Record of the Week

Isolation Berlin „Vergifte dich“

Isolation Berlin - Vergifte dichIsolation Berlin
„Vergifte dich“
(Staatsakt)
Den Impetus zum Musikmachen in Bands, den verlieh (jungen) Musiker schon immer ihr Nichteinverstandensein mit der Welt, oder zumindst mit der eigenen kleinen, staubigen Ecke in dieser. Das Dringlichkeitsgefühl als direktes Ergebnis eines Dialog mit den eigenen Enttäuschungen. Egal ob diese von der Politik oder der Amore angetriggert wurden, Anlässe gibt es ja immer genügend.

Die ersten beiden Platten der Gruppe Isolation Berlin, „Berliner Schule/Protopop” und “Und aus den Wolken tropft die Zeit”, die 2016 ruckzuck quasi parallel erschienen, waren randvoll mit der Gefühlswelt des Sängers und Texters Tobi Bamborschke. So voll damit, dass einen der Titel des neuen Albums “Vergifte dich” zunächst zusammen zucken lässt.
Echt jetzt?
So schnell wird aufgegeben?
Ist der (künstlerische) Suizid nicht die Option, die ab Fourtysomething ins Spiel kommt, wenn nicht nur die Welt immer mehr Brüche bekommen, sondern auch der eigene Körper mit der Erosion begonnen hat? Aber doch noch nicht mit Mitte 20!

Also ordnen wir die Dinge mal lieber. Denn das Gift soll auch auf dem dritten Album der Band (primär) nicht am eigenen Körper angewendeten werden, sondern wird (noch) im Imperativ den Anderen aufoktroiert. Und doch haben Größenwahn, Rotzigkeit und Wut der frühen Isolation Berlin (waren sie nicht gerade noch Newcomer, und jetzt schon diese früher Zuschreibung?), die das Gegengewicht zur Skepsis und romantischen Selbstanklage in ihrem Opus bildeten, merklich an Gewicht nachgelassen.

Tobi Bamborschke fühlt sich schlecht, hat alte Hände und schwaches Fleisch (“Melchiors Traum”), es ist ihm alles zuviel und er hat schon so lange nicht mehr herzlich gelacht (“Wenn ich eins hasse, dann ist das mein Leben”). Die Heilung: Einsame Spaziergänge durch ein Berlin, dem er verziehen hat, auch wenn er von Wien träumt (“Serotonin”).
Es kommt nicht von irgendwoher, dass man umgehend an Christiane Rössinger denken muss, die größte Poetin der depressiven Lebenslust, die das subkulturelle Berlin hervorgebracht hat. Doch während ihre Worte immer einen sehr eng gefassten Soundtrack der Melancholie um sich dulden, zerreisen Isolation Berlin die Luft um Bamborschkes Worte stetig und bleiben so unberechenbar in ihrem Koordinatensystem zwischen Pavement, Element of Crime und Ton Steine Scherben – diese Stiloffenheit geht soweit, dass man auf dem neuen Album plötzlich gar an Depeche Mode (dieser wunderbare 80er-Jahre-Basslauf auf “Die Leute”) und Primal Scream („Kicks“) denken könnte.
Thomas Venker

 

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