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Jede Woche ein Rant. Heute… Psychotherapie-Gegner

Wer in Bezug auf Internet-Humor nicht aufpasst, bleibt irgendwann vielleicht doch hängen bei Willy Nachdenklich, oder Tattoofrei oder – WLAN, bewahre – bei dem moralischen Postkarten-Opa Barbara. Um möglichst vielen dieses Schicksal zu ersparen, haben wir bei kaput keine Mühen gescheut und das geilste Facebook-Portal überzeugt, uns regelmäßig Content zu überlassen. Es geht um den Feelgood-Hass des Kollektivs “Jeden Tag ein Rant”. Bei uns nun eben einmal die Woche, für mehr sind wir zu alt. Thema heute: Alle, die dich bashen, weil du zum Therapeuten gehst. Stell dich halt nicht so an, oder was.

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Wegen Umzug nach Berlin musste ich meine Therapie unterbrechen und wegen Berlin bin ich jetzt erst ein Jahr später auf der Suche nach eine*r neue*n Therapeut*in. Belastender als die Schwierigkeit einen Platz zu finden, der nicht 1,5h Fahrtzeit entfernt oder 2 Jahre in der Zukunft liegt, sind nur Kommentare von Außenstehenden.
Hier daher meine persönlichen Top 5 Bullshit-Sätze, mit denen mich Leute von ~diesen Therapeuten~ fernhalten wollten:

01 „Naja aber dir geht’s doch nicht SO schlecht, mach doch stattdessen einfach mal ein bisschen Sport/Lüfte durch/Räum dein Zimmer auf/Geh ins Kino/Verlieb dich neu/etc.“

02 „Also wenn du mich fragst, solche Leute haben doch selbst immer einen Schuss weg, warum macht man das denn sonst“ (frage dich nicht)

03 „Diese Quatschtanten bringen doch nichts, früher haben wir sowas auch nicht gehabt und wir leben noch“ („Noch leben“ = neues lifegoal und Galiegrü an Omi)

04 „Die wollen doch nur dein Geld.“
(Ja normal, ich will halt auch mit meinem Job Geld verdienen?! Sowieso das Romantisieren und Idealisieren von sozialen Berufen: Lasst es.)

05 „Finde das nicht cool von dir, weil du damit jemandem den Platz wegnimmst, dem es noch viel schlechter geht.“

Zu 1: Das mögen alles sinnvolle und stimmungshebende Dinge sein, aber an den strukturellen Problemen ähh dornigen Chancen meiner Psyche ändern sie wenig. Es ist ein bisschen wie Zimmer aufräumen: Das geht super wenn man die richtigen Möbel und nicht allzu viel Kram hat. Wenn ich aber 250 Kleidungsstücke in meine IKEA Malm Kommode stopfen will oder 68 Sukkulenten auf meiner 1m Fensterbank unterbringen, gibt’s Chaos. Auch wenn ich mein Billyregal mit der Vorderseite zur Wand stelle, kann ich da schlecht Bücher einräumen. Ich kann das Zeug zwar irgendwie so anordnen, dass es halbwegs ordentlich aussieht, wenn Mutti mal zu Besuch kommt, aber das ist wie Turmbau zu Babel in der finalen Phase: Wenn man einen Klotz rauszieht, fällt der ganze Rotz wieder in sich zusammen.
Und zu 5: Ja sure, irgendwem geht’s immer schlechter aber Relativieren ist niemals eine Meinung und so zu argumentieren spielt den herrschenden Verhältnissen super in die Hände: Wer sein eigenes Leid durch einen Abwärtsvergleich relativiert, also feststellt, dass es ihm zwar nicht gut aber wem anders noch schlechter geht, begnügt sich damit und ändert dann auch erstmal nichts. Weil, irgendwie ist man ja doch noch Gewinner des Systems, puh, Glück gehabt.
Nein Diggi, in diesem System sind wir (fast) alle Verlierer und nur weil es dir nicht ganz so schlecht geht wie deinem Nachbarn, geht es dir ja nicht gut. Jetzt aber der Witz: Es könnte uns allen (materiell, physisch, psychisch etc.) gut gehen, auf jeden Fall sehr viel besser!
Dass gerade mehr Leute als früher eine Therapie machen und darüber auch reden ist eine super Entwicklung. Dass Menschen bereit sind, sich mit sich auseinanderzusetzen und gewisse kognitive Strukturen zu ändern: mega. Dass viele Probleme strukturell bedingt sind und die Psychologie und -therapie stückweise entindividualisiert und entpathologisiert werden sollte: Wichtig.
Genauso hart nerven mich aber linke Anti-Freuds, die Therapie generell ablehnen, weil (zumindest die institutionalisierte) Psychologie wenig gesellschaftskritisch ist.
Da gilt dann wieder das was Eva Illouz sagt: Psychologen erklären oder bekämpfen zwar oft nicht die (gesellschaftlichen) Bedingungen des Leidens, aber sie haben wirksame Strategien und Methoden, das Leid zu mildern. Also wenn es soweit ist mit der Revo und sich auch das System ändert, sagt mir doch einfach Bescheid, ich komme dann mit meiner Therapeutin zur Party und bring Pillen mit.
Bis dahin: Psychotherapie für alle, Psychotherapie bis zum Kommunismus!

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