Record of the Week

Family 5 “Ein richtiges Leben in Flaschen”

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“Ein richtiges Leben in Flaschen”
(Tapete)

Erwähnt bloß nicht das Wort „Netzwerk“ gegenüber Peter Hein – er regt sich dann nämlich furchtbar auf und spuckt die Buchstaben mit solchem Abscheu aus, als hätte man ihm einen feuchten Putzlappen an den Mund gehalten. Andererseits: Peter Heins grenzenloser Verachtung gegenüber trendigem Hipstersprech zuzuhören, erfreut das Herz sehr – also bitte unbedingt „Netzwerke“ in seiner Gegenwart erwähnen!

Family 5 haben ein neues Album gemacht, nur zwei Jahre nach dem letzten, erstaunlichen Comeback von 2016, mit dem damals nicht zu rechnen war. Family 5 hatte man nicht mehr wirklich „auf dem Schirm“, abgesehen natürlich von ihren großartigen Platten ab Mitte der Achtziger, als Xao Seffcheque und Peter Hein die Band gründeten, nachdem sie eine Maxisingle veröffentlicht hatten: „Bring deinen Körper auf die Party“ war als ironischer Kommentar zur gerade sehr modischen Funk-Begeisterung gedacht – aus dem Jux entstand eine der, nein die wichtigste deutsche Soul-Punk-Band, die Hits wie „Japaner in Düsseldorf“ oder „Die kapieren nicht“ aus der Hüfte schüttelte.

Seit den Achtzigern ist einiges passiert, zum Beispiel die Reunion der Fehlfarben mit Peter Hein, was den Fortbestand von Family 5 zunächst vereitelte. Aber dann, 2016: „Was zählt“, und jetzt, ganz selbstverständlich „Ein richtiges Leben in Flaschen“, was qua Titel Heins Hang zu Kalauern ausdrückt (und in der einen oder anderen Review zu falschen Korrekturen führte und über ein redliches, philosophisch abgesichertes „richtiges Leben im Falschen“ urteilen ließ. Das wird Hein gefallen!) – aber ob man ihn witzig findet oder nicht, ist Hein völlig wurst, sein Ekel über die Welt muss raus, raus, raus. Grandioses Gezeter kommt so zustande: „Da haben sie unsere Inselkumpels ins Abseits mavövriert / Vorbei mit den Billigflug-Tourneen, jetzt wird weniger kassiert / Sie haben versucht ihnen zu erklären / dass solche wie sie die besseren wären“, deklamiert Hein in „Menetekel“ und es bedarf keiner weiteren Erklärungen, wer „die“ sind und auf welchen Seite man, also Hein steht.

Nicht immer jedoch kann man ( = ich) Hein folgen, nicht immer wird klar, was eigentlich das Problem ist: Zeilen wie „was soll man dazu noch sagen?“ aus „Falsche Fragen“ oder „das kommt davon wenn man jeden Scheißdreck mitmachen muss“ in „Doppelpunkt“ kommen arg Mecker-Opa-mäßig ‘rüber – aber mit den richtig giftigen, pointierten Sachen wie „Geh doch nach Drüben“ oder „Zeichen an der Wand“ kriegt er eine/n dann wieder. Was natürlich auch an der Musik liegt: Xao Seffcheque, Markus Türk, Martin Graeber, Ferdi Mackenthun und Simon Heinen lassen einen so dichten, sämigen, geschmeidigen, zwingenden Soul-Funk-Punkrock-Groove vom Stapel, der hierzulande schlichtweg keinen Vergleich hat. Mit exquisiten Bläsersätzen und Sitar-Einsätzen (!) hauen Family 5 Hit auf Hit raus – und sorgen außerdem für zwei der gelungensten Coverversionen des Jahres: Der Sterne-Song „In diesem Sinn“ klingt jetzt so, wie er schon immer hätte klingen sollen, und Kraftwerks „Autobahn“ rauscht bei Family 5 im Zweieinhalb-Minuten-Ramones-Style vorbei, inklusive Sex-Pistols-Textzitaten. Hätte man sich vorher auch nicht vorstellen können, „funktioniert“ aber grandios – und jetzt ducke ich mich weg, bevor mich Peter Hein wegen des Begriffs „funktionieren“ in Grund und Boden schimpft.

Bringt eure Körper auf die Family 5-Parties im Oktober und November:
31.10. Leipzig, Mörtelwerk
1.11. München, Rote Sonne
2.11. Frankfurt, Cave
3.11. Ravensburg, Zehntscheuer
4.11. Aachen, Musikbunker

 

 

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