FFS (Franz Ferdinand & Sparks)

Scheinwerferlicht geteilt durch zwei

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Collage: Sarah Szczesny

Ich erinnere mich an die irritierende Erfahrung, das erste Mal Sparks zu hören, irgendwann in den späten 80ern. Eine CD, die auf der falschen Geschwindigkeit lief, hatte es bis dahin noch nicht gegeben. War der Sänger Amanda Lear in reverse? Die Musik schien sich zu überschlagen wie ein Auto bei einem Verkehrsunfall. Sollte man das gut finden?

Heute gibt das digitale Archiv den Blick frei auf wollene Handschuhe in einem Fernsehstudio des Musikladens der 70er Jahre, die unbeweglichen Augen Ron Maels und John Lennons Ausruf „blimey – Hitler’s on the telly!“ – aus der Distanz von vierzig Jahren betrachtet, scheint es so, als gehorchte Popmusik damals dem Gesetz, larger than life zu sein statt einfach genauso langweilig wie du und ich. Diese Transzendenz des Alltags spiegelte sich auch in Texten, deren ironisiert-absurde Tendenz zum Grotesken dem Singer/Songwriter-Schwermut der damaligen Zeit eine wegwerfend-lustige Leichtigkeit gegenüberstellte. Allein die Zeile „I’m gonna hang myself from the family tree“ (aus “In My Family” von Kimono My House – übrigens das Album vom Anfang dieser Story, das ich heute toll finde) müsste es schaffen, jeden Selbstmordgedanken im Keim zu ersticken.

Von dieser Art doppelbödig aufgeladener Denkungsart profitieren heute auch Franz Ferdinand. Als Alex Kapranos auf der Suche nach einem Zahnarzt durch Los Angeles irrt, trifft er zufällig die Sparks. Ein großes Hallo, man kennt sich seit zehn Jahren und beschließt, die lange schon angedachte Idee eines gemeinsamen Albums in die Tat umzusetzen.
Über die genauen Umstände und Hintergründe der Zusammenarbeit und das Ergebnis „FFS“ erfahrt ihr alles und mehr im Video-Interview, das Roman Szczesny und ich mit Ron Mael von den Sparks und Bob Hardy von Franz Ferdinand unmittelbar vor ihrem Konzert in Köln führen konnten – und zwar genau hier:

In einer der ersten großen Stories wurden Franz Ferdinand äußerst publicitywirksam von Morrissey für den NME interviewt, circa 2004 muss das gewesen sein. Der „ehemalige Smiths-Sänger“ fragte die umjubelten Newcomer, ob sie viel Sparks gehört hätten. Ein ungemein genauer und konzentrierter Hörer – und einer, der sehr stolz auf sich war. Ron Mael bestätigt im Gespräch mit mir Ähnlichkeiten zwischen den Sparks und Franz Ferdinand, weshalb Morrissey Recht haben muss. Davon kündet ja auch „FFS“.

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Collage: Sarah Szczesny

Die große Frage des Abends: Wie würde das Album in einer Konzertsituation funktionieren? Insgeheim kann man sich durchaus vorstellen, dass Russell Mael eine alte Diva ist, der es schwerfällt, das Scheinwerferlicht zu teilen. Die alles, also diese monologische Diskussion beherrschende Frage lautet demnach: Ist Scheinwerferlicht durch zwei teilbar? Im Folgenden einige potenzielle Antworten:

  • Wenn Alex Kapranos von Franz Ferdinand fordernd die Arme hebt und sie langsam an den Körper heranzieht, ist das ein Signal für das Publikum, sich frenetischer aufzuführen. Der Sänger avanciert in seiner neuen Rolle zu einer Art Animateur, der sein Publikum dirigiert als befände er sich gerade auf einem Kreuzfahrtschiff.
  • Das ist so abwegig nicht, zeichnet sich die Musik von FFS durchaus durch einen gewissen BUMMS aus. Man ist geneigt, diesen Umstand den Sparks zuzuschreiben, die es schaffen, das Albernste aus FF rauszuholen. Tatsächlich tragen Alex und Gitarrist Nick McCarthy (letzterer singt eins der besten FFS-Stücke: „Things I Won’t Get“) hochgradig alberne rote Streifen an den Hosen. Das haben sie früher nie getan. Eine nicht zu unterschätzende Leistung, wenn man so kurzsichtig gewesen sein sollte, diese Band immer für Indie-Spießer gehalten zu haben, die ein paar okaye Songs aufgenommen haben.
  • In der direkten Konfrontation mit den sardonischen Kindsköpfigkeit von Ron und Russell Mael laufen FF zur ganz großen Form auf. Indem sie eine albern verzerrte Variante von sich nach außen kehren, finden sie zu ihrer wahren Mitte, esoterisch gesprochen.
  • Die Mitte ist auch das, wo sich die beiden an FFS beteiligten Bands treffen. So muss jeder die gleiche Strecke zurücklegen. Dazu passt, dass Russell Mael, und Alex Kapranos sich gegenseitig ansingen, was das interaktive Element hervorhebt. Hier findet symmetrische Kommunikation statt, in unterschiedlichen Tonlagen. FFS haben Spaß auf der Bühne, die beiden Sänger machen toll theatralische Gesten zwischen Choreographie und Spontaneität.
  • Ob Alex Kapranos in zwanzig Jahren auch asymmetrisch geschnittene Ponchos tragen wird? Die Symbiose von Sparks und Franz Ferdinand provoziert die existenziellsten Fragen.
  • FFS kolonisieren sich gegenseitig, beide sind Gewinner und Verlierer gleichermaßen. Ihr Aufeinandertreffen stellt Schnittstellen her, die sowohl vernetzen als auch verletzen. Sparks verlieren vielleicht ein paar Prozente Künstlichkeit zugunsten der Stabilität einer Rockband, Franz Ferdinand müssen Einbußen hinnehmen bezüglich Normalität und gewinnen in puncto Glamour.
  • Weiß das Publikum das auch? Die jungen und alten Leute reagieren zunächst verhalten auf monumentale Sparks-Klassiker wie „Number One-Song in Heaven“ oder „This Town Ain’t Big Enough For The Both Of Us“, was Zeremonienmeister Alex durch die oben beschriebene Geste mit den Armen aber zu korrigieren versteht. Natürlich werden die großen Sparks-Hits allesamt in tollen ambitionierten Versionen mit potenziertem Abgehfaktor gespielt.
  • „When Do I Get To Sing ‚My Way‘“ ist wahrscheinlich das einzige Lied, in dem sich Frank Sinatra und Sid Vicious begegnen dürfen. Als Sparks das Stück Mitte der 90er in der MTV-Sendung „Most Wanted“ performten, spielten sie als zweites Stück eine rudimentäre Version des damals aktuellen Whigfield-Hits „Saturday Night“ – eine strategische Entscheidung für Trashpop, deren symbolische Strahlkraft bis in die Gegenwart hinein reicht. Einer der Fernseh-Momente, die man nicht mehr vergisst. Haben Sparks heute Whigfield durch Franz Ferdinand ersetzt?
  • Dann wäre „Saturday Night“ „Take Me Out“, was Pi mal Daumen und mit Bohnen in den Ohren annähernd hinkommt. Beim Konzert fiel die stampfige Qualität besagten FF-Stücks auf. Tatsächlich wurde man dazu animiert, wild auf und ab zu springen, eine Mehrheit entsprach dieser Idee. Im Grunde vollzieht sich in dieser Bewegung genau das, was FFS ausmacht – die Gegenläufigkeit von Abheben und Bodenhaftung.

Zynische Menschen sehen in der Kollaboration von Franz Ferdinand und Sparks nur eine Strategie der Sparks, sich wieder bei einem jüngeren Publikum ins Gespräch zu bringen, um mit einem bereits in den Startlöchern stehenden neuen Album richtig abzusahnen. Ein trauriger Gedanke! Aber vielleicht auch nicht ganz abwegig. Bis dahin bleiben wir in unserem klimatisierten Elfenbeinturm und hören zur geistig-moralischen Erbauung das Kollaborationsalbum mit dem abwegigen Titel – Augenblick, ich muss eben nachgucken – FFS.

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Collage: Sarah Szczesny

 

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