Linus Volkmann

Warum ich auf den Record Store Day verzichten kann

Vorweg, ich halte den Record Store Day eigentlich für eine gute Sache – bloß mittlerweile halte ich ihn einfach nicht mehr aus.
Als ich noch studierte – im Kaiserreich, Bismarck war gerade wiedergewählt und die Dampfmaschine erfunden worden – also, als ich noch studierte, verdiente ich mir nebenbei Geld, indem ich in einem Plattenladen arbeitete. Von Beileidsbekundungen bitte ich abzusehen, er lag in: Darmstadt. Jener Laden war Teil einer kleinen Kette, drei Dependancen gab es, Kaiserslautern, Heidelberg und eben Darmstadt. Als ich vor Jahren mal wieder mit jemand darüber sprach, existierte nur noch eine. Vermutlich ist die jetzt auch platt (ich will’s lieber gar nicht erst googeln).

Das prangere ich an. Daher auch das grundsätzliche Wohlwollen über den Record Store Day, ich bin ja kein Unmensch, kein Idiot. Soondern die letzten Jahre immer fleißig mitmarschiert.
Doch ich kann es nicht mehr tragen, eure Krokodilstränen kotzen mich an!
Die Plattenläden meiner Stadt lassen sich was einfallen. Bands spielen auf Parkplätzen, sitzen auf überzähligen CD-Kartons oder bringen extra Editionen für diesen Tag heraus. Und dann stehen Leute davor mit ihren dicken doofen Kölsch-Flaschen, rauchen und erzählen einem, wie unersetzlich Vinyl doch sei und natürlich der lokale Plattenhändler.
In zwei Kategorien passen die meisten dieser Leute:
Einmal der besitzfetischisierte Nerd, dessen Keller, Dachwohnung, Stall völlig zugefickt ist mit all seinem toten Kapital. Der niemals umziehen kann und gegen den die verrückte Katzenlady bei den Simpsons plötzlich nicht mehr ganz so weltfremd wirkt.
Zum anderen hört man das Loblied auf den Plattenladen von Leuten, die einem den Rest des Jahres mit ihrem Spotify-Abo in den Ohren liegen und erzählen, dass sie überhaupt jetzt mal Platz geschaffen haben – die ganzen physischen Tonträger rauf auf den zweiten Markt, nehmen eh nur Platz weg. Und die einen mitleidig belächeln oder peinlich berührt in den Gully schauen, kommt man mal abseits des offiziellen Plattenladen-Gedenktages mit einer derartigen Tüte des Weges. Verdammte Schönwetter-Fans!
Diese ganze Farce findet ihr Ornament dann noch in den beflissenen Musikmedien, wo ja eh niemand Platten kaufen muss und die sich mit gefühlig affirmativen Aktionen an das „Thema“ dranhängen. Rein aus Reflex – kaschiert mit stulligen, leeren Adjektiven, die Leidenschaft suggerieren sollen. Ein Ärgernis! Nicht zu vergessen, die ganzen Kleinkriminellen, die nur darauf warten, irgendwelche Sonder-Editionen von beteiligten Bands abzugreifen, um diese dann justament gleich wieder auf Discogs oder ebay als Raritäten zu horrenden Preisen einzustellen. Diese Form von Leben verdient die schlechteste Bewertungen, die zur Verfügung stehen. Null Sterne für euch!
Oops, darf man sich denn derart in Rage schreiben? Ach, jetzt auch schon egal. Also es gibt die pathologischen Fälle und die Heuchler. Das eine und das andere Extrem.
Klar, kennt man ja von der Politik, aber in Bezug auf den Record Store Day scheint die Mitte wie in der letzten Dystopie weggebrochen zu sein.
Doch das Schlimmste kommt ja noch:
Denn wenn die Alternative bloß ist, sich mit genannten Idioten rumzuärgern oder bei amazon vorstellig zu werden – dann muss man ja letztlich doch für Erstere voten. Was das allein schon für eine persönliche Niederlange darstellt!

Update: jetzt mit Video!

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