Klagenfurt von unten

„Ich hatte nie große Angst vor Konfrontation“ – Ein Chat mit Stefanie Sargnagel

Jeder, der sich längerfristig im Internet aufhält, stößt zwangsläufig auf Katzenvideos, Abo-Fallen … und Stefanie Sargnagel. Die 31-jährige Wiener Autorin gibt es jedoch auch in echt. Neben der Veröffentlichung mehrerer Bücher und Comics hat Sargnagel das postmoderne Kunststück vollbracht, es durch humorvolle wie offensive Facebookbeiträge zum Ingeborg Bachmann-Preis zu schaffen. Dem Olymp der deutschsprachigen Literaturwelt. Dort räumte sie 2016 den Publikumspreis ab und wurde damit zur Stadtschreiberin der Stadt Klagenfurt.

Von ihrer Stadtschreiberwohnung im Wörthersee-Idyll aus textete sie mit unserem Autor Florian Kölsch.

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Wann genau ist „Frühstückszeit“? Gute Frage eigentlich. „Zur Frühstückszeit“ war nämlich der Beginn des Chatinterviews festgelegt. Während der Autor dieser Zeilen eben jene erste Essensaufnahme am Tag in typisch deutscher Manier schon um 8 Uhr einläuten ließ und sich mit einem unruhigen „Hey, schreib dann einfach wenn du ready bist – ja?“ an die österreichische Interviewpartnerin wendete, gab es von eben jener erst um Punkt 10:30 Uhr die ersten Lebenszeichen.

Stefanie Sargnagel: Hehe, ja sorry. Hab ur lang geschlafen. Gib mir noch 15 Minuten, dann bin ich ready.

15 Minuten später.

Geht bei mir.

Juhu! Ich habe mich heute Morgen schon gefragt, ob diese Angabe „zur Frühstückszeit“ sonderlich zielführend ist.
Ja, stimmt, wir haben nix konkretes ausgemacht. Habe mich selbst auch gefragt. Habe überraschenderweise 10 Stunden geschlafen.

Hast du gestern getrunken? Oder warst du einfach voll müde.
Nichts von beidem. Vielleicht ist irgendetwas seltsames passiert in der Nacht. Ein leichter Schlaganfall oder so.

Quatsch. Du hattest bestimmt einfach Schlafbedarf.
Vielleicht. Ich schlafe schlechter, wenn ich abends Zigaretten rauche.

In deinem neuen Buch „Statusmeldungen“ schreibst du an vielen Stellen, dass du weniger trinkst. Rauchst du jetzt auch weniger?
Ja, ich trinke nur noch sehr selten etwas, rauchen tu ich aber immer noch fleißig. Ich habe mir abgewöhnt nach jeder Lesung etwas zu trinken, das war zu anstrengend.

Eben jenen Übergang in deinem Leben kann man wirklich gut in dem Buch beobachten. Es dokumentiert einen Schritt zur Professionalisierung in deinem Beruf als Autorin.
Ja, ich fühle mich auch recht professionell. Ich habe im letzten Jahr sicher sechzig Lesungen gemacht – also wahrscheinlich noch mehr, ich habe jetzt nicht genau nachgezählt. Wenn ich nach jeder Lesung weiter mit allen saufen gehen würde, wäre ich irgendwann einfach ziemlich ausgebrannt. Das liegt aber auch viel daran, dass man als Autorin auf Lesereisen meistens alleine unterwegs ist. In Zukunft nehme ich ja Support mit, das ist gleich ein ganz anderes Gefühl.

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Die Autorin Puneh Ansari wird dich begleiten, richtig?
Im Oktober kommen die Rapperinnen von Klitclique und im November dann die Puneh Ansari mit.

Puneh Ansari macht ja auch etwas sehr Interessantes mit Sprache – ihre Texte lesen sich sehr ungewöhnlich. Genau wie deine. Du wählst interessante Wörter. Dieses Mal ist im Buch sogar ein Glossar dabei, das Wörter aus dem Österreichischen, aber auch Neologismen wie „ansellnern“ erklärt.
Punehs Sprach ist genial, ich bin immer sehr fasziniert von ihren Formulierungen. Das Glossar hat der Verlag vorgeschlagen. Da es so etwas bei den Kinderbüchern von Christine Nöstlinger auch immer gab, fand ich die Idee charmant.

Sprengt die Form deiner Texte – also die des Facebook-Eintrags – auch weiterhin noch die Erwartungen vieler Leser?
Ich glaube schon, dass die Leute total fixiert sind auf Romane. Also bei den Rezensionen habe ich zum Teil das Gefühl: „Hä? Warum beurteilt der/die das jetzt nach Romankriterien?“. Literatur kann ja auf Milliarden Arten daherkommen. In den 1970ern gab es viel mehr Raum für ungewöhnliche oder experimentelle Literatur im Mainstream.

Blieb eine Aussage eines Rezensenten besonders bei dir hängen?
Im „Tagesspiegel“ war ein Satz, den ich mochte. Es war so auf die Art: „Ist das Literatur, Satire oder Journalismus? Ist doch egal!“.

Stimmt schon – viele Menschen im deutschsprachigen Feuilleton denken trotzdem immer noch in vorgegebenen Schemata und unterscheiden sehr stark zwischen E- und U-Kultur. Wenn etwas unterhaltend ist, ist es für viele nicht mehr eloquent genug – das trifft dann manchmal wohl auch deine „Statusmeldungen“.
Ja, das habe ich schon von vielen Seiten gehört, dass der deutschsprachige Raum da ein besonders eigenes Verständnis hat. Irgendwelche Muster werden die Leute immer brauchen. Aber manchmal ändern sich halt auch die Muster. Und es ist ja wohl klar, dass durch etwas wie Bloggen Neues entsteht.

Siehst du einen großen Kontrast zwischen den Buchbesprechungen von deutschen im Vergleich zu österreichischen Zeitungen?
Der Kontrast war im letzten Jahr vor allem die Fixierung der Deutschen auf das Fäkale und das Derbe sehr sichtbar. Während meine Arbeiten in Österreich eher als berührend, beobachtend, beschreibend und poetisch rezensiert werden, wurde in Deutschland vor allem das Wütende, Prollige und eben das Fäkale und Derbe hervorgehoben.

Wie kommt es deiner Meinung nach dazu?
Ich glaube, das Fäkale und Derbe, das Wütende und Prollige sind in der österreichischen Kulturszene einfach normaler. Ich finde es sowieso seltsam, wenn meine Dinge als „prollig“ oder „laut“ bezeichnet werden. Als würde ich die ganze Zeit in Großbuchstaben schreiben. Es ist halt ehrlich, aber nicht unbedingt laut. Ich denke bei Frauen, die sich stark mitteilen kommt schnell mal: LAUT und SCHRILL.

Siehst du diese Wahrnehmung eher mit deiner Rolle als Frau in der Öffentlichkeit verbunden? Oder einfach damit, dass viele Deutsche nicht damit umgehen können, wenn vermeintlich Fäkales oder Prolliges direkt angesprochen wird. Eben auch wegen der fehlenden, direkten künstlerischen Tradition wie in Österreich.
Beides. Also mein Geschlecht wird viel stärker thematisiert seit ich nicht nur in Indie- oder Hipstermedien rezensiert werde, sondern auch im bürgerlichen Feuilleton. Und ja, das Fäkale wird in Deutschland ganz anders angenommen, weil in Österreich das „Grauslige“ einfach Tradition hat.

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Dein Geschlecht spielt jetzt auch in „Statusmeldungen“ noch einmal eine verstärkte Rolle. Das Buch hast du der Burschenschaft „Hysteria“ gewidmet und in einem starken Epilog rufst du das „Goldene Matriarchat“ aus.
Also das mit dem „Goldenen Matriarchat“ ist die Gehirnwäsche durch „Hysteria“. Dass ich selbst solche Themen mehr thematisiere, ist, glaube ich, auch einfach eine Folge der ganzen sexistischen Shitstorms und Feuilleton-Artikel, die ich auf mich zukamen.

Der Epilog nimmt ja schon sehr deutlich Bezug auf den Artikel von Richard Schmitt in der Kronen-Zeitung und das darauffolgende „Babykatzengate“.
Ja, den Epilog habe ich nach den Attacken geschrieben. Ich habe ihn vor allem reingetan, weil ich den Text sehr mag – ich mag das Manifest-artige.

Deine Posts zur ganzen Geschichte mit der Kronen-Zeitung im März dieses Jahres sind zwar nicht im Buch abgedruckt – aber dennoch. Wie sehr haben diese Ereignisse deine Herangehensweise an das Posten wie auch deine Rolle als Autorin geprägt?
Ich hatte noch nie große Angst vor Konfrontationen mit vermeintlichen Autoritäten, da bin ich sehr unbeschwert. Es stachelt mich gewissermaßen an, wenn die Krone in Kombi mit der FPÖ versucht, mich gezielt fertig zu machen. Das bedeutet ja, dass sie mich offenbar als echten Störfaktor wahrnehmen – was mich wahnsinnig motiviert.

Auch sie erkennen die immense Reichweite, die du inzwischen hast. Doch der Krone-Artikel, wie auch der Krone-Kärnten-Text, der einen Hinweis auf deine Klagenfurter Wohnung enthielt, haben die Meinungsmache gegen dich in neue, unschöne Dimensionen getrieben. Du wurdest nicht nur in öffentlichen, sondern auch in der privaten Szene attackiert.
Das Ding ist: Wo die Stadtschreiberin wohnt ist öffentlich bekannt. Trotzdem ist diese Gehässigkeit, extra darauf hinzuweisen, schwer begreifbar für mich. Ich bekomme seitdem auch Aussendungen von Neonazis. Die rechtsextreme AFP (kurz für: Arbeitsgemeinschaft für demokratische Politik) schickt mir nun regelmäßig ihre wirren Zeitschriften. In der ersten Zusendung war ein Artikel über mich, ähnlich dem in der Krone, wieder mit dem Hinweis auf die Stadtschreiberwohnung. Ich überlege übrigens seit Tagen bei der Metallbaufirma, die den Herausgebern gehört, anzurufen und ganz unschuldig zu fragen, warum sie mir das schicken. Ein anderes Motiv als Einschüchterung erkenne ich dahinter nicht.

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Stefanie Sargnagel ruft tatsächlich während des Gesprächs in der Firma des Herausgebers an, kommt sogar einmal durch, sei aber „falsch verbunden“ und man würde sie weiterleiten, was nicht passierte. Bei den weiteren Anrufen wird gar nicht erst abgehoben.
Dann versuche ich es ein andermal. Die Zeitschrift ist halt gar nicht okay, so eine DIY-Nazizeitung. Die AFP sind übrigens diejenigen, die wir mit „Hysteria“ aus ihrem Keller in Wien geworfen haben. Dort ist jetzt die neue Hysteria-Bude drin.

Dann wissen die wohl ziemlich sicher an wen sie das alles schicken. Aber gut – politisch bist du ja inzwischen eh geworden.
Ja, aber ich finde zu viel Politik in der Kunst auch langweilig. Politik ist zu profan. Andererseits habe ich immer schon aktivistische Tendenzen gehabt, jetzt mit mehr Öffentlichkeit macht das natürlich mehr Spaß.

Das Buch beginnt Mitte 2015 – eine Zeit die medial stark durch die Flüchtlingsbewegungen geprägt war. Du hast dich da auch stark engagiert und auch viele Posts dazu gemacht hast.
Das mit den Flüchtlingen ist ja auch eine interessante Story gewesen. Aber ich will jetzt nicht auf eine „gegen rechts“-Autorin reduziert werden. Ich habe viele Themen – und politisch kann ich ja mit meiner Burschenschaft sein. Ich mag es nicht, wenn man meine Texte dann zu linken, feministischen Texten reduziert. Das wäre mir zu plakativ. Aber klar: Je mehr ich auf dem Gebiet attackiert werde, desto mehr wird das für mich zum Lebensthema.

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Autor Florian Kölsch traf Sargnagel bereits 2016 erstmalig beim Trekking durch Myanmar

Reduzieren sollte man dich eh nicht – aber ist der Buchtitel „Statusmeldungen“ nicht irgendwo eine Selbsteinschränkung deiner Texte auf deren Urform als Social Media-Posts?
Der Titel war nicht meine Idee und genau das war eigentlich auch mein Argument gegen die Wahl dieses Titels.

Autsch. Also eine Idee vom Verlag?
Ja. Ich meinte, dass man es sofort mit Facebook assoziiert, aber der Verlag meinte dem sei nicht so. Meine Wunschtitel waren „Tabletten“ oder „Stress“, aber sie meinten das ginge vom Vertrieb her nicht. Ich fand „Statusmeldungen“ dann im Endeffekt doch recht neutral und mir fiel dann auch kein besserer ein. Vielleicht hätte ich aber auch beharrlich sein sollen. Aber es ging auch viel Verwechslungsgefahren, weil „Stress“ und „Tabletten“ so allgemeine Titel sind.

„Fitness“, der Titel deines zweiten Buches, war ja auch recht allgemein.
Ich mag solche Schlagwort-Titel. Und „Stress“ oder „Tabletten“ wären auch die logische Abfolge von „Binge Living“ und „Fitness“ gewesen: Verschwendung, Training und dann funktionieren.

„Statusmeldungen“ als Komplettwerk ist schon ein Dokument eines immensen Lebenswandels – vor allem verglichen mit den beiden Vorgängern.
Ja, das ist aber auch irgendwie normal. Ich habe das Gefühl 80% meines Umfelds machen jetzt Therapie. Dass man als Mittzwanziger einen anderen Lifestyle hat als mit Anfang 30 – daran kommt man nicht wirklich vorbei. Außer man hat sehr gute Gene.

„Binge Living“ geht halt irgendwann nicht mehr.
Zumindest nicht so halb amüsiert.

Denkst du eigentlich, du wärest nun bereit dafür, ein Buch in einem längeren Fließtext zu schreiben?
Ich weiß nicht, das impliziert schon wieder, dass das das Endziel wäre. Ich würde fast lieber Richtung Kunstbuch gehen: Mehr Zeichnungen, weniger ausgewählte Texte. Aber vielleicht arbeite ich auch noch meine Jugend auf. Ich habe einen alten Blog voller verrückter Jugendgeschichten. Den müsste man textlich aber noch stark bearbeiten für eine Buchform. Die Geschichten sind aber sehr abenteuerlich – mein Alltag zwischen 16 und 20 Jahren. Da habe ich viele arge Sachen erlebt.

Das könnte sicherlich auch als eine gute Einordnung für deine darauffolgenden Texte dienen.
Ja, aber es wirklich nicht so schön aufbereitet wie meine Statusse. Ich müsste schon daran herumfeilen und auch ein bisschen mit dem Verlag sprechen. Da würde ich mir aber zwei Jahre Zeit lassen. Es wäre aber schon gut und ich fände es auch sehr spannend. Ich bin viel alleine gereist und es waren schon interessante Geschichten gewesen. Einmal hat mich ein Verrückter versucht umzubringen, wovon ich immer noch eine Messernarbe auf der Hand habe.

Das hattest du mir schon einmal erzählt – arge Geschichte.
Mein Alltag jetzt ist halt sehr langweilig, da müssen jetzt die anarchischen Jugendjahre herhalten. Wo ich mich sehr wiedererkannt habe ist das Comic „Heute ist der letzte Tage vom Rest deines Lebens“ von Ulli Lust. Kennst du das?

Nein, noch nie gehört.
Das find ich ganz toll und es beschreibt eine ähnliche, abenteuerlustige Scheiß-drauf-Mentalität, die ich damals auch hatte. Mit der man einfach in die ärgsten Situationen gerät, weil man jung und neugierig ist.

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Sargnagel umringt von friends im Kinderzimmer von Linus Volkmann

Hoffentlich gibt es viele Zeichnungen dann. Davon hätten es in „Statusmeldungen“ gerne mehr sein können, finde ich. Hast du heute noch viel zu tun? Wieder Interviews oder so?
Nein, die heiße Interviewphase ist vorbei. Ich erledige ein paar Sachen, dann fahr ich mit dem Fahrrad herum und erforsche die Klagenfurter Umgebung.

Fahrradfahren, in die Natur, gesunder Schlaf – das ist ja mal echt ein Lebenswandel. Hab’s fein!
Ich bin jetzt quasi auf Urlaub bis Ende September. Freu mich darauf. Okay, ciao.

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Info:
„Statusmeldungen“ erschien bereits am 21. Juli im Rowohlt Verlag. Die beiden vorherigen Bücher „Binge Living“ und „Fitness“ erschienen in der Redelsteiner Dahimène Edition.

Stefanie Sargnagel ist zudem im Herbst 2017 auf ausgiebiger Lesereise durch Deutschland.

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