Oliver Gottwald

„Da war mir klar, dass wir es vergeigt hatten“

Mitte der Nuller starrte man als Freund deutschsprachigen Pops nicht mal in einen Abgrund, sondern viel eher in eine riesige Mülltonne.
Zurück schauten Silbermond und Juli, die mittlerweile sinnbildlich geworden sind, für diese romantisch verbrämte FDP-Mucke. Gefühlig drehte sie sich um sich selbst und wirkte statusbewahrender, unsolidarischer, kleingeistiger als das Gesamtwerk von Heino. Daneben hatte man halt noch Kettcar, doch da habe zumindest ich die Texte nicht nur nicht verstanden, nein, ich hatte auch kein Interesse, sie zu entschlüsseln. Ansonsten peitschte einem noch die zweite Generation Aggro Berlin um die Ohren. Die sah sich des Aha-Effekts der Ersten beraubt und stellte einen absoluten Tiefpunkt deutschen Raps dar.

Ganz Media-Control war von Rotz besetzt? Nein, eine kleine (3 schmale boys) Band aus Augsburg machte erfrischenden Indie-Pop und setzte an, so richtig groß zu werden. Anajo! „Monika Tanzband“, „Hotelboy“, “Lang lebe die Weile”, „Honigmelone“ … lauter lupenreine Hits – auch wenn man natürlich sagen muss, dass sich an ihrem naiven Bubblegum-Indie die Geister schieden.
Geprägt fanden sich Anajo von der leicht schrägen aber unwiderstehlichen Stimme Oliver Gottwalds. Doch als der große Sprung überraschend ausblieb, wurde es ruhiger um die Band, das dritte Album „Drei“ ein Flop am Markt und in der Stereoanlage. Anajo lösten sich auf.
Nun aber veröffentlicht Oliver Gottwald (erneut auf dem Label Tapete Records) sein erstes Solo-Album, „Zurück als Tourist“. Mit Linus Volkmann sprach er über den Neuanfang aber auch das Ende.

8T3B3177Oliver, die letzten Jahre hat man weniger von dir mitbekommen, wie hast du die Zehner bis jetzt verbracht?
2010 und 2011 war ich noch mit Anajo beschäftigt – Songwriting, Recording, Tour. Als uns dann Anfang 2012 endgültig klar wurde, dass es mit Anajo nicht weitergehen würde, fiel ich erstmal in eine mittlere Sinnkrise und überlegte, ob es nicht besser wäre, das mit der Musik ein für alle Mal an den Nagel zu hängen. Irgendwann hat mich die Lust dann doch wieder gepackt und ich begann, auch dank meiner neuen Bandkollegen, wieder Songs zu schreiben. Aber davon bekommt die Außenwelt natürlich erstmal nichts mit.

Was wurde aus deinen beiden Bandkollegen von Anajo?
Beide arbeiten Vollzeit in „bürgerlichen“ Berufen und machen nebenbei noch ein bisschen Musik. Ingolf spielt mittlerweile wieder in einer Band, Michi ist nach Hamburg gezogen und hat eine Familie gegründet.

Ich hatte bei Anajo das Gefühl, es geht alles so poppig, so leicht, so unwiderstehlich los – mit der EP und dem Debütalbum. Und dann wurde es irgendwie verkrampfter, die letzte Platte klang für mich sogar schräg. Täuscht der Eindruck – wie hast du das erlebt?
Die Leichtigkeit, die unser Debütalbum „Nah bei mir“ und vor allem die beiden EPs „Tanz Tanz Band“ und „Vorhang auf“ auszeichnete, ging in der Tat mit der Zeit ein Stück weit flöten. Was das Songwriting anbelangt enthält „Drei“ meiner Meinung nach dennoch mit die besten Stücke, die uns in 13 Jahren Bandgeschichte gelungen sind, allen voran „Mann auf dem Mond“ oder „Meine Wege“. Handwerklich blieb das Album aber weit hinter unseren Möglichkeiten zurück. Wenn ich mir die Platte heute anhöre, tut mir das immer noch weh.

Zu Zeiten der zweiten Platte – Intro-Coverstory inklusive -, also 2007, dachte ich überdies, jetzt wird das nächste Level erreicht. Aber das passierte irgendwie nicht. Hattet ihr das damals auch gedacht und wart enttäuscht?
Das dachten die meisten, nicht zuletzt wir selbst. Klar blieben wir im Hinterkopf irgendwo realistisch und wussten auch um die Möglichkeit eines Nicht-Durchstartens. Gleichzeitig setzten wir alles auf die eine Karte Anajo. Und die äußeren Voraussetzungen waren ja ideal: Jede Menge Presse, Bundesvision Songcontest, Tourneen mit dem Goethe-Institut und so weiter, und so fort. Wir erlebten durchaus einen kleinen Hype, wenn auch regional unterschiedlich. Es ist ja auch nicht so, dass das alles keinen Effekt hatte: In München, Berlin und Augsburg kamen bis zu 800 Leute auf unsere Shows. Der große Durchbruch blieb dennoch aus. Direkt enttäuscht waren wir zu dieser Zeit nicht, wahrscheinlich hatten wir dafür gar keine Zeit. Wir spielten weiter Konzerte wie im Rausch und die Tage, an denen wir frei hatten, brauchten wir, um uns zu erholen. Reflektiert haben wir die Situation erst später.

anajo3Gab es dann vor und um “Drei” herum eine Krise? Drückt einen “der Markt”? Verzettelt man sich, wenn man Erfolg will oder habt ihr letztlich einfach laufen gelassen?
Im Grunde begann die Krise schon vorher, mit – beziehungsweise nach – dem zweiten Album. Durch den ausbleibenden dauerhaften finanziellen Erfolg wurde es immer schwieriger, die Band zusammenzuhalten. Dazu kam, dass sich der Brainfuck „Jetzt bin ich über 30 und muss doch endlich mal was Ordentliches machen“ nicht mehr bei allen verdrängen ließ. Die Prioritäten begannen sich allmählich zu verschieben. Die Tatsache, dass wir uns Anfang 2010 dann von unserem Manager und „vierten Bandmitglied“ Alaska Winter getrennt haben, setzte uns endgültig zu. Es ging nicht mehr mit ihm, ohne ihn allerdings noch viel weniger. Jeder von uns Dreien hatte seine eigenen musikalischen Vorstellungen, die teilweise in komplett konträre Richtungen liefen. Es gelang uns nicht mehr, eine gemeinsame Vision zu entwerfen. Mir war klar, dass „Drei“ die letzte kleine Chance für das Fortbestehen von Anajo sein würde. Nachdem wir mit den Aufnahmen begonnen hatten und die ersten Roughmixe vorlagen, war mir aber ebenso klar, dass wir das vergeigt hatten. Aber da war es schon zu spät.

anajo1Du bist jetzt (zwar mit Band) aber letztlich solo unterwegs – was vermisst du bezüglich Anajo – und was ist jetzt dagegen irgendwie besser?
Es sind schon zwei völlig unterschiedliche Konstellationen. Das Schöne an Anajo war zweifellos dieses romantische Freundschaftsding. Wir, die drei Unzertrennlichen, gehen bedingungslos durch Dick und Dünn, lassen den anderen nie im Stich und arbeiten gemeinsam an unserem großen Ziel. Das ist natürlich stark idealisiert, aber im Grunde war es schon so. Auf der anderen Seite blieb vor lauter Emotionalität die Professionalität oft auf der Strecke. Was ich an meiner jetzigen Situation als Solokünstler enorm schätze, ist eine nie gekannte Freiheit, die mir ungemein guttut. Außerdem habe ich das Glück mit Marc Frank, Florian Meya und Samuel Heinecker großartige Bandmates gefunden zu haben, mit denen mich mittlerweile auch eine tolle, wenn auch andere Freundschaft verbindet.

Ich mochte Anajo ja sehr, aber mich hat auch fasziniert, dass der Sänger – also du – in einem derartigen Hetero-Genre schwul war. Musstest du dich mit deiner Rolle als Mädchenschwarm arrangieren? Wie findet man ein Verhältnis dazu, wenn einen Girls für etwas begehren, was man eigentlich gar nicht ist?
Mir war das anfangs ehrlich gesagt ziemlich egal. Ich fand in erster Linie toll, dass so viele Leute, egal ob Jungs oder Mädchen, unsere Musik mögen. Als sich mit der Zeit immer mehr herausstellte, dass wir auf Mädchen eine besondere Wirkung haben, wuchs das Bedürfnis, die Sache klarzustellen.

Wie wichtig war es, queere Referenzen zu setzen (“Amsterdam Mann”) und bestand es auch ein gewisses Kalkül, das dennoch nicht überdeutlich an die Love-Texte zu nageln?
Die meisten Liebeslieder sind diesbezüglich ja neutral gehalten, und so war es auch bei uns. Ein guter Lovesong funktioniert universell. Mit Kalkül hatte das eher weniger zu tun. Als es beim zweiten Album allerdings darum ging, Songs wie „Amsterdam-Mann“ und „Hotelboy“ zu platzieren, gab es intern durchaus hitzige Diskussionen. Bedenken kamen auf, ob mein öffentliches Outing von unserer Fanbase einfach so akzeptiert werden würde. Mir ging es nie darum, mein Schwulsein an die große Glocke zu hängen, weil es für mich die Normalität darstellt. Dass ich dann eben doch darüber gesungen habe, hat in erstere Linie mit Authentizität und Aufrichtigkeit zu tun. Ich wollte unseren Hörern nicht irgendwas vorgaukeln, schon gar nicht aus Marketinggründen. Rückblickend würde ich vielleicht sogar noch etwas offensiver an die Sache rangehen.

Wie verhält sich das auf deinen Stücken für dein Solo-Projekt?
Das ist und bleibt natürlich immer ein Teil von mir. Und auch der „Amsterdam-Mann“ wird mich – auch als Solokünstler – so schnell nicht verlassen. Auf dem neuen Album „Zurück als Tourist“ spielt das Thema zumindest vordergründig keine so große Rolle. Gefühlt habe ich das für mich erstmal abgearbeitet. Bemerkenswert finde ich, dass gerade in letzter Zeit immer mehr Bands, deren Mitglieder zumindest meines Wissens nicht schwul sind, mit homoerotischen Bildern und Posen kokettieren – vermutlich weil es gerade schick ist. Da stellt sich andersrum natürlich auch wieder die Frage nach dem Kalkül. Aber sollen die das mal machen. Was mich anbelangt: Vielleicht ja auf dem nächsten Album wieder.

Gibt es eigentlich auch eine Dunkelziffer an schwulen Indie-Kids, die sich über Anajo plötzlich mal direkter gemeint und aktiviert sahen?
Keine Ahnung, kann gut sein. Da gibt es aber zum Beispiel einen Schulleiter, den ich 2007 auf einem unserer Konzerte kennengelernt habe. Wenige Tage später outete er sich – mit Mitte 50, Ehefrau und zwei Kindern. Er meinte, ohne die Inspiration durch Anajo beziehungsweise mich hätte er das niemals geschafft. Einerseits fühlte ich mich geehrt und bestätigt, auf der anderen Seite war mir auch klar, dass zuerst einmal eine Familie zerbrochen war. Wir sind nun schon seit Jahren eng befreundet und ich weiß, dass sich alle mittlerweile gut damit arrangiert haben. Von daher ist das eine sehr schöne Geschichte.

anajoWovon lebst du heute?
Naja, Arbeit habe ich jetzt rund um die Veröffentlichung genug. So viel Arbeit, dass andere Jobs zumindest bis nach der Tour im April zeitlich nicht drin sind. Betrachte ich allerdings meinen Kontostand, wird mir von Monat zu Monat mulmiger zumute. Wenn es so weitergeht, sind meine Ersparnisse bald dahin. Ich muss mir also demnächst dringend etwas einfallen lassen.

“Alles muss raus” ist einer deiner neuen Titel. Welche Rolle spielt Selbstvermarktung und Ökonomie heute bei einem Künstler? Und wie ist da die Wechselwirkung auf die eigene Kunst?
Wenn man sich, wie die meisten Menschen, tagtäglich mit ökonomischen Fragen oder Schwierigkeiten auseinandersetzen muss, wird das zwangsläufig zum Thema. Und wenn sich daraus interessante Aspekte für die eigene Kunst ergeben, nehme ich das gern auf. Wir leben nun mal in einer durchökonomisierten Gesellschaft, ob einem das gefällt oder nicht. Und selbstverständlich kommt man auch als Musiker oder Künstler nicht umher, sich mit seiner eigenen Vermarktung zu beschäftigen. Dass man dabei – gerade im Indiebereich – immer wieder an finanziellen Grenzen stößt, mag bedauernswert sein, zwingt einen auf der anderen Seite dazu, dies mit vielen Ideen und Kreativität auszugleichen.

Oliver Gottwald Live
Mi., 15.04. Graz, PPC
Do., 16.04. Wien, Chelsea
Mi., 22.04. Frankfurt, Das Bett
Do., 23.04. Basel, Zum Goldenen Fass
Fr., 24.04. Freiburg, The Great Räng Teng Teng
Sa., 25.04. München, Feierwerk
Mi., 29.04. Hamburg, Knust
Do., 30.04. Bremen, Etage
Fr., 01.05. Köln, Stereo Wonderland
Sa., 16.05. Obersteppach, Freilichttheater am Stoa

 

 

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