheit seiner “Progression” tut dies keinen Abbruch und so fühlt man sich am Ende wirklich dem “Earth Center Possessing Stream”, so ein Songtitel, näher.
Thomas Venker

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