Thomas Venker

Die Bar ist zu!

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Noch schnell einen Gin Tonic mixen lassen in der Office-Bar und dann das nächste WM-Viertelfinale in der benachbarten Loungeecke schauen – so sieht ein ganz normaler Juninnachmittag im Sommer 2014 in der New Yorker Zentrale eines US-Amerikanischen Medienunternehmens mit Stammsitz in Kanada aus. Weiterarbeiten kann man schließlich noch die gesamte Nacht.

Mit Arbeiterfreundlicher Gleitzeit oder gar unternehmerischen Altruismus hat ein derartiger New-Economy-Vibe freilich genauso wenig zu tun wie die Tischtennisplatte im Empfangsbereich eines Berliner Streamingdienstes, an der man sich vor und nach den Meetings mal eben ein bisschen locker machen kann oder die Gratis-Pizza für all jene, die nach 22 Uhr noch in der Firma abhängen.

Im Gegenteil: die Geschäftsführung weiß, dass scheinbare Selbstbestimmung und Privilegien den Knoten der Selbstausbeutung enger ziehen lassen, ohne dass es so richtig wahrgenommen wird. Und so wandelte sich das Büro in den Nullerjahren zum scheinbaren Cliquenspielplatz – passenderweise flankiert von neuen Arbeitsstrukturen, die signalisieren sollten „Wir sind ein Team! Lasst uns aufhören mit dem die und wir!“

Doch die Zeichen stehen schon wieder auf Umbruch. Immer öfter weichen die Sofas wieder normalen Stühlen und das Freizeitmobilar den normalen Repräsentationsinsignien in Form von klassischer Produktpalette, Werbebroschüren und dem perfekt ausgeleuchteten Backkatalog. Vorbei das Zeitgeistmomentum, durch das man das Büro schon Mal mit Yogastudio, Club oder Bar verwechseln konnte.
Die Fluchtlinien dieser kosmetischen Veränderungen zielen jedoch viel tiefer: statt dem „We are Family“-Mantra lassen sich neuerdings wieder Konflikteherde und Abgrenzungsbemühungen im Company-Biotop erkennen. Ein neuer Trend zum Survial of the Fittest durchzieht auch die jungen, gerne mit der Zuschreibung hip aufgeladenen Unternehmen, und so sind beispielsweise Marketing- und Contentabteilung plötzlich nicht mehr Partner in Crime, sondern sich in der Bilanz wieder selbst am nächsten – sprich: die roten und die schwarzen Zahlen werden wieder schön separiert und mit allen Folgen für die Firmenpsychologie getrennt aufbereitet.

Quo_VadisNatürlich ist es schon ein bisschen absurd, sich an dieser Stelle über die Dekonstruktion von etwas aufzuregen, was man selbst nie als Offenbarung und Fortschritt empfunden hat, sondern ganz klar als Regulationsmechanismus. Dass man trotzdem nicht happy darüber sein kann, dass die Spielregeln wieder zurück zum klassische Set-Up gehen, liegt aber an den viel dramatischeren und größeren Zusammenhängen, die dahinter stecken. Denn in der freien Wirtschaft kommt derzeit eine Geisteshaltung an, deren systemstabilisierender Gestus der Politik nur Recht sein dürfte. Was wie triviale Innenansichten der Jugendkultur-Industrie anmutet, geht einher mit einem politischen Klima, in dem die Angst geschnürt werden soll, dass der erreichte Lebensstandard nicht mehr zu halten ist, wenn man sich nicht vorsieht. Vorbei die Zeiten von Solidaritätsversprechen und integrativer Gruppendynamik.

Dazu passt, dass die SPD derzeit auf einem historischen Tief surft. Mit den tragischen Folgen des Zeitgeists hat dies aber nichts zu tun, es ist die verspätete Quittung für Sozialabbau und Neoliberalisierung unter der Agenda 2010 und dem Laissez Fair im Umgang mit den eigenen Attributen in der Folge, sei es bei ökonomischen (zum Beispiel die VW-Affäre im SPD regierten Niedersachsen), sozialen (beispielsweise die Europakrise im Schulterschluss mit den anderen Parteien primär ökonomisch zu lesen und eben nicht die sozialen und pazifistischen Gesichtspunkte der Union ins Spotlight zu rücken) oder kulturellen Aspekten (zum Beispiel die unsägliche Umstrukturierung der Volksbühne unter SPD Regierung).

Schritt um Schritt setzt sich so ein Puzzle zusammen, dessen Gesamtbild plötzlich noch viel schlimmere Perspektiven aufzeigt. Dachte man in grenzenloser Naivität noch vor kurzem, es dauere tatsächlich noch ein paar Jahre, bis dass an den Außengrenzen der EU auch mit Gewalt reagiert würde, um unseren Wohlstand zu sicher, so zeigen sich an der geopolitisch sensiblen Nahtstelle Türkei/Syrien bereits die Halleffekte des neuen Zeitgeistes. Wie die Neue Züricher Zeitung und Süddeutsche Zeitung zuletzt (und ohne große Reaktionen) berichteten, werden in Kilis an der Grenze zu Syrien aktuell Selbstschussanlagen montiert.

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Ich will natürlich nicht sagen, dass die innerbetriebliche Auflösung des Solidaritätsprinzips (wenn es das denn je gab) hierfür verantwortlich ist, aber so wird letztlich ein Klima geprägt, das einer neuen Ära des Misstrauen und der Verlustängste den Weg bereitet und so eine Politik der Grenzziehung stabilisiert.

Es gilt Position zu beziehen und die eigene Haltung in Handlungen zu formen. Aber wir brauchen nicht nur dringend eine viel weitergehende Repolitisierung innerhalb unserer Gesellschaft, es ist elementar, dass dies in einem sozialen Prozess geschehen muss und nicht als Akt der Reindiviualisierung und Gruppierung. Erst indem man den eigenen Glauben an die Utopie von Zusammenarbeit ohne hierarchische Strukturen und auf der Basis eines gemeinsamen Wertesystems selbst konsequent ausgestaltet lebt, trägt dieser auch das dringlichst benötigte Entfaltungstungspotential in die Gesellschaft hinein in sich.

 

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