Museum of Trance bei der Ghetto Biennale

“Ich lebe in einem Haufen Müll aus den 90ern”

Die Video- und Installationskünstlerin Henrike Naumann und der Musiker Bastian Hagedorn wurden eingeladen nach Port-au-Prince, Haiti, um im November an der diesjährigen Ghetto Biennale teilzunehmen. Ihre Idee, dort das semi-fiktionale Museum of Trance zu eröffnen. Das sich mit der Geschichte der deutschen Trance-Bewegung auseinandersetzt. Dabei aber den Clash sucht und haitianischen Vodou-Trance mit dem deutschen Trance clashen lassen möchte. Das Projekt bezieht so hiesige Künstler und Musiker mit ein, verhandelt Postkolonialismus, Self-Othering und das spirituelle Potential der Rave-Bewegung in Deutschland. Im Interview sprechen wir mit den beiden über Black Metal, nächtelanges Durchtanzen, über das Stretchen des Muesumsbegriffs und über – natürlich – zu wenig Kohle.

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Foto: Inga Selck

Kaput: Trance kennen wir natürlich alle noch aus den 1990ern. Ist das so eine abgeschlossene Sache, dass sie schon in ein Museum gehört?
Die 90er sind schon wieder so weit weg, dass es allerhöchste Zeit wird, sie wieder ins kollektive Bewusstsein aller zu rufen. Selbst die 0er wirken auf uns schon ausstellungsreif, was gewisse Auswüchse deutscher Dance-Kultur betrifft. Unser Museum wird natürlich ein Ort sein, an dem wir unser Bestes geben werden, Trance als eine abgeschlossene Sache darzustellen. Mit anderen “kulturellen” Konglomeraten wird ja in ethnologischen Museen nicht anders verfahren. Man greift sich etwas heraus, was eigentlich im ständigen Wandel und sowieso viel zu komplex ist, als dass man es auf eine Vitrine reduzieren kann und behauptet: Das ist ein authentisches Abbild der Wirklichkeit, eine realistische Zusammenfassung. Das wollen wir auch behaupten können. Für uns ist diese (Trance)Kultur so fremd und exotisch, dass wir uns ihr in wissenschaftlicher Manier annähern möchten, um sie besser verstehen zu können. Wir stretchen den Museumsbegriff sehr. Wir möchten das ethnologische Museum dekonstruieren und als postkolonialen Abenteuerspielplatz zur Aneignung freigeben. Hierfür arbeiten wir eng mit dem Historiker Clemens Villinger zusammen. Wir stellen uns und allen Involvierten die Frage: Was ist das Museum of Trance? Ist es eine Institution wie das Humboldt-Forum oder eine Wellblechhütte in den Slums von Port-au-Prince? Es geht uns mehr um die richtigen Fragen als die richtigen Antworten.

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Fotos: Inga Selck

Habt ihr denn selber Trance-Erfahrung? Was ist da euer persönlicher Bezug?
Henrike: Ich erlebe in der Arbeit am Museum of Trance gerade meine ganz persönliche Trance. Jeden Tag 14 Stunden non-stop durcharbeiten für ein solches Herzensprojekt, das bringt mich in harte Workflow-Trancen – in welchen ich übrigens am liebsten arbeite.
Bastian: Ich spiele Schlagzeug in einer Blackmetal-Band – unsere Songs sind oft länger als 10 Minuten und in einer ungeheueren Geschwindigkeit. Die körperlichen Anstrengungen und das sphärische Songwriting, die unserer Musik zugrunde liegen versetzen mich bei Liveperformances zwangsläufig in einen tranceähnlichen Zustand. In den letzten Jahren hat sich mein musikalisches Interesse sehr weit aufgefächert, Ich hatte mich seit einiger Zeit tatsächlich hin und wieder sporadisch mit frühem Hardtrance von Acts wie Alienfactory oder Nostrum auseinander gesetzt. Da kam mir die Entwicklung unserer Idee gerade recht.

Und das ganze bringt ihr jetzt auf die Ghetto Biennale nach Haiti. Das klingt erstmal nicht nur geografisch sehr weit weg. Was ist das für eine Veranstaltung und wie passt euer Projekt darein?
Die Ghetto-Biennale hat den Anspruch, dass Haiti und seine Künstler_innen im internationalen Kunstkontext genauso ernst wie jedes andere Land genommen werden. Das bedeutet auch dass eine Dekonstruktion der Wahrnehmungspraxis – dass ein wirtschaftlich so schlecht dar stehendes Land gar keinen Platz für Kunst habe, weil erst einmal die rudimentären Bedürfnisse gesichert werden müssten – unumgänglich ist. Dies geschieht letztendlich durch einen einmaligen künstlerischen Dialog, welcher auf der Ghetto Biennale immer aufs neue initiiert wird.
Wir wollten einen Bruch mit den Bildern über Vodou, die in unseren Köpfen herumgeisterten, herbeiführen. Für uns war die Bewerbung zur Ghettobiennale eine Art Initialzündung. Wir stellten fest, dass wir eigentlich keine Ahnung von Vodou hatten und dass unsere Köpfe nur voll von Bildern aus schlechten Hollywoodfilmen waren. Wir dachten uns: was würde wohl passieren, wenn man ein popkulturelles Phänomen aus Deutschland genauso düster darstellt und auf auf das Happening ausgerichtet musealisiert? Da kam uns deutscher Trance gerade recht; nicht zuletzt deshalb, weil das Genre ja auch noch einen tatsächlichen Überschneidungspunkt mit Vodou hat. Im Trance besteht schließlich der Anspruch (ähnlich und tatsächlich auch inspiriert von Religionen wie Vodou) sich durch die dazugehörige Musik und exzessives nächtelanges Durchtanzen in Trance zu versetzen. Anders als bei dem Musikgenre Trance handelt es sich bei Vodou in Haiti allerdings um einen gesellschaftlich-kulturellen Stützpfeiler. Dem Trance genauso viel Bedeutung beizumessen, wäre allerdings völlig überzogen.
Wir waren sehr glücklich und auch ein wenig überrascht, ausgewählt worden zu sein. Das hat uns unheimlichen Aufwind gegeben, und hat uns unser Thema auch noch einmal mit ganz anderen Augen sehen lassen. Darum geht es im Endeffekt: das Vertraute hinterfragen, die Comfort-Zone verlassen und sehen, was passiert. Etwas anderes wird uns in Haiti nicht übrig bleiben, doch wir sind super excited darüber.

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Foto: Inga Selck

Eine Crowd-Funding-Kampagne hat ja mittlerweile jeder? Wie dringend braucht ihr denn die Kohle?
Megadringend! Alles, was wir selber zusammenkratzen können geht für die Logistik, Flug, Unterkunft, Verpflegung drauf. Um in Haiti künstlerisch was auf die Beine zu stellen und unsere Ideen vor Ort vernünftig zu verwirklichen, brauchen wir  personelle Unterstützung. Es ist uns ein Anliegen, unseren haitianischen Kolleg_innen professionelle Gehälter zu zahlen. Die deutschen Institutionen auf Haiti sind im kulturellen Sektor absolut unterfinanziert, und für die Institutionen hierzulande scheint die Ghetto Biennale und das Museum of Trance etwas far-off zu sein.

Und abseits von Projekt-Finanzierung: wie lebt ihr denn so als junge Künstler in Berlin? Alles immer noch so toll wie in den 90ern? 
Bastian: Ich lebe in einem Haufen Müll; dass ist allerdings meiner Unfähigkeit regelmäßig aufzuräumen und mich von unnützen Dingen zu trennen geschuldet und nicht dem Anspruch zu leben wie in den 90ern. Ob es dennoch vergleichbar mit dem Leben in Berlin in den 90ern ist? Dazu kann ich nur sagen, dass die schon 6 Jahre vorbei waren als ich hier ankam. Ich habe also keine Ahnung ob mein Leben in Berlin jetzt vergleichbar toll ist wie das in den 90gern. Aber in Gesprächen über die stetig steigenden Mieten und die ständige Veränderung der Stadtteile ( worüber Berliner ja so gerne reden wie andere Leute übers Wetter) ist zumindest immer wieder rauszuhören, dass früher alles besser war. Es ist also nichts mehr so toll wie in den 90ern.
Henrike: Ich lebe in einem Haufen Müll aus den 90ern. Man könnte also sagen, ich lebe noch wie in den 90er Jahren.

 

Hard Facts
Am Freitag, den 23. Oktober findet das Museum-of-Trance-Event in Berlin statt. Geplant ist ein energetischer Abend mit Trance-Kompositionen, Rave-Ritualen und einer Vor-Ausstellung mit einer Auswahl von Objekten des Museums, bevor es nach Haiti geht.
Wer das Projekt mit 10 Euro oder mehr unterstützt, kommt auf die Gästeliste des Events und erhält eine Email mit weiteren Informationen. Achtung: ES GIBT KEINEN TICKETVERKAUF AN DER ABENDKASSE! Das Event findet in einer ausgewählten Location mit begrenzter Kapazität statt. Sichert Euch Euren Platz, indem ihr noch heute für das Projekt spendet:
Location
Sonnenallee 221
Berlin-Neukölln
S-Bhf Sonnenallee
Line-up
Einlass um 20 Uhr
Vor-Ausstellung mit Objekten des Museum of Trance
20 – 22 Uhr  Black Hammer – Ambient
22 – 00 Uhr Cindy Sizer – Trance Ritual Performance
01 – 03 Uhr  IRUU – New Trance
03 – 06 Uhr Joshua Ford – Rave and Techno
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