Hieroglyphic Being

Die Sonne über Ägypten

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Jamal Moss aka The Hieroglyphic Being (Photo by Thomas Venker)

„Was bitte schön soll Afrofuturismus sein?“, fragt Jamal Moss mich wild gestikulierend. Der aus Chicago stammende Musiker kann seinen Ärger kaum verbergen. Vor wenigen Minuten hat er beim Moogfest in Durham, North Carolina eine dieser Podiumsdiskussionen hinter sich gebracht, wie sie mittlerweile zu jedem Festival dazu gehören, um für den angemessenen theoretisch-intellektuellen Überbau zu sorgen. Gemeinsam mit Reggie Watts, Christian Rich, Janelle Monáe und Kimberly Drew sollte er sich Gedanken zum Zusammenspiel von Science Fiction, Astral Jazz, Psychedelic Hop und einigem mehr machen – aber zu seinem Missfallen unter strikt afroamerikanischem Blickwinkel. „Warum sprechen wir nicht einfach über die Zukunft von uns allen? Immer diese Segregation!“, legt er nach.

Es wird nicht das einzige Thema bleiben, das der 43jährige während unseres Gesprächs mit Verve vorbringt – und ehrlich betrachtet ist es ohnehin weniger ein Gespräch als geradezu ein regelrechterr Vortrag von ihm, zwischen dessen Worte kaum ein Lufthauch passt und schon gar keine Replik von mir. Moss, der sich als Musiker zumeist Hieroglyphic Being nennt, ist eine einzige Naturgewalt, ein nicht enden wollender Bewusstseinsstrom, auf den sich einzulassen notwendig ist, um sich seiner Musik anzunähern. „Vielen Leuten gelingt es heutzutage nicht mehr, sich mit ihrer eigenen Existenz zu beschäftigen“, fährt er fort. „Sie werden vom Fernsehen, vom Radio und all diesen anderen Marketingmaschinen da draußen abgelenkt. Deswegen können sie dem Klang des Universums nicht zuhören. Wenn man dies aber nicht macht, dann lebt man im Chaos.“

Moss, der bei Adoptiveltern aufgewachsen ist, bevor er aufgrund unterschiedlicher Auffassungen mit seinen Eltern über seine Zukunft (einen anständigen Beruf lernen versus Musik machen) früh von Zuhause auszog und auf der Straße lebte, existiert freilich mittlerweile im Einklang mit dem Universum. Alles was er macht, ist gemäß des kosmischen Kalenders ausgerichtet. „Ich bin eine Sonne, ein Planet, ein Mond“, gibt er zu verstehen, „und ich weiß genau, was ich in meinem Leben verwirklichen will, bevor ich zu einem schwarzen Loch werde oder zu einer Supernova oder zu Staub.“
Man kommt nicht umhin, den großen amerikanischen Jazzmusiker Sun Ra zu erwähnen, wenn man über Moss und sein Hieroglyphic Being spricht. Sun Ra behauptete, vom Saturn zu stammen, und kultivierte mit seinem Orchester unter Rückgriff auf altägyptische Sagen und Stilelemente einen freejazzigen Soundtrack zu seinem unter dem Leitmotto „Space is the place“ vibrierenden Afroeskapismus. Moss, der grundsätzlich nur Schwarz trägt, folgt zwar nicht der Farbenfreude des Auftretens von Sun Ra. Der musikalische und überbauliche Einfluss ist aber offensichtlich von Sun Ra inspiriert – und ebenso von Musikern wie Miles Davis, John Coltrane und Thelonious Monk, den Werken früher Soulsänger sowie von Genres wie Noise, Industrial, Detroit Techno und Chicago House (genährt durch seine Ziehväter Adonis und Steve Pointdexte, die ihn von der Straße holten). All dies hat Moss über die letzten zehn Jahre unter seinen Projektnamen Africans With Mainframes (mit Noleian Reusse), Insane Black Men (IBM) und Hieroglyphic Being in ein beeindruckendes Opus eingebracht, mit Veröffentlichungen auf so namhaften Labels wie Soul Jazz Records, Planet Mu, RVNG Intl. und seinem eigenen Imprint Mathematics Recordings.

Die Musik von Moss ist ein wahrer Abenteuerspielplatz, auf dem die Rhythmen wild miteinander rumtollen. Ein Wort wie Polyrhythmik ist nicht in der Lage die Vielschichtigkeit der Arrangements angemessen wiederzugeben, ebenso wie Reflektion und Bewegung nur die Pole der Wirkungspalette seiner Musik sind. „Es hat mich immer schon zu Musik hingezogen, die nicht im Radio läuft“, beginnt Moss den Blick auf sein eigenes Werk. „Die meiste Musik ist kommerziell und wird dementsprechend nach den immer gleichen Prinzipien hergestellt. Mich aber interessiert alles, was abseits der Norm stattfindet.“

Während sein letztes Album “We Are Not the First”, das er gemeinsam mit J.I.T.U Ahn-Sahm-Bul und einer Band aufgenommen hat, zu der unter anderem auch das Sun Ra Arkestra Mitglied Marshall Allan gehörte, sehr freien elektronischen Jazz im Geiste von Übervater Sun Ra präsentierte, so knüpft er mit „The Disco’s Of Imhotep“ (das auf Ninja Tune erscheint) an seine lange Historie von Clubproduktionen an. Bei Imhotep handelt es sich um einen altägyptischen Baumeister, der 2700 vor Christus gelebt hat, und später als Heilgott und Friedensbringer verehrt wurde. Mit den neun Tracks des Albums arbeitet Moss sich am Leben des Erfinders der ägyptschen Schrift und Medizin ab, in dem er die Erzählstränge sensibel musikalisch aufgreift und dabei kristallklaren Techno neben pumpende Housetracks, atmosphärische Soundscapes, feingliedrige Deephouse- und abstrakte Disco-Tracks stellt. Das Faszinierende an der Musik des Hieroglyphic Being ist, wie sich all diese unterschiedlichen Identitäten des Dancefloors zu einem stimmigen Gesamtbild zuammenfügen, ganz so wie sich eine Gruppe von Charaktere per Dialog zur Gemeinschaft formt.

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Moss gesteht, sich selbst immer gefragt zu haben, wo all diese polyrhythmischen Strukturen und unterschiedlichen Einflüsse in seiner Musik herkämen. „Ich habe keine wirkliche musikalische Ausbildung genossen und eigentlich keine Ahnung von Dingen wie Noten und Akkorden. Das ganze musikalische Bingo ist mir fremd. Es muss also einen genetischen Grund dafür geben, warum ich all das kreieren kann.“ Um dieses Rätsel zu lösen, habe er erst neulich eine DNA-Untersuchung in Auftrag gegegen, mit dem für ihn dann wenig überraschenden Ergebnis, dass er in sich Anteile aus dem Senegal, Nigeria sowie ost- und nordafrikanischen Ländern trage, aber auch aus Finnland, Russland und Irland.

Moss beendet seinen einstündigen Monolog mit der erstaunend konventionellen Beichte, dass er sich nach einer Familie sehne. Denn solange er keine Frau und Kinder habe, könne er sein Lebenswerk, seine „sonische Bibliothek, die aus dem Dialog mit der Galaxie entstanden ist“ nach seinem Tod nicht in die richtigen Hände übergeben. Sorgen, die – bei aller Kritik an dem dahinter hervorkommenden konservativen Wertekosmos – immerhin von ihm kreativ auf dem neuen Album in so mitreißenden Stücken wie „The Shrine Of The Serpent Goddess“ und „The Way Of The Tree Of Life“ manifestiert wurden. Bei ersterem handelt es sich auf dem Papier lediglich um das einminütige Intro in das Album. Doch es ist so viel mehr als nur das: Die verführerische Melodie jener Schlangengöttin ist Moss Lockruf in seine Welt. Und „The Way Of The Tree Of Life“ ist die Hymne an sein Leben: Mächtig und selbstbewusst tritt er hier auf, zeigt sich mit dem leicht stolpernden Beat, kongenial umgeben von nicht dekodierbaren Stimmgewirr aber auch sensibel für die Verwirrungen und den Ballast, den das Leben für uns alle oft bereit hält und macht so um seine Verletztlichkeit kein Geheimnis. Das Stück, das in jeder Pore seiner Essenz Detroit Techno atmet, ist letztlich aber vor allem eins: eine wunderbare Ode an die Existenz.

 

Der Beitrag ist in leicht modifizierter Form ursprünglich in der Kölner Stadtrevue erschienen.

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