Linus Volkmann

Wie öde ist es auf Twitter wirklich? – Ein Selbstversuch

Oft werde ich gefragt, wie es denn so sei, das Leben als Deutschlands mächtigster Musikjournalist. Wie ich es schaffe, immer als erster die Trends zu entdecken, von denen man dann nie mehr etwas hört.
Nun ja, was so einfach wirkt, wenn man meine Instagram-Fotos ansieht, wo ich um elf Uhr noch im Bett oder im Arbeitsamt liege, was so einfach wirkt… ist eigentlich auch genauso.

Mein Leben und meine (überschaubaren) Emotionen erledige ich online und bei Facebook notiere ich, welche Bands meine Freunde posten, um später zu behaupten, die hatte ich eh schon auf dem Schirm. Social Media ist also ein wichtiger Bestandteil der Erfolgsgeschichte Linus Volkmann. Doch es gibt einen blinden Fleck: Twitter. Die Oma aller Kurzmitteilungsdienste. Da ich aus meiner Zeit bei Intro einen dieser sündhaften teuren Twitter-Accounts besitze, nehme ich mir vor, auch hier der King zu werden. Der Sascha Lobo der Neuzeit – nur halt dass mich nicht jeder hasst und dass ich haarmäßig nicht aussehe wie ein Trottel.

linusLos geht’s
Twitter, welcome back! Ich ändere mühevoll meinen Usernamen von IntroLinusVolk (mehr Zeichen gab es damals nicht, Twitters ewige Lust am Limitieren) auf meinen echten Namen.
Vor fünf Jahren, als der Durchbruch von Facebook, derart massiv wurde, geriet die Erfolgsgeschichte von Twitter ins Stocken, die User wanderten ab, Untergangsprognosen bestimmten die Wahrnehmung. Doch so überraschend wie unelegant – quasi HSV-gleich – erhob sich der Vogel wieder aus der Asche.

Newsfeed
Betrachte ich meinen Newsfeed – ich kann es nicht verstehen. Es ist wie auf allen anderen Plattformen, nur blöder. Die wenigen Gags oder Statements, die überhaupt aufzutreiben sind, kommen alle ausnahmslos ungeil rüber.

linus4Newsfeed Update
Liegt bestimmt an mir, ich folge einfach mal wertigen Institutionen, mit denen ich gern auf Du und Du wäre. Die Zeit, die Bundesregierung, taz, Meedia etc.
Sehr zu meinem Erstaunen ist das Gesicht, das mir der Feed nun präsentiert, noch entstellter als zuvor. Denn all die – vermeintlich – interessanten Player verlinken mit bit.ly-Links (die immer aussehen wie digitaler Taubendreck) stoisch ihre eigenen Inhalte der Webseite. Dabei weiß doch jeder, dass es einen guten Grund hat, dass man nicht auf deren eigenen Seiten rumhängt. Social Media soll doch eine Abkehr des offiziösen Getues darstellen, ich will wissen, was gerade nicht in einem Spiegel-Artikel steht. Als ich alle wieder lösche, stellen sich zumindest kurz Allmachtsgefühle ein, und ich ertappe mich, wie gut es mir gefällt, Die Süddeutsche zu „entfolgen“.
Wenigstens ein kleiner Kick für den Wutbürger in einem selbst. Bei Twitter sind die Highlights so rar gesät, da lohnt es sich, diesen zumindest mal zu erwähnen.
Nächster Move: Promis!

linus1Newsfeed Promis
Ich folge Ashton Kutcher, Boris Becker, Justin Bieber, Dingsda Kardeshian und ihrem Mann und so weiter.
Alles klar. Immer noch keine Besserung. Taylor Mommsen postet bloß andauernd Spendenaufrufe. Natürlich als bit.ly-Link. Und Miley Cyrus? Die feuert zwar täglich auf Instagram dutzende obszöne Selfies von sich ab, Twitter lässt sie aus. Wäre ich doch Miley Cyrus!linus5

Newsfeed man selbst
Ich sondere nun selbst mal einen Tweet ab, ergänze diesen um ein Foto, das geht ja mittlerweile bei Twitter und linus2widerspricht gefühlt vollkommen seinem Alleinstellungsmerkmal des unbedingten Purismus. Egal. Ich hasse meinen Tweet sofort, das Umfeld zieht mich mit runter, Twitter is cramping my style, ich fühle mich wie auf einer miesen Theater-Aufführung im Gemeindehaus, auf der man erschrocken bemerkt, man selbst hat es auch nicht drauf, ist nur einer dieser Stümper! Twitter ist ein Mühlstein um den Hals des Entertainments.
Genau: Entertainment, denn so zerklüftet dieser Begriff auf Twitter auch sein mag, immerhin ist er in homöopathischen Dosen noch nachweisbar. Das andere Ende des Kurznachrichtendiensts müssten ja Nachrichten sein. Da fehlt mir allerdings jede Fantasie, aus diesem Gestammel auch nur irgendeine Art von Newswert rauszufiltern.

linus6#gntm
Eigentlich sollte das Experiment damit beendet sein. Denn die Ableitung liegt auf der Hand: Wie alle anderen einfach nur bit.ly-Links zu den eigenen Veranstaltungen reinkübeln, vielleicht liest doch einer versehentlich mal seinen Feed, auch wenn davon absolut nicht auszugehen ist.
Plötzlich aber zeigt Pro7 einen Spielfilm. Was insofern ungewöhnlich ist, da bis eben noch das Finale von „Germany’s Next Topmodel“ lief. Nanu? Haben wieder Femen ihre Busen geblitzt, ist Wolfgang Joop wegen Drogenbesitzt verhaftet worden, steht Mannheim noch?
Im Videotext: Nichts.
Auf spiegelonline: Nichts.
Auf Facebook: Werden einem wegen des diktatorischen Algorithmus wieder nur Posts von vor 24 Stunden ausgespielt.
Moment … da war doch noch was. Genau, Twitter. Zurückkriechen in den Schoß des blöden Vogels, vielleicht hat er was für mich. Und tatsächlich, unter dem hashtag #gntm kommt nicht nur immer wieder dasselbe Werbeposting, sondern auch handfeste Gerüchte. Die werden von den Usern aufgegriffen und weitergedreht. User generated News. So erfährt man via Twitter, dass eine feministische Splittergruppierung des IS die Halle gestürmt hat, es gab in ganz Ba-Wü keine Überlebenden.

Gut, nachträglich wurde das im Staatsfernsehen (Lügenpresse!) wieder ein wenig runtergekocht, doch egal, Hauptsache, wir von Twitter wussten es als erstes.
Danke, Vogel! Ich hasse dich trotzdem.

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