Linus Volkmann

Das hier sind nur vier Geschichten von Dir – Pudel in Flammen

Der Hund ist weit über die Grenzen Hamburgs hinaus bekannt. Der Pudel, dieser konspirative wie durchgedrehte Treffpunkt für die Sub- und Feierkultur der hiesigen Szene. Man kennt ihn nicht nur, man besucht ihn auch tatsächlich. Viele legendäre Clubs leben ja dagegen bloß von der Erzählung und der Distinktion, die von ihnen ausgeht – aber wirklich hin geht dann doch immer keiner… 

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Foto: Frank Spilker

Seit Anfang der 90er stellte der Pudel eines der Zentren der sogenannten Hamburger Schule dar, selbst als jene in der Form längst überrollt worden war, ging es im Pudel noch weiter. Doch die letzten Jahre hörte man parallel zum Lärm auf der Tanzfläche immer wieder vom „Pudel in Not“. Umbauten, Streitigkeiten, Zerwürfnisse der Betreiber, Gentrifzierung St.Paulis… Die Versteigerung wegen Insolvenz (angesetzt für April diesen Jahres) schien trotz vielerlei Protest ähnlich wie das Plattmachen der ESSO-Häuser nicht mehr abzuwenden. Doch in der Nacht auf den Valentinstag ging das aus dem 19. Jahrhundert stammende Gebäude während des laufenden Betriebs Flammen auf. Verdacht auf Brandstiftung. Sinnbildlich scheinen die Bilder des komplett ausgebrannten Dachstuhls für eine Zäsur, für das wirkliche Ende der Hamburger Schule zu stehen. Oder doch eher dafür, dass Protagonisten der letzten unerfreulichen Jahre ein Ende mit Schrecken dem Schrecken ohne Ende vorzogen? Oder bleibt das alles nur ein Betriebsunfall und der Pudel wird, wie schon an einigen Stellen verlautbart, neu aufgebaut?
Fakt ist: Teile des Hauses sind ausgebrannt, viel Material und Equipment wurde vom Löschwasser zerstört, doch die Geschichte ist noch nicht vorbei. Das Pudel-Kollektiv will sich den Hund nicht nehmen lassen, St.Pauli nicht auch hier der expansiven, ökonomisch motivierten Umgestaltung des Stadtteils preisgeben. Monate voll nasser Asche, Trotz, Solidarität und Kampf stehen bevor. Vier Absätze Pudel-History von Linus Volkmann.

I
Auf der 1991er Platte „Disco“ von (damals noch) King Rocko Schamoni findet sich ein gemalter Pudel. Damals ewig gerätselt, was das solle. Es dürfte eine der allerersten Veröffentlichungen gewesen sein, die sich auf diesen magischen Ort bezogen. Es sollten noch noch so viele weitere folgen (unter anderem die Vinyl-Reihe der Pudel Produkte).20160216_174525_resized

II
Persönlich faszinierte mich am Golden Pudel Club immer, dass er einerseits mit der (polit-ästhetischen) Geschichte der Hamburger Schule und durch deren Akteure so sehr auch auf eine bestimmte Zeit festgeschrieben war, dass er aber andererseits mit fortschreitenden Jahren nie zu einem Ort des bloßen Sentiments verkam. Im Pudel funktionierte es ganz selbstverständlich und auch ganz bewusst, dass eine linke Bewusstwerdung Teil der Aktivitäten blieb. Den Grund, warum in Hamburg auch jüngere Generationen (zum Beispiel im HipHop oder im Electropunk) so eine stilsichere Kontinuität aufwiesen, die anderen Städten abgeht, sehe ich zu nicht unwesentlichen Teilen in so multilateralen Treffpunkten wie dem Pudel begründet.

III
Thomas Venker und ich hatten 2001 zum zehnjährigen Jubiläum des Clubs (das damals begleitet wurde von der Lado-Compilation „Operation Pudel“) die Möglichkeit gehabt, ein Interview zu machen. Mit Schorsch Kamerun und Rocko Schamoni, als zwei der Gründer und Betreiber der Lokalität. Zu dieser Zeit ging es gefühlt schon um Alles oder Nichts. Frisch von den Intro-Kollegen aufbereitet (thanks!) kann man das Gespräch nachlesen im Archiv von intro.de.
(Und wer bewegte Bilder aus dem Club sucht, findet diese im Kaputbeitrag zu Helena Hauff).

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Bum Khun Cha Youth / Pudel 1998

IV
Ich bin sicher nicht der einzige, der eine ganz persönliche Pudel-Story in der Erinnerung mit sich rum trägt. Meine geht so…
Es muss 1998 gewesen sein, ich unterhielt bereits die Band Bum Khun Cha Youth. Wir machten damals noch keinen Electro-Pop sondern waren eine echte Tocotronic-Adepten-Band mit Schlagzeuger, Gitarre, Bass und so Zeug. Ästhetisch und vom Nerd-Faktor hätten wir alle anderen von der Hamburger Schule erweckten Kackbands (Samba, Nationalgalerie, Cucumber Men…) an die Wand spielen können. Leider fehlte uns das gewisse Etwas – und zwar konnten wir kaum unsere Instrumente spielen. Damit meine ich nicht die übliche Koketterie von Leuten, die früher in der Schule stets behaupteten, sie haben nicht gelernt und die Klausur sei total schlecht gelaufen – nur um dann doch mit einer Eins rauszugehen. Nein, wir konnten wirklich nicht spielen. Doch durch günstige Kontakte hatten wir ein Konzert im Pudel vermittelt bekommen. Immerhin war gerade unsere Single erschienen – auf dem Tocotronic eigenen Label Rock-O-Tronic. Worauf die Band allerdings gar keinen Einfluss genommen hatte. Das war alles über einen Freund von ihnen gelaufen und mangels Austausch beziehungsweise mangels Internet damals konnte sich unsere Platte ins Programm von Jan Müllers Hobby-Label schmuggeln. Wobei die Stücke der Single mitunter sehr gut klangen. Kunststück, immerhin hatte sie ja ein Dark-Wave-Producer in Darmstadt für uns nicht nur aufgenommen, sondern auch die Instrumente eingespielt. Wir gaben nur aufgekratzt die Anweisungen. Der Sound ist durch diese Kombination wirklich bis heute einzigartig.
Doch das half uns live natürlich auch nicht viel. Schließlich mussten wir bald auf die Bühne des legendären Pudels performen. Wie sollten wir das bloß machen? Mit bleichen Gesichtern sitzen wir auf der Terrasse des Clubs, es ist noch hell, der Soundcheck hat bereits furchtbar geklungen. Jetzt versuche ich wenigstens die Gitarre zu stimmen. Das dürfte ein wenig Linderung für unseren Kack-Klang bringen, ach, ich weiß doch auch nicht! Überdies besitzen wir kein Stimmgerät, also per Hand beziehungsweise Gehör stimmen. Jeder, der das schon mal gemacht hat, weiß, wenn man’s nicht so raus hat, ist es echt schwer. Jede Drehung scheint das Desaster nur noch schlimmer zu machen. Plötzlich tritt Rocko Schamoni an uns heran. Wir bewundern ihn schon seit Anbeginn aller Zeiten für seinen Humor und seine Kraft – oder natürlich für Songs wie „Nackt in Las Vegas“, “CDU” und „Berlin Woman“. Vorhin beim Soundcheck hatten wir ihn bereits entdeckt. Missmutig beobachtete er unser Treiben auf „seiner“ Bühne – immerhin gehört er mit zu den Besitzern und Initiatoren des Pudels. Doch als er das Stimmgedudel nun von draußen noch hören muss, scheint es ihm zu viel zu werden. Er rollt mit den Augen, lässt sich die Gitarre reichen und stimmt sie ohne Mühe in kürzester Zeit. Er gibt sie mir zurück und sagt „Wird schon!“ Vermutlich ist es eher als Durchhalte-Floskel für sich selbst gemeint, aber wir nehmen es natürlich dankbar auf.

An diesem Abend spielen wir dann tatsächlich im Pudel. Es ist total voll – sicher nicht wegen uns, aber wir kommen irgendwie durch unser kurzes Set und fühlen uns danach so großartig wie noch nie. Danke für alles, Pudel!

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Foto: Frank Spilker

 

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