Foals

„Herr Morrissey, konnten sie denn ihren Aufenthalt bei uns genießen?“

Paula kratzt sich gedankenverloren am Kopf und schaut sehr, sehr lange auf die glitzernde Oberfläche des Froschteichs, auf der Wasserläufer Kreise ziehen. Ihr Blick ist unergründlich, ihre Haltung entspannt. So sieht jemand aus, der in sich selbst ruht, der auf dem Boden geblieben ist, trotz Fame. Vor ein paar Monaten war sie noch auf riesigen Billboards in London und New York zu sehen; sie ist öfter mal von Stars umgeben, und gerade eben erst hat ein Instagram-Foto von ihr tausende Likes bekommen. Das ist ihr aber alles wurscht, genauso wie ihr kleines Gewichtsproblem. Wurscht, hat jemand Wurscht gesagt? Da sieht die Sache schon ganz anders aus – obwohl Morrissey höchstselbst sie zur Veganerin machen wollte. Für dessen letztes Album war sie auch Covergirl, daher die globale Präsenz. Ach ja, und Shakira, dieser angestrengten Jodlerin, hat sie mal genüsslich die Römersandalen zerkaut.

Paula ist ein brauner Labrador, ein Modehund der späten 90er, doch wo ihre Artgenossen servil um eine Steppwesten-Kleinfamilie herumtänzeln würden, liegt Paula in erster Linie in der Sonne, schaut betont verständnislos Bällen hinterher und schreitet jeden Morgen selbstständig ihr Hoheitsgebiet ab: Das Anwesen um die Fabrique, ein Studio in St. Remy in der Provence.

Ausgedehnte Wiesen, ein Pool, daneben eine überwucherte Hausruine, durch deren eingebrochenes Dach das Sonnenlicht fällt, irgendwo eine Koppel mit einem Esel und einem Pony, die ständig Ausbruchspläne hegen (nicht selten müssen Musikergäste helfen, das cheeky Duo wieder einzufangen), Pfade durch Bambuswäldchen, hier und da ein verrostetes Motorrad – wenn einem keine gute Interview-Frage einfällt, fragt man gerne mal nach dem Einfluss des Aufnahmeortes auf das Album, aber hier drängt sich dies auch tatsächlich auf. Denn das U-förmige Gebäude mit den graugrünen Fensterläden, die sich so fotogen gegen den Provence-Himmel abheben, beherbergt nicht nur das Studio und 12 Schlafzimmer, sondern zum Beispiel auch 200.000 Platten: Die Sammlung des legendären Musik-und Filmwissenschaftlers Armand Panigel, der hier bis in die 90er Jahre lebte.

Wer seine Kindheit nicht wie die Kinder von Hervé und Isabelle Le Guil, den Fabrique-Chefs, auf diesem Anwesen hier sondern in einem Reihenhaus mit Fünf Freunde-Büchern und Ausflügen ins Bonner Haus der Geschichte verbracht hat, kann so viel unmusealisierte Vergangenheitsdichte kaum fassen: Treppenhäuser mit Geheimzimmern, eine Scheune mit Flippermaschinen und Filmprojektoren, ein dreistöckiger Speicher voller Platten und riesiger Filmrollen aus den frühen Tagen des Kinos, dicht verstaubt – vieles, was hier oben lagert, ist noch nicht mal katalogisiert. Damit ist ein Praktikant gerade in Vollzeit beschäftigt.

Auf dem Weg vom Frühstück zum Studio schlängelt man sich durch Regale voller VHS-Kassetten mit TV-Mitschnitten, deren handbeschschriftete Label schon langsam verblassen, dann passiert man einen Teil besagter Plattensammlung. Jeder Arbeitstag beginnt quasi mit einem Gang durch die Musikgeschichte, aber nicht nur das: Das Herz des Studios, der Control Room, den man auch in Nick Caves Dokufiktion „20.000 Days on Earth“ sehen kann, ist bezeichnenderweise die alte Bibliothek. Hier läuft alles zusammen, hier steht zwischen Samtsesseln und 160.000 Büchern und Partituren – und noch mehr Platten – das große Aufnahmedesk, an dem sich in diesem Moment James Ford von Simian Mobile Disco als Produzent der Foals die Haare rauft. Im Nebenraum, durch den immer noch der alte Mühlbach fließt, baut die Band gerade 50er-Jahre-Mikros für den nächsten Vocal Take auf, daneben steht eine Art Spinett, dahinter eine Sammlung Grammophone. Die Spielzeuge in diesem Audio-Wunderland sind im Vergleich zu dem Boden, auf dem man sich bewegt, aber noch sehr jung: Quer durch den Raum laufen die Steinfurchen einer Ölpresse aus dem Mittelalter, die Hervé und sein Sohn entdeckt haben. Und in dem Gebäude, das darüber gebaut wurde, wurden die Uniformen für Napoleons Armeen gefärbt. Es spukt also beileibe nicht nur Panigel durch seine Archive.

Vielleicht, denke ich, sollte man es angesichts so vieler Geschichten gleich ganz umdrehen und zur Abwechslung mal mit dem Studio statt mit der Band sprechen. Deshalb setze ich mich zu Hervé und Paula an den Teich, und während es immer dunkler wird und die liebestollen Frösche, die nun auf dem neuen Foals-Album verewigt sind, immer lauter quaken, erzählt Hervé folgendes:

Foals_Dana_Studio_6„Ich war früher selbst Toningenieur und Produzent; mit 25 hatte ich mein erstes Studio, in einem alten Kino in Paris. Nach fünfzehn Jahren hatte ich aber Lust auf etwas Anderes und hatte die Idee, ein internationales Residential Studio zu eröffnen, also ein Studio, in das Musiker nicht nur zum Aufnehmen kommen, sondern länger dort wohnen und arbeiten. Nach langen Planungen, Kalkulationen und einigen missglückten Versuchen – der Bürgermeister von Aix en Provence zum Beispiel wollte uns schon mal nicht – haben wir durch einen Freund dann diesen magischen Ort hier entdeckt. Es fühlte sich alles ein bisschen wie Vorbestimmung an: Nachdem er uns von der Fondation Panigel und dem Gebäude erzählt hatte, mussten wir ja an Informationen kommen, was in den 90er Jahren noch gar nicht so leicht war wie heute. Aber als ich während eines Meetings in Paris mit dem Manager einer Rock´n´Roll-Band das Thema bei einem Telefonat anschnitt und dieser das zufällig hörte, rief er nur: ‘Oh, La Fabrique! Das war das Haus meines Großvaters.“ Er mochte meine Pläne, und so fing alles an.

Foals_France_10Als wir hier angekommen sind, war der ganze Park wie ein Dschungel. Vom Haus war kaum etwas zu sehen, die Pflanzen rankten bis in die Räume im zweiten Stock, in denen ihr schlaft; am Ende hatte hier nur noch die Witwe von Armand Panigel alleine gelebt. Mein Sohn war zwar erst 13, als wir ankamen, aber er half mir, das Haus und das Gelände im Lauf der Jahre zu renovieren. Es gab hier so viel zu entdecken – und so viel zu tun. Wir haben, nur mal als ein Beispiel, auch alle Klempnerarbeiten selbst gemacht. Seit 2010 veranstalten wir hier einen Workshop für Produzenten namens „The Masterclass“. Das läuft sehr gut, aber unter uns: so ein Studio ist kein Ort, mit dem man Geld verdienen kann. Wir investieren alles wieder in neues Equipment, neue Projekte oder eben das alte Haus selbst.

Es mag technisch nicht das beste Studio der Welt sein, aber für die Genese von Musik ist es eines der schönsten. Es ist ein ganz spezieller Ort, um zu komponieren und Texte zu schreiben. Hier kann sich jedes Bandmitglied woanders aufhalten, wenn es denn will, der Schnitt des Hauses und des Geländes lässt das ganz natürlich zu. Das gilt analog auch für die Aufnahmen, jeder Ort bietet andere akustische Möglichkeiten, in der Mühle klingt es anders als im alten Treppenhaus oder in den hölzernen Räumen. Ich sprach die Tage mit einem französischen A&R und er meinte lapidar zu mir, dass er für den Preis ein besseres Studio mieten könne. Ich erwiderte, dass es hier um die Umgebung und die Atmosphäre ginge und nicht um das Equipment, doch das verstand er nicht, er meinte, dies könne man ja nicht hören. Nun, das sehe ich ganz anders.

Die Pflanzen, die noch immer auf dem Gelände wachsen, wurde früher dazu benutzt, rote Farbe zu gewinnen, unter anderem für die Färbung der Uniformen von Napoleons Soldaten. Er wollte, dass seine Soldaten rote Uniformen tragen, damit man es nicht sehen konnte, wenn sie verletzt wurden und bluteten – das ging aber nach hinten los, da sie dadurch gleichzeitig zu gut sichtbar wurden.

Das heutige Hauptgebäude ist von 1819; nachdem es lange diese Färberei war, wurde es zu einer Farm. Für mich ist klar, diese Geschichte schwingt genauso mit wie all die Gegenstände, wenn die Musiker hier aufnehmen. Hier gibt es so viel zu entdecken für sie; wir wissen gar nicht, was hier alles rumliegt. Auf dem Speicher sind Kopien von Renoir-Filmen, von Fritz Lang-Werken, aber auch so viele noch gar nicht gesichtete Filmrollen. Heutzutage sind Musik und Film nicht mehr so sehr an ihre Materialität gekoppelt, aber es gibt eine Sehnsucht danach, das kann man nicht nur am Vinylrevival sehen.

Foals_Dana_Studio1Morrissey, der für sechs Wochen bei uns war, ist ja eher ein ruhiger Typ. Jeden Tag hatten wir dieselbe Konversation: „Wie geht es dir?“, „Danke der Nachfrage, mir geht es gut.“ Am letzten Tag tranken wir dann eine Flasche Champagner zusammen und schließlich fragte ich ihn: „Herr Morrissey, konnten sie denn ihren Aufenthalt bei uns genießen?“. Er antwortete: „Nein“, und fügte nach einer längeren Pause hinzu: „es war ekstatisch.“ Nick Cave und Herbert Grönemeyer sagten ähnliches zu mir. Ich glaube, jeder, der hierher kommt, hat eine sehr persönliche Erfahrung. Herbert brachte seine ganze Familie auf Urlaub mit.

Ich mag es sehr, zu sehen, wie hier zeitgleich verschiedene Sachen passieren. Während der ersten Woche, in der die Foals hier waren, war auch noch die französische Künstlerin Camille da und arbeitete mit Hans Zimmer am Soundtrack zur Verfilmung von Antoine de Saint-Exupérys Petit Prince. Ich würde gerne öfter Zusammentreffen von Bands fördern, La Fabrique zu einem Ort des Austausches machen. Andere Projekte gibt es auch: So haben wir letztes Jahr ein Festival namens ‘Festival de la Bande Original’ (dt. ‘Soundtrack Festival’) organisiert, bei dem es jede Nacht ein Konzert im Hof gab mit anschließendem Dinner, zu dem wir dann einen 35mm Film gezeigt haben.

Wir planen auch eine Radioshow, bei der nie derselbe Song zweimal gespielt werden soll – bei einer solchen Sammlung leicht möglich. Und nicht zuletzt kann man hier eine Art Vergleichende Musikwissenschaft betreiben – studieren, wie ein Song und seine Strukturen von unterschiedlichen Künstlern und Orchestern immer wieder neu interpretiert wurde. Das hat schon Panigel fasziniert. 38 Jahre lang dachte er jeden Sonntag im Radio darüber nach. Es gibt keine andere Art, Musik zu hören, als über den Weg der Interpretation.“

Später zeigt Hervé noch eine stolze Sammlung leerer Wein- und Champagnerflaschen, auf denen die Musiker und Produzenten immer am letzten Tag ihres Aufenthalts unterschreiben. Die Art, wie dieses Gästebuch in Flaschen hier jeden freien Quadratzentimeter in der privaten Küche einnimmt, ist bezeichnend dafür, wie eng das Leben der LeGuils mit ihrer Arbeit verknüpft ist – man ist hier tatsächlich in die Familie integriert, bis hin zum Grillabenden auf der Terrasse.
Isabelle erzählt zum Thema Rockstars am Küchentisch noch ein paar Anekdoten: Als Morrissey darauf bestand, nur von Silberbesteck zu essen, kam Oma Le Guil mit dem Auto den ganzen Weg aus Paris , um kurzerhand ihres vorbeizubringen – und alle tierischen Produkte mussten aus dem gesamten Haushalt weichen. Es ist nicht überliefert, ob Paula sich tatsächlich an dieses Ernährungsreglement gehalten hat. Sicher ist aber, dass sie schon wieder 15 Sekunden Berühmtheit eingefahren hat: In Créme Anglaise, einem Making-Of zum Foals-Album „What Went Down“, schaut sie sehr lange melancholisch in die Kamera – einem Monstrum aus den späten 80ern übrigens, dessen körnige Homevideo-Bilder auch irgendwo in der VHS-Sammlung nebenan zu finden sein könnten, passend zu all den Loops und Schichten aus Geschichte hier.

 

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