Stefan Schneider fragt Hans-Joachim Roedelius

Die Realisierung einer eigenen Tonsprache

Roedelius-Schneider

Stefan Schneider und Hans-Joachim-Roedelius, FFT Kammerspiele, Düsseldorf, 23. Januar 2015

Mit seinen Bands Harmonia und Kluster/Cluster schrieb Hans-Joachim Roedelius sich wesentlich in die Krautrock-Geschichte mit ein. Doch die Zeit der hypnotischen Soundexperimente endete für ihn nicht in den 70er Jahren, bis heute negiert Roedelius die Nostalgie und sucht stetig neue Herausforderungen.

Im Vorfeld der beiden von ihm kuratierten Festivals More Ohr Less und Lifelines #4: Hans-Joachim Roedelius stellte Stefan Schneider, der mit Roedelius 2013 das Album “Tiden” aufgenommen hat und seitdem regelmäßig mit ihm auftritt, für Kaput drei Fragen.

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Hans-Joachim-Roedelius

Ab Mitte der 90er Jahre entstanden in vielen verschiedenen Städten (zum Beispiel Helsinki, Wien, Köln, Chicago, Düsseldorf, London) neue Spielarten von elektronischer Musik, die, neben anderen Einflüssen, sicher auch an die Klänge von Cluster aus den 70ern anschlossen. Ich selber habe in der Zeit gar keine Aktivitäten von dir mitbekommen. Erst 2000 in Genf konnte ich ein Liveset von dir sehen. Auch aus heutiger Sicht scheinen mir deine Arbeiten aus den 90ern nicht so präsent. Woran und wie hast Du in diesem Jahrzehnt gearbeitet ?
Meine Soloarbeiten sind immer noch nicht so präsent wie die von Kluster/Cluster und Harmonia aus dieser Periode. Aber Dank Bureau B ändert sich das ja, seitdem sich das Label in Sachen Re-Releases stark gemacht hat.
Ich habe an den verschiedensten Projekten zu der Zeit gearbeitet, zuallererst an meinen Selbstportraits aber auch an unterschiedlichsten Produkten mit Künstlern (nicht nur Musikern) aus vielen anderen Ländern. Die Selbstportraits sind persönliche Befindlichkeitsberichte, musikalische Tagebuchaufzeichnungen und deshalb von einer gewissen Hermetik gekennzeichnet, zu der nicht jeder Zugang findet. Die unter meinem Einfluss oder mit mir erarbeiteten Musiken mit Künstlern aus anderen Ländern, wie etwa „Lunz“ von der gleichnamigen CD, oder eines der Stücke von „Drive“ mit der japanischen Popgruppe P-Model, sind vor allem formal deutlich durch die jeweiligen Mitspieler geprägt – ich bringe natürlich „meine“ Stimmung mit herein.

Hans-Joachim-Roedelius-Soundcheck

Hans-Joachim-Roedelius und Gudrun Gut beim Soundcheck

Das Festival “More Ohr less”, welches Du seit circa zehn Jahren mit deiner Frau (und deiner Familie) in Lunz organisierst, stellt neben aktueller und historischer Musik auch wissenschaftliche Vorträge oder Performances vor. Wie sehr hat dich schon früher das fruchtbare Zusammenführen von unterschiedlichen Formen und Inhalten interessiert?
Von Anfang meiner Karriere an hat mich Zusammenarbeit mit anderen Künstlern motiviert, ja war sozusagen die Basis, auf der allein meine Solarbeit entstehen und wachsen konnte, habe ich doch zuerst  in den verschiedensten Gruppierungen begonnen mich mit Musik zu beschäftigen und dies obendrein immer nur direkt, live, ganz praktisch.  
Das hat sich einfach so ergeben, es stand keine Absicht dahinter. Es war sozusagen der Weg, auf dem ich gehen sollte. Nicht der Live-Gedanke an sich, sondern live anstatt Akademie, live als Programm zum Kennenlernen und Ausprobieren der eigenen Möglichkeiten in Richtung der Realisierung einer eigenen Tonsprache, um die Not der Unkenntnis der Grundparameter der Kunst der Komposition in die Tugend eines eigenen, ganz persönlichen Zugangs dazu zu verwandeln.

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Hans-Joachim Roedelius

Christlichen Themen einen Platz in zeitgenössischer Musik zu geben ist weder populär oder leider Gespenstern wie Bono vorbehalten. Unser erstes gemeinsames Konzert haben wir 2008 in einer Kirche gespielt.
 Wenig bekannt scheint mir, dass die ersten Alben von Kluster (damals noch mit K) von dem Düsseldorfer Kantor Gottlieb Blarr quasi als sakrale Musik veröffentlicht wurden. Mich würden deine Gedanken zum Zusammenhang von elektronischer Musik und sakralen, christlichen Aspekten interessieren?
Elektronischer Musik per se christliche Aspekte zuzuschreiben, das haut so nicht hin. Selbst der Künstler/Mensch, der sich als ein Geschöpf Gottes empfindet und betrachtet und dies in/ mit seinen Werken bekunden möchte, wird Sakrales in / mit diesem Klanguniversum nur dann zum Klingen bringen können, wenn es ihm von diesem Schöpfer sozusagen als Anlage mitgegeben ist.
Der gute Wille reicht nicht aus. Aber der gute Wille ist zumindest schon mal ein Weg.

More Ohr Less Festival
Lunz, 4.-9.August 2015
mit unter anderem: Peter Kruder, Thomas Rabisch, Harri Stojka, Flow Bradley, Christopher James Chaplin, Schmieds Puls, Kasar, Takamovsky, Hotel Palindrone.

Lifelines #4: Hans-Joachim Roedelius Festival
Berlin, 3.-6.September 2015
mit unter anderem: Hans-Joachim Roedelius, E S B, Peter Kruder, Caramusa, Richard Fearless, Qluster, Christoph Müller, Tempus Transit, Lloyd Cole, Christopher Chaplin, Astronauta Pinguim, Stefan Schneider, the Chor der Kulturen der Welt.

Aktuelle Veröffentlichungen: 
Mueller_Roedelius “Imagori” via Grönland/RTD)
Harmonia “Complete Works”-Boxset (Grönland/RTD

 

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