Berlinale Streifzug 2018 Teil 3: „Don‘t worry, he won‘t get far on foot“, „Khook“,„Unsane“, „Amiko“...

Schwungvolle Biopics, waghalsige Versuche und solide Genrestücke

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„Mein Bruder heißt Robert und ist ein Idiot“ (© 2017 Philip Göring)

Philosophischer Teenage Riot

„One for the Money, one for the Art“! Das Prinzip fährt Gus van Sant schon lange, dreht konventionelle, aber nicht bescheuerte Filme für das größere Publikum, um sich dann wieder kleinere, experimentellere Filme wie „Elephant“ oder „Paranoid Park zu gönnen. In den letzten Jahren waren es dann eher die größeren Filme, und so ist auch sein Biopic „Don‘t worry, he won‘t get far on foot““ über John Callahan, ein schwarzhumoriger Cartoonist, der durch einen Autounfall querschnittsgelähmt wird. Vor allem erzählt der Film von Callahans Genesung sowie seinem langen Weg aus dem Alkoholismus. Am meisten fasziniert hier wieder, wie reibungslos jemand, der auch sehr streng und konzeptuell arbeiten kann, das Erzählen für die Massen beherrscht. Blöd wird das nie, hat Witz und Schwung und natürlich auch Drama, und für Joaquin Phoenix mal wieder eine Rolle, in der er eine große Gefühlspalette ausspielen kann.

Auch „Shut up and play the Piano“, das Dokumentarfilmdebüt des Journalisten Philipp Jedicke, feierte auf der Berlinale seine Premiere. Die Doku begibt sich auf eine Reise in das Leben des Rappers und Pianisten Chilly Gonzales. Dabei orientiert sich der Film nicht so sehr am privaten Leben des Musikers, sondern verfolgt kunstvoll verwebt seine sich immer wandelnde Bühnenfigur (Panorama Dokumente).

In diesem Jahr bietet der Wettbewerb einen iranischen Film, der weder von Jafar Panahi Noch von Ashgar Farhadi Ist. Und tatsächlich ist „Khook“ („Schwein“) von Mani Haghighi auch komplett anders als die Arbeit seiner Landsmänner: Die schwarze, überdrehte Komödie schickt einen Regisseur mit Berufsverbot auch durch eine private Krise. Als dann auch noch ein Serienkiller reihenweise Regisseure enthauptet, reicht es ihm endgültig: Nicht mal als Mordopfer ist er noch interessant genug! „Khook“ stellt die Geschlechterzuschreibungen komplett auf den Kopf: Die Frauen sind beruflich und privat klar, wissen was sie wollen, die männliche Hauptfigur ist orientierungslos, eifersüchtig, jammert rum und ist ein Mammasöhnchen. Es ist erstaunlich, dass ein solcher Film aus dem Iran kommt, und zudem auch mit seinem popigen Action-Drama-Style komplett andere Wege geht, als die oben genannten Vertreter des iranischen Arthauskino. Witzig, allerdings mitunter auch Klamauk, der nur zum müden Schmunzeln einlädt.

Am Mittwoch geht es dann wider mit Überlänge los: „Mein Bruder heißt Robert und ist ein Idiot“ ist der schöne Titel des neuen Films von Philip Gröning („Die große Stille“). Sein Dreistünder, der dritte deutsche Beitrag im Wettbewerb, begleitet das Zwillingspaar Robert und Elena am Wochenende vor Elenas Abiprüfung in Philosophie. Der Bruder soll ihr beim Lernen helfen. Das symbiotische Paar hängt in einem Feld vor einer einsamen Tankstelle ab, philosophiert, streitet und wird sich der baldigen Trennung bewusst, weil Elena für das Studium wegziehen wird. Die stimmungsvolle Kameraarbeit von Regisseur, Drehbuchautor, Editor und Produzent Gröning führt langsam ein in das merkwürdige Spiel des Paars aus Liebe und Gewalt und deren Philosophieren über Zeit. Überraschenderweise kippt der Film dann zunehmend in Bonnie & Clyde-Gefilde, wenn die Zwillinge die kindliche Zeitwahrnehmung des Augenblicks, der Gegenwart ohne Vergangenheit und Zukunft, für sich entdecken. Das ist ja auch der Sinn der klassischen Abi-Krawalle, doch Robert und Elena gehen ein paar Schritte weiter. Ein guter Film alleine schon dadurch, dass er konkrete Story und abstrakte Idee ganz wunderbar vereint und auch filmisch sehr frei Arbeitet. Zum Schluss gab es sowohl Applaus als auch Buhrufe. Aber wer um Himmels Willen sitz so lange in einem Film, um ihn am Schluss für einen kurzen Moment auszubuhen?

„Unsane“ von Steven Soderbergh ist ein handfestes Genrestück, dessen Besonderheit vor allem darin besteht, dass der Film auf dem Handy gedreht ist. Die Hauptfigur hat ein Stalking-Trauma durchlitten, sucht Hilfe, wird in eine betrügerisch agierende Psychiatrie eingewiesen und steht dort plötzlich wieder ihrem einstigen Stalker gegenüber. Das Betrugsthema ist der Rucksack für den Stalking-Thriller – und kann man B-Movie-mäßig auch schlucken. Extrem nachhaltig ist das Kinoerlebnis nicht, die angedeutete Psychiatrie-Kritik bleibt zu schnell links liegen, um Thriller-Standards aufzufahren. Der Film läuft im Wettbewerb außer Konkurrenz.

Mittelmaß weckt den erneuten Wunsch: weg vom Wettbewerb, hin zum Forum! Da läuft mit „Amiko“ sehr junges Kino. Nicht nur sind die Figuren Teenager – Erwachsene kommen in diesem Film überhaupt nicht vor. Auch ist die Regisseurin Yoko Yamanaka mit 20 Jahren ausgesprochen jung. Im Q&A wird schnell klar, dass die rebellische Amiko, die sich unglücklich in einen Jungen verliebt, der es aber gar nicht Wert ist, der Regisseurin sehr ähnelt. Yoko Yamanaka hat nach einem Jahr die Filmschule geschmissen, um stattdessen lieber diesen ungestümen Film zu machen. Ein Jugendfilm im besten Sinne.

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