Kaput revisited – Michael Mayer im Interview 2004

Michael Mayer: “Ich hab nach wie vor irrsinnig viel Bock darauf, den Leuten diese Musik vorzuspielen”

Aus Anlass des 25jährigen Firmenjubiläums von Kompakt haben wir im Kaput-Archiv gewühlt und dieses Interview mit Michael Mayer aus dem Jahr 2004 entstaubt. 

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Michael Mayer, Köln (Photo: Thomas Venker)

Michael, endlich ist es da. Ich kann mich erinnern, dass wir schon vor vier Jahren über das Album gesprochen haben.
Ja, es ist drei oder vier Jahre her, dass ich laut posaunt habe: »Jetzt kommt das Album.« Das war jetzt der dritte Anlauf. Es hat sich in so einen traumatischen Zustand verdichtet. Ich dachte irgendwann, ich würde es nie mehr schaffen, ein Album zu machen, weil halt immer irgendwie was dazwischenkam, immer zu viel Arbeit war, ich immer so viel unterwegs bin – so kam es, dass ich alles, was ich für ein Album gesammelt hatte, stetig auseinander gerissen habe und auf Maxis und Compilations rausbrachte. Ich wollte nicht nur Tracks sammeln, bis ich genug hab, sondern es sollte das Gefühl werden, als ob eine Band auf dem Album spielt, und zwar nicht die von 98, nicht die von 2001 und auch nicht die vom Herbst 2003.

Nun kann man ja sagen, du hast alles richtig gemacht, wenn man sich die letzten Jahre mal so vergegenwärtigt: Kompakt ist zum global player aufgestiegen, du zu einem der deutschen DJ-Aushängeschilder – auch ohne Album, aber mit ziemlich vielen Remixen und Maxis. Siehst du das genauso? Hast du alles richtig gemacht?
So habe ich es noch nie betrachtet. Stimmt eigentlich. Wenn das Album 2002 rausgekommen wäre, hätte es eventuell auch dem Label wieder mehr einen Push gegeben. Ist auf jeden Fall ein guter Zeitpunkt momentan. Gerade die letzten zwei Jahre waren unheimlich stark für uns – das bringt mit sich, dass wir jetzt nicht komplett von vorne erklären müssen, »Wer ist denn der Mayer? Was ist denn Kompakt?«, sondern dass wir eine Basis haben, auf der wir uns positionieren.

Wie oft hast du denn das Konzept für ›Touch‹ über die Zeit modifiziert? Und waren die anderen Entwürfe auch ›Touch‹, oder sind uns da ganz andere Alben vorenthalten worden?
Namen gab es bei den vorherigen Versuchen noch keine. ›Touch‹ steht ja für eine Platte, die sehr körperlich ist. Von einem Stück abgesehen, ist es klare Tanzmusik. Tanzmusik, die sehr persönlich, sehr direkt ist, das entspricht auch der Art und Weise, wie und wo ich gerne auflege: Ich habe die Leute gerne bei mir und nicht 50 Meter vor der Bühne.

So wie in diesen Carl-Cox-Videoclips dieser Welt.
Ja, das ist ja fürchterlich. Es lässt sich nicht vermeiden, dass man trotzdem öfters in solchen Situationen auflegen muss. Aber wenn ich es mir aussuchen könnte, wenn ich den Tag davor den Club gestalten könnte, dann würde ich das DJ-Pult immer mitten in die Tanzfläche reinbauen, weil ich das liebe, wenn die Leute in unmittelbarer Nähe sind. Das heißt jetzt nicht, dass ich die Leute antouchen möchte, aber es ist wichtig, so eine Interaktion zu haben und nicht der Star-DJ irgendwo unter der Kuppel zu sein. Das finde ich total kontraproduktiv.

Zurück zu den früheren ›Touch‹-Versuchen – ich hatte jetzt auch nicht an den Namensaspekt gedacht, sondern an die klangliche Komponente. Wie anders hätten denn die früheren Versuche geklungen, wenn sie es geworden wären?
Die Stücke sind fast alle auf Maxis erschienen. ›Pensum‹ war der erste Versuch. Wenn man das unter die Lupe nehmen würde, wenn man das alles so nebeneinander legt und analysiert, dann hat das eigentlich alles was miteinander zu tun. Meine Herangehensweise hat sich jetzt nicht grundsätzlich geändert für das Album. Was sich geändert hat, ist auf jeden Fall der technische Standard: der Sound. Mit dem bin ich erst seit ›Love Is Stronger Than Pride‹ zufrieden. Ich kann mich seitdem auch als Produzent ernster nehmen.

Wie wichtig ist es denn heute, dass ein DJ auch als Produzent in Erscheinung tritt? Es scheint, wenn man sich die oberen Namen anschaut, fast nicht mehr ohne Veröffentlichungen zu gehen.
Das war schon 1992 so. Ich habe mich natürlich immer darüber geärgert, dass wenn DJ Hooligan Platten rausbringt, an denen er gar nicht so viel gemacht hat, außer vielleicht eine Idee beizusteuern, die wahnsinnig gut liefen. Ich habe erst angefangen zu produzieren, als ich selbst mit der Technik umgehen konnte. Und ich finde dieses »sich produzieren lassen« gerade bei den DJs eher schwierig.

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Michael Mayer, Köln (Photo: Thomas Venker)

Was du jetzt ansprichst, ist ja eher die Variante, dass jemand groß geworden ist und dann auch noch das Plattenverkaufen mitnimmt.
Ja, klar, das ist andersherum auch so ein Sprungbrett. Wenn man Platten draußen hat, ist man in der Presse präsenter. Das hat schon immer funktioniert, dass der DJ, der Platten macht, erfolgreicher ist als der, der keine macht. Aber ich wollte dieser Lüge aus dem Weg gehen, dass man den Produzenten dazwischen schiebt, um mehr Bookings zu kriegen. Ich habe angefangen, Musik zu machen, um Lücken in meinem Koffer zu füllen. Also eigentlich, um Musik herzustellen, die ich gerne auflegen will, die mir fehlte. Das sind oft so Scharniere zwischen zwei Stilen, zwischen zwei Platten, aus denen so eine imaginäre dritte Platte entsteht, die ich dann selbst mache.

Was mit sich bringt, dass deine Musik ganz klar auf den Club begrenzt ist.
Ich habe es für dieses Mal auf jeden Fall so gehalten. Jeder sollte das tun, was er am besten kann. Es wäre unglaubwürdig, wenn ich jetzt ein Pop-Album gemacht hätte. Das erwartet keiner von mir – ich selbst von mir schon mal gar nicht. Dass diese Platte meine DJ-Platte wird, die ziemlich eins zu eins meinen DJ-Stil abbildet, war von vornherein klar. Was nicht heißt, dass sich das irgendwann später mal ändern könnte.

Nun produzierst du ja im Gegensatz zu anderen DJ-Kollegen selbst. Trotzdem sei die Frage erlaubt: Inwieweit siehst du dich denn als Künstler, also als jemand, der sagen würde, seine Bestimmung ist es, Musik zu produzieren? Gerade, wenn man sich deinen Alltag anschaut, dann bleibt ja für das, was andere fulltime bohemistisch ausleben (Stichwort Berlin), bei dir aufgrund der Involviertheit in den Kompakt-Vertrieb nur ein kleines Plätzchen im tighten Schedule.
Von all den Dingen, die ich so tue – A&R, Vertriebsarbeit, Auflegen und Produzieren –, war Produzieren für mich immer das Hobby-artigste. DJing ist ganz klar die allererste Leidenschaft, etwas Lebensnotwendiges. Jetzt nicht finanziell gesehen, sondern das steckt einfach so tief in mir drin, ich muss das tun. Der Vertrieb ist dann eher so die Entschuldigung dafür – das hat schon fast was Katholisches … Ich habe ziemlich früh für mich erkannt, dass ich diese Erdung brauche und will. Das reine Künstlersein – nur raven, nur auflegen –, das ist nicht mein Leben. Das Musikmachen, also, wenn man jetzt den Künstler als den Produzenten sieht, ist eigentlich am wenigsten wichtig für mich. Wobei das trotzdem etwas ist, was mir selbst wahnsinnig viel Freude bereitet; so einen Track zu basteln und den dann auf Platte zu haben ist was Wunderschönes. Andersrum lege ich als DJ nicht nur meine Platten auf, um mich selber besser darzustellen, sondern ich benutze diese Platten, genau wie alle anderen auch, um etwas Gesamtes zu schaffen.

Du hast also in dir nicht so einen Kampf Bürokratie versus Kunst?
Es hat schon ein bisschen gejuckt das letzte Jahr. Da fing es schon mal an zu nerven, dass es im wiederholten Anlauf nicht funktionierte mit dem Album auf Grund der Ketten am Fuß, der Schreibtischarbeiten, den Dingen, die halt definitiv getan werden müssen, für die man auch Verantwortung trägt.

Hast du einen Fulltime-Job im Kompakt-Vertrieb?
Es ist jetzt zum ersten Mal so, dass ich verzichtbar bin, dass ich nicht Angst haben muss, dass irgendwas schief läuft oder dass irgendwer vor Stress zusammenbricht, wenn ich nicht da bin. Wir haben uns entsprechend verstärkt personell, und dadurch bin ich jetzt auch mal abkömmlich, und das wird auch so bleiben. Aber grundsätzlich bin ich jeden Tag da
.
Aber der klassische Montagmorgen ist schon hart, oder?
Äh, klar. Auf jeden Fall. [lacht]

Du kommst ja in der Regel sonntags dann irgendwie heim. Da muss es doch diesen Wunsch geben, sich mal ein bisschen was zu gönnen …
Ja. Deswegen haben wir es ja jetzt entschärft. Ich kann jetzt auch mal montags fehlen. Wobei der Montag der wichtigste Verkaufstag im Vertrieb ist. Ich bin jetzt aus dem Verkauf raus.

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Michael Mayer, Köln (Photo: Thomas Venker)

Aufgrund der hohen Nachfrage nach deinen DJ-Sets ist es ja so, dass dein Schedule immer schon für das nächste halbe Jahr steht. Ist das nicht ein komisches Gefühl: auf der einen Seite diese Leidenschaft zur Musik, auf der anderen diese Verbindlichkeit, die ja wenig Platz lässt für das Vorstoßen in etwas Unbekanntes?
Ich war von vornherein ziemlich zielstrebig. Das ist ein Adjektiv, womit ich mich auf jeden Fall identifizieren kann. Ich habe mich 1994 selbst exmatrikuliert. Eben nicht: »Ich bin versichert. Es gibt noch Kohle von zu Hause.« Ich habe vier Semester Germanistik, Soziologie und Anglistik studiert. Aber ich habe gemerkt, dass mich das hemmt, dass ich auch irgendwie dazu tendiere, zu gemütlich zu sein, wenn alles so easy läuft – deswegen wollte ich da ganz klar so einen Schnitt haben, es gab keinen Weg zurück zur Uni. Ich zieh das jetzt durch, und ich bleib bei meiner Leidenschaft und werde jetzt nicht übermorgen Lehrer oder so was. [lacht]

Das Schedule also auch als Moment der positiven Selbstdisziplinierung. Wirkt sich diese Neigung denn auch auf deinen Lebensstil aus? Bemerkst du, dass du zwischen den Wochenenden bewusst eher einen auf ruhig machst? Oder dass du à la Sven Väth über das ungesunde Leben viel nachdenkst und ein gesundes daneben errichtest? Wenn man weiß, wie wichtig das Thema gesunde Ernährung im Hause Kompakt ist – ihr habt ja jetzt sogar einen eigenen Koch für das Mittagessen –, dann scheint dem so zu sein.
Ich glaube, von Sven können alle, die so ein ähnliches Leben leben, wie wir das tun, was lernen. Man muss sich das natürlich auch leisten können. Was Sven da macht mit Ayurveda-Kuren und dann noch ein paar Wochen nach Thailand, das muss man sich irgendwann einfach rausnehmen und kultivieren und dann auch mal drauf scheißen, was die anderen sagen oder was das Bankkonto sagt. Ich weiß nicht, wie das bei ihm anfing, aber ich persönlich achte halt schon sehr auf Ernährung. Ich bin seit zwölf Jahren Vegetarier und koche sehr viel frisches Gemüse. Montagabend Kochen ist ein heiliges Ding. Da gibt es dann auf jeden Fall gedünstetes Gemüse und keine schlimmen Sachen. Kochen ist für mich auch so eine meditative Tätigkeit.

Gleich das erste Stück auf ›Touch‹ macht klar, dass wir es mit einem Clubalbum zu tun haben, du also nicht wie so viele andere derzeit das Album anders anlegst als die Maxis – abseits von dramaturgischen Zwischentracks in der Mitte. Ist das auch eine direkte Reaktion auf den Status quo momentan, auf all die Tracks mit Vocals und Popflirts? Dieses Wissen um das, was draußen passiert, ist bei dir als Vertriebsmann ja sehr groß.
Ja, ich weiß, wo der state of the art gerade steht. Es gibt wenig, was komplett an mir vorbeigeht an neuen Entwicklungen. Dadurch weiß ich natürlich, wo die Messlatte hängt und wo es Sinn macht, für mich anzusetzen. Ich sehe keinen Sinn darin, jetzt eine Minimal-Platte zu machen, wie das vor fünf Jahren noch bei mir der Fall war. Das machen andere heutzutage. Da kann ich nichts mehr zu sagen, das wäre auch total albern, und vor allem würde mich das extrem langweilen.

Das erste Stück macht mit seinen Rockeinflüssen aber deutlich, dass ein Album auch immer eine Momentaufnahme ist. Nimmt man das so als Axiom wahr? Nervt das – oder ist es einfach nur eine Herausforderung?
Ich weiß nicht, ob ich sagen kann, dass das jetzt 2004er-Musik ist. Wobei, das könnte schon gut sein. Das erste Stück ist auch das extremste Beispiel. Die anderen sind eher noch zeitloser. Das erste Stück war auch das erste, das für das Album entstanden ist. Da war die Aufgabenstellung für mich auf hohem energetischen Niveau, was Poetisches zu machen – das halbe Stück kommt ja ohne Bassdrum aus. Das könnte eigentlich auch ein energetisches Ambient-Stück sein, aber dann rumst es halt doch irgendwann. Ich mag total gerne Platten, bei denen die Bassline lange auf sich warten lässt, die eher ruhig sind und dann pointiert den Schub abgeben. Wenn man das im Gesamtmix des Abends sieht, ist es total toll, im Club mal für drei Minuten keine Bassdrum zu hören, und es passiert trotzdem viel. Man wird trotzdem emotional weitergetragen. Das könnte ein 2004er-Ding sein. Etwas, was es vorher eigentlich nicht so gab. Etwas, was man sich vorher meistens nicht getraut hat. Wenn man schon irgendwie ein schnelles, härteres Stück produziert hat, dann musste es immer von vorne bis hinten durchsemmeln, da machte man nicht lange mit Breaks rum oder fing erst mal mit einem 3-Minuten-Intro an. Das gab es vielleicht noch zu Rave-Zeiten. Techno ist ja so wahnsinnig gleichförmig geworden. So gesehen bin ich doch alte Schule und mag es gerne, wenn die Stücke mehr Zielstruktur haben mit Anfang, Ende, Mittelteil, dass das alles durcharrangiert ist.

Was denkst du denn, wie lang der Atem von ›Touch‹ anhält? Ist es ein Album, auf das sich die Leute auch noch in Jahren beziehen werden wie beispielsweise auf die Gas-Veröffentlichungen von Wolfgang Voigt? Oder auch dessen Love-Inc-Album ›Life’s A Gas‹. Sind das überhaupt Überlegungen, wie du sie anstellst? Ist ja immerhin das Debütalbum und nicht nur eine weitere Maxi.
Das sollte einen gar nicht so beschäftigen bei der Produktion, das blockiert total. Ein Maler sollte sich ja auch nicht vor eine nackte Leinwand stellen und sagen: »So, jetzt mache ich ein Bild, wo den Leuten in 500 Jahren die Spucke wegbleibt.« Das sind falsche Gedanken im kreativen Prozess. Genauso, wie man nicht über Auflagen nachdenken sollte oder Erwartungshaltung. Die einzige Erwartungshaltung, die bei diesem Album eine Rolle gespielt hat, war die an mich selbst. Ich stell das so jetzt zur Verfügung, und andere müssen entscheiden, ob es das Zeug zum Klassiker hat oder nicht.

Wobei die Erwartung von dir selbst ja sehr hoch gewesen sein dürfte. So nach der Art: »Wenn ich das Album jetzt schon auf die Reihe kriege, dann muss das etwas sein, womit ich auch noch in Jahren zufrieden bin.«
Auf jeden Fall, ja. Ich habe allerdings auch nicht drei Jahre an dem Album gearbeitet – es ist extrem schnell entstanden, schneller, als ich es eigentlich erwartet hatte. Ich habe effektiv drei Wochen daran gearbeitet. Das war irgendwie so ein Auskotzen. Ich hatte endlich die Zeit, all das zu tun, was ich die ganze Zeit machen wollte. Es ist ja auch nicht so, dass ich jetzt schon die ganzen Ideen und Samples parat hatte, sondern das war einfach die Chance, sich komplett darauf zu konzentrieren – das hat einen sehr positiven Würgereiz bei mir ausgelöst, sodass ich wirklich im Tagesrhythmus Ergebnisse erzielt habe und mir dann noch Zeit lassen konnte für die Ausarbeitung. Es war ein extrem straffer Prozess.

Hast du es denn auch in deinem Büro-Rhythmus produziert?
Nee, also ich habe viel auch tagsüber gearbeitet, was ja auch das Neue war. Ich habe sonst immer nur nachts gearbeitet. Ich habe eigentlich tagsüber eher so die Feinheiten gemacht, aber so die Idee und, sagen wir mal, der magische Moment, wo das Stück entsteht, das war schon nachts. Ich bin nun mal eine Eule.

Noch mal zurück zum Status quo im DJ-Zirkus. Man konnte in den letzten Jahren ja beobachten, wie, bedingt durch das Einbrechen der Mega-Clubs, sich Leute wie Richie Hawtin plötzlich in die B-Liga-Bookings eingeklinkt haben – ein Feld, das eh sehr überfüllt ist. Denkst du, die Preispolitik, die da gefahren wird, gerade bei Liveacts, lässt sich noch lange halten? Oder ist die C-Liga die Konsequenz? Oft scheint es ja, als ob eher der Club die Leute zieht als der Name des Gast-DJs – wenn sie nicht gerade Ricardo Villalobos oder eben Michael Mayer heißen.
Es passiert ja auch wahnsinnig viel einfach auf freundschaftlicher Basis: »Ich lade mir meinen Kumpel aus Madrid ein. Der legt heute Abend mit mir auf. Wir können durch die Party die Flugkosten erwirtschaften, der schläft bei mir und kriegt noch ein paar Euro zum Plattenkaufen oder so.« Das ist ja, was ich selbst auch immer noch mache. Die Grundfrage ist ja: Wo will man eigentlich hin mit dem, was man da macht? Fühlt man sich wohl, wenn man fette Gagen kriegt und Business-Class-Flüge, aber in anonymen Clubs auflegt, irgendwie weit oben unterm Dach, weit weg von den Leuten – oder ist einem wichtig, gute Partys zu haben und auch verstanden zu werden mit dem, was man da macht? Und das ist halt auch ziemlich direkt gagenabhängig. Ich könnte viel höhere Gagen aufrufen.

Einige würden mehr aufrufen und rufen auch mehr auf, aber wenn man mal den Sommer Revue passieren lässt, in dem ja auch einige Festivals Probleme hatten, durchaus auch wegen der Gagenpolitik der Künstler, scheint die Konsequenz nicht mehr lange auf sich warten zu lassen …
Das ist das gleiche Problem wie im Fußball. Wie viel Geld kann das wert sein, dass man gegen so einen Ball tritt? Wie ist das so mit den Managergehältern? Was ist noch moralisch? Ich finde es unmoralisch, in einem nicht so großen Club aufzulegen, wo das Risiko voll auf Seiten des Veranstalters ist, und dann auch auf die Gage zu bestehen, wenn der Club leer ist. So was finde ich ein völliges Unding.

Meine Frage zielt genau in diese Richtung, so macht man ja den eigenen Nährboden kaputt.
Es geht um eine gewisse finanzielle Gesundheit. Wenn ich morgen in einem Club spiele, wo nix los ist, ich aber meine Gage mitnehme und sie zumachen müssen, dann spiele ich da nie mehr – obwohl die Typen ganz nett sind und da echt einen super Club hingezaubert haben und es vielleicht nur leer war, weil neben dem Club eine Party mit Wodka für eine Mark stattfand oder so. Es gibt ja immer so Faktoren, mit denen man nicht rechnen kann. Nee, also, da finde ich es schon grundlegend wichtig, fair zu bleiben und in eine Richtung mit den Clubs zu kooperieren. Das alles ist ja auch ein Wirtschaftskreislauf. Wer da so rücksichtslos agiert, wird gegen die Wand fahren – das sind ja auch schon einige. Die sieht man heutzutage auch nicht mehr so oft auf einem Flyer.

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Michael Mayer, Köln (Photo: Thomas Venker)

Nach all dem, was wir schon gesprochen haben, ist die nächste Frage nur noch Makulatur: Wie sieht es denn bei dir persönlich mit der Motivation aus? Ist die noch so da wie vor zehn Jahren – und denkt man nicht manchmal: Mensch, warum konnte das eigentlich nicht früher auf dieses Niveau gehen?
Nee, überhaupt nicht. Gerade dieses Jahr war so ein tolles Jahr, was Partys anbelangt, und auch Musik. Es sind so viele tolle Platten rausgekommen, Langeweile gibt es da überhaupt nicht, und ich hab nach wie vor so irrsinnig viel Bock darauf, den Leuten diese Musik vorzuspielen und da mein Bestes zu geben.

Und das viele Allein-Reisen?
Ich reise wahnsinnig gerne. Reisen ist die Zeit, in der ich zum Beispiel mal ein Buch lesen kann oder in der ich einfach mal vier Stunden im Zug sitze und mit niemandem reden muss. Dadurch, dass ich auch eine Overdose habe in Sachen Konversation und Leute um mich herum, schätze ich das sehr, mal allein zu sein.

Dass ihr das Niveau nicht früher erklommen habt, auf dem Kompakt mittlerweile agiert, liegt ja sicherlich auch daran, dass ihr immer für eine gewisse Presse-Scheue gestanden habt. Eine Position, die ihr in den letzten Jahren peu à peu aufgegeben habt. Die Einsicht, dass es anders nicht funktioniert?
Es gibt halt auch immer mal wieder Erklärungsbedarf. Man kann sich nicht immer nur in seinem Haus verschanzen und sagen: »Sollen doch alle schreiben, was sie wollen.« Das ist auf Dauer nicht gesund.

Du meinst, Schlüsselinterviews aus gegebenem Anlass gehen schon okay?
Mit der ›Kompakt 100‹ hatten wir dieses Jahr schon sehr viel Presse. Ist natürlich auch ein guter Ansatz, um mal wieder ausführlicher auszuholen. Aber dann ist es auch wieder gut, wenn man sich ein bisschen zurückzieht. Ich selbst will mich nicht jeden Monat in irgendeinem Magazin sehen. So Überpräsenz nervt einen ja selbst.

Was denkst du eigentlich: Wie viel ist drin für einen sophisticateden Technoentwurf, wie er aus dem Hause Kompakt kommt? Und was muss man dafür machen? Jake Fairley tourt derzeit wie eine Indieband durch die USA, spielt jeden Abend, teilweise ist das dann mehr Konzert als Club. Ist das der Weg? Denn eins dürfte doch klar sein, die Diskrepanz an Verkäufen zwischen Bands und elektronischer Clubmusik ist viel zu hoch, dafür, wie nah sich die Leute und Geschmäcker stehen. Man denke nur an Superpitcher, dessen Pop-Appeal viel mehr Leute erreichen sollte, als er es tut.
Das liegt aber auch traditionell daran, dass es auch im Fall von Superpitcher immer noch Techno ist – das war keine Band-Platte. Die Rezeption von Techno in der Presse und im Handel ist nach wie vor, dass es eigentlich eher tot ist als sonst was anderes.

Aber ist das nicht auch eine Frage der Präsentation? Wenn Superpitcher wie Turner mit Band agieren würde ….
Der hat aber, glaube ich, auch nicht mehr Platten verkauft. Ich glaube nicht, dass man das irgendwie mitspielen muss. Warum sollte man immer die gleichen alten Wege gehen, wie das seit Rock’n’Roll der Fall ist? Das stimmt ja sowieso alles schon lange nicht mehr. Der Aufwand, der da betrieben wird, und das Ergebnis, das stimmt vielleicht in fünf Fällen im Jahr bei Bands, auf die sich dann eben alle einigen können. Dann haut man noch mal extra drauf mit Promo und schafft vielleicht den Sprung in die Charts. Ich glaube nicht, dass man die Verkaufszahlen durch eine Live-Präsenz unbedingt steigern kann. Mit der Musik, die ich mache, sowieso nicht. Beim Superpitcher könnte das so sein, das weiß ich nicht. Wir kommen halt aus der Club-Tradition und flirten vielleicht hier und da mal mit denen, die aus der Pop/Rock-Welt stammen, aber wir fühlen uns einfach in unserer Weise, das zu präsentieren, extrem wohl und halten das für wichtig und richtig. »Schuster, bleib bei deinen Leisten.« Warum sollte ich das Album auf Live-Format hochtunen, um irgendwie noch 70 Intro- und Spex-Leser davon zu überzeugen, dass Techno doch geil ist?

Schlussfrage: Konsequenz aus den drei Wochen, in denen du jetzt die Platte gemacht hast: Ist das was, wo du sagst: »Das kann ich jetzt auch öfters so machen?«
Da hat sich schon fast so eine Traurigkeit eingestellt, als es vorbei war. Ich hätte gleich jetzt mein nächstes Album aufnehmen können. Es wird definitiv nicht mehr drei Jahre dauern bis zum nächsten Album – ich habe ja jetzt auch mehr Zeit, um mich um solche Dinge zu kümmern. Oder auch, um mal andere Leute zu produzieren.

Andere Leute zu produzieren?
Ich meine, Hilfestellung zu geben. Wir kriegen ja oft Demos, die tolle Ideen haben, die ich gerne rausbringen würde, aber bei denen leider das technische Niveau unter aller Sau ist. In Zukunft werden wir auch die Möglichkeit haben, in den Kompakt-Studios die Stücke noch mal neu aufzunehmen und da so ein bisschen zur Hand zu gehen und mit Erfahrung und Beratung zur Seite zu stehen. Das ist was, das mich sehr interessiert, was ich gerne machen würde.
Okay, noch eine Bonusfrage: Die Traumnacht, gibt es so was noch? Also, wenn du jetzt den Abend buchen dürftest, einmal historisch, einmal aktuell …
DJ Pierre auf dem Stand, auf dem er mal vor zwölf Jahren war. Das fände ich auf jeden Fall toll, das noch mal zu erleben. Aktuell bin ich sehr glücklich mit meinen Freunden und Mitstreitern. Ich habe selten schönere Dinge erlebt, als mit Tobias und Axel unterwegs zu sein.

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