At The B-Sites

“Das ist doch eine Erfindung der Kopfhörermafia!” Hinter den Kulissen des Silent Festivals

Ganz ehrlich? Gibt es etwas Dümmlicheres als Festivalberichterstattung? Immer wieder sieht sich der Leser gezwungen, selbst das fahrige Gequatsche darin zu decodieren. “Ausgewähltes Line-Up” bedeutet zum Beispiel zumeist: “Völlig egales Billing, was halt gerade noch fürs Budget zu haben war”. Während “das einzigartige Ambiente” in den allermeisten Fällen sagen soll “Mit ein paar Batterien Dixi-Klos, klobige Bühnen und Werbebanner wurde eine halbwegs interessante Naturkulisse verschandelt”. Diese journalistische Müllhalde gilt es zu umfahren, doch für das dieses Jahr leider wegen Rheinhochwasser abgesagte Silent Festival “At The B-Sites” in Köln macht Linus Volkmann eine Ausnahme. Denn: Leute treffen sich, um via Kopfhörer Open-Air-Konzerte zu genießen. Geht’s noch? Initiator Jens Ponke hat sich seinen Fragen ausgesetzt. Festivalberichterstattung mal anders, kaput macht’s möglich.

20160613_163357_resizedAlso als ich zum ersten Mal die Silent-Disco auf dem Berlin-Festival gesehen habe, dachte ich nicht: „Wow, wäre ich doch einer von diesen sich zu unhörbarer Musik wiegenden Leute!“, mir ging eher sowas durch den Kopf wie „Auweia, was soll das denn jetzt schon wieder sein?“ Hand aufs Herz, wie erinnerst du deine erste Begegnung mit dem Phänomen?
Jens Ponke: Machte mir keinen Spaß! Es ist so beliebig ist, welche Musik läuft. Es gibt ja keinen Fixpunkt, auf den man sich konzentrieren könnte. Vielleicht noch den DJ, den ich im Takt wippen sehe. Da stand für mich immer der Event als solcher vor der Musik.  Klar – den Vorwurf kann man uns auch machen aber bei einem Konzert macht dieses gewollte akustische Ausblenden der Umgebung absolut Sinn weil man ja den Künstler und damit die Hauptperson am anderen Ende der Leitung hat. Es filtert also eher das Störende heraus und lässt das Wesentliche übrig.

Ein Vorwurf meiner Eltern (Mormomen): Popkultur und laute Musik predige beziehungsweise schaffe Vereinzelung. Ein Festival mit Kopfhörer erscheint aber selbst mir leicht autistisch. Was wird aus den Unterhaltungen mit den vielen „Freunden“, für die man mühsam ein Loch in den Zaun des Geländes geschnitten hat?
Hmm – interessanter Ansatz. Hast Du denen mal Bilder von Festivals gezeigt? Mir ist da manchmal eher der Herdentrieb zu ausgeprägt. Und ja: Natürlich ist bei einem Kopfhörer-Konzert das Musik-Hören ein zentraleres Moment als bei vielen Großfestivals, bei denen manche Leute noch nicht mal das Line-Up kennen. Der Sound ist feiner, detaillierter und dazu richtig Stereo. Und was die Isolation angeht – deren Grad hat man ja selbst in der Hand: Beide Ohren und laut = Künstler & Du, ein Ohr abnehmen oder etwas leiser machen = Künstler, Freunde und Du. Kopfhörer absetzen = Freunde & Du. Und dann geht man trotzdem niemanden auf den Zeiger, der was hören will. Anbrüllen geht natürlich auch, macht aber keinen Sinn! Und ein richtig großer Vorteil ist: es klingt überall gleich. Vor der Bühne genau wie auf den übrigens wassergespülten Toiletten.

Es herrscht gemeinhin die Unterstellung, der Valentinstag sei eine Idee der Blumen- und Pralinenmafia. Wie stehst du zu der These Silent-Festivals seien eine Erfindung der Kopfhörerindustrie?
Da müssten die uns auf ganz perfide Art und Weise einer Kopfwäsche unterzogen haben. Ein wissentliches Gespräch mit einem Kopfhörer-Hersteller hatten wir jedenfalls bisher nicht. Ist auch Quatsch! Wir machen das nicht für irgendwelche Unternehmen, sondern weil wir es gut finden und die spezielle Art ein Konzert zu erleben, verbreiten wollen. Wenn sich da in Zukunft mal ein Hersteller meldet, hören wir uns das sicher an, aber wir sind weder davon abhängig noch legt uns jemand von denen am 19.06. jemand eine konspirative Dankeskarte unter die Fußmatte.

Wenn man sich so ein Event vorstellen möchte, kommt man doch gleich auf den Punkt, wie geht das? Steht bestimmt auch in den Geschäftsbedingungen und den FAQs, aber unsere Leser (mich eingeschlossen) sind zu schwach, die aufzurufen: Also wo stecke ich den Kopfhörer ein – oder kommt alles über CB-Funk oder Chip im Kopf?
Der Funkempfänger steckt in einer kleinen Box, die man sich um den Hals hängt oder in die Hosentasche steckt. Die kriegt man am Eingang. Daran kann man jeden Kopfhörer anschließen, den man auch per Kabel an sein Handy oder MP3-Player klemmen könnte. So hat jeder den Klang, den er gewohnt ist. Wer keinen Kopfhörer oder In-Ear hat oder den nicht gut findet, nimmt einfach unseren. Der klingt gut, ist bequem und beinahe gut aussehend. Eigene Funkkopfhörer sind für die Tonne, die werden nicht funktionieren. Und nein, wir benutzen natürlich kein Bluetooth…

Bei 3-D-Brillen im Kino ekelt man sich ja gern mal vor den dreckigen Augen des Vorbesitzers, bei Ohren ist alles doch noch fieser. Werden die Teile denn auch wirklich immer danach in Säure gewaschen oder ist das etwa Einweg?
Unser Equipment kommt komplett gereinigt. Wer den eigenen Kopfhörer mitbringt muss sich ja nur mit dem eigenen Ohrenschmalz auseinander setzen. Einweg ist sowie nichts davon – dafür ist der Kram viel zu hochwertig…

Hey, fair enough. Jens Ponke von At The B-Sites hat sich gestellt. Respekt, Alter. Daher sei auch noch der offizielle Trailer des Festivals verlinkt. Spoiler: Dort kommt das Konzept “Silent Festival” geiler rüber als die Erfindung von Penicillin. Urteilt (und vor allem hört) selbst. Allerdings leider nicht vor Ort. Wie gerade über den Ticker ging, muss die Nummer wegen Rheinhochwasser abgesagt werden. Dieses Jahr kein Silent Festival in Köln, better luck nächstes Mal.

Verlagssitz
Kaput - Magazin für Insolvenz & Pop | Aquinostrasse 1 | Zweites Hinterhaus, 50670 Köln | Germany
Team
Herausgeber & Chefredaktion:
Thomas Venker & Linus Volkmann
Autoren, Fotografen, Kontakt
Advertising
Kaput - Magazin für Insolvenz & Pop
marketing@kaput-mag.com
Impressum – Legal Disclosure
Urheberrecht /
Inhaltliche Verantwortung / Rechtswirksamkeit
Kaput Supporter
Kaput – Magazin für Insolvenz & Pop dankt seinen Supporter_innen!