Denise Oemcke

Waiting for Frank Ocean

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Ich hasse wenig im Leben so sehr wie Warten. Einzige Ausnahme: ich warte schon seit geraumer Zeit auf das neue Album von Frank Ocean, das seit Jahren immer wieder angekündigt wird, um dann doch nicht zu erscheinen. Dementsprechend groß war meine Freude, als sich Anfang Juli endlich etwas zu tun schien. Er hatte auf seiner Homepage ein Foto einer Bücherei-Buchkarte gepostet, auf der der letzte Datumstempel eine Veröffentlichung im Juli erwarten ließ.

Frank-Ocean_03Das ersehnte Album gab es am Ende des Monats zwar noch nicht, aber immerhin wurde auf seiner Page ein Livestream aktiviert, der umgehend meine FOMO (Fear of Missing Out) in den Overdrive-Modus springen ließ.

So dass ich erstmal ewig auf ein schwarz-weißes Video einer Werkhalle starre und versuche irgendwelche Geräusche im Hintergrund zu erhaschen – zumindest bis ich einsehe, dass da einfach keine neuen Frank Ocean Songs ertönen wollen. Weshalb ich erstmal dem normalen Arbeitsalltag den Vorrang gebe und das Fenster mit dem Livestream hinter all die anderen Fenster auf dem Desktop packe und nur noch alle fünf Minuten anklicke.

Um 15 Uhr mitteleuropäischer Zeit sind plötzlich außergewöhnliche Geräusche zu hören. Und tatsächlich, einen Klick später steht Frank Ocean vor mir in der Halle. Aber ist er es wirklich? Und was macht er da? Die Person in dem Stream zerteilt mit einer Tischsäge Holzplatten in Bretter – und dazu gibt es immer mal wieder ein bisschen Hintergrundmusik, mal sind es Streicher, mal Gitarren oder elektronische Soundscapes mit verzerrten Vocals. Es klingt auf jeden Fall nach Frank Ocean. Aber die meiste Zeit hört man doch nur die Geräusche der Werkzeuge.

Ich bin wie gebannt, kann nicht wegklicken. An Arbeiten ist nicht mehr zu denken. Selbst das nötige Putzen der Wohnung wird auf morgen verschoben, ich könnte ja was verpassen. Der Liveticker für meine Freunde läuft auf Hochtouren, jede Kleinigkeit muss berichtet werden: manchmal läuft Frank (ich bin mir noch immer nicht sicher, ob er es ist) durch die Halle und checkt sein Telefon, dann ändert sich mal die Perspektive und er bohrt Löcher in Bretter oder erfrischt sich mit einem Schluck Wasser.

In der Zwischenzeit kommt mir der Gedanke, dass Frank Ocean einfach nur den fachmännischsten Troll der Geschichte durchführt und gleich Rick Astley “Never Gonna Give You Up” singend durchs Bild tanzt.

Um 19 Uhr verlässt er dann das Blickfeld der Kamera und kommt nicht mehr zurück. Das kann doch nicht alles sein! Wieso hab ich nochmal den ganzen Tag auf dieses Video gestarrt? Und wo zur Hölle ist das Album?

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Das Netz ist jedoch schlauer als ich: Francisco Soriano, der für Frank Ocean den Clip zu “Lost” gedreht hat, postet ein Videostill aus der Werkhalle auf Instagram und spricht von einem video art project – löscht den Eintrag aber kurze Zeit später wieder.

Dafür tauchen Monate alte Tweets auf, in denen jemand von einer Barbekanntschaft erzählt, die wiederum davon berichtet, dass sie Frank Ocean beigebracht habe, wie man eine Treppe baue. Das wäre aber ein Geheimnis.
Das seltsame Gebilde, das in der Seitenperspektive am rechten Bildrand zu sehen ist und anscheinend aus vielen Boxen besteht, scheint jedenfalls ein Kunstwerk von Tom Sachs zu sein und trägt den passenden Titel Troyan’s . Es ist Teil seiner Ausstellung “Boombox Retrospective, 1999-2016”, die gerade im Brooklyn Museum gezeigt wird.

Fünf Stunden später erreicht mich dann endlich die beruhigende Nachricht, dass das Album am Freitag dieser Woche veröffentlich wird. Außerdem glaube ich nun, das ganze Spiel durchschaut zu haben: Das Video ist höchstwahrscheinlich schon vor Monaten gedreht worden, wird bis zur Veröffentlichung durchlaufen (auf der Homepage “Endless” untertitelt) und enthält offensichtlich wirklich musikalische Teaser aus dem Album – und ich vermute, dass Franks Bautempo folgende die Treppe just am Freitag fertig gestellt sein wird.

Und da ist Frank Punkt 15 Uhr auch schon wieder. Heute sägt er Metallrohre zurecht. Ich kann nicht anders als Frank Ocean meine Anerkennung dafür auszusprechen, dass er es geschafft hat, mich derartig aus dem Konzept zu bringen, dass ich stundenlang auf ein schlecht ausgeleuchtetes Video von einen Mann beim Handwerken gestarrt habe – und auch jetzt guck jetzt ab und an zu mal rein, um seine Fortschritte beim Basteln zu begutachten. Vielleicht auch, weil ich Menschen, die handwerklich begabt sind, unheimlich anziehend finde.

Ansonsten freue ich mich auf das sicherlich großartige Album.

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