Record of the Week

Helena Hauff “Qualm”

3e5792b2-5853-4456-a712-5e1c43e06cf0Helena Hauff
“Qualm”
(Ninja Tune)

Schon der Titel ist super: „Qualm“ bedeutet im Englischen „ein ungutes Gefühl haben“ oder schlicht „Skrupel“ – außerdem raucht Helena Hauff sehr gern und viel, was der deutschen Bedeutung des Flüchtigen, Verwirbelnden von Qualm zusätzlich eine widerständige Note gibt.

Mit ihrem zweiten Album (nach „Discreet Desires“ von 2015) zündet die Hamburgerin eine neue Stufe ihrer Techno-Version: rauh und deep, brodelnd und kraftvoll, dystopisch zum einen, voller positiver Power andererseits. Hauff experimentiert kompromisslos mit ihren Maschinen, der Pop-Appeal ihres Debüts ist nicht vollständig verschwunden, aber einem schrofferen Zugang zu elektronischer Dancemusic gewichen. Das zögernd beginnende „Barrow Boot Boys“ ist der Einstieg in ein albumgewordenes DJ-Set der besonderen Art: schon beim zweiten Track „Lifestyle Guru“ ändert sich die Stimmung fundamental in Richtung hedonistische Clubnacht, „Hyper-Intelligent Genetically Enriched Cyborg“ pluckert so unaufhaltsam wie ein Güterzug, die Beats stampfen und malmen buchstäblich den Weg frei, während „Primordial Sludge“ das Tempo rausnimmt und die Atmosphäre dunkel färbt.

Überhaupt, Dunkelheit: Helena Hauffs Techno ist kein Happy-Sound, sondern die Musik einer besessenen DJ, die dir (der Hörer_in, Tänzer_in, City-Surfer_in) sozusagen ein Nachtsichtgerät in die Hand drückt: kein einfaches Gelände hier, viel Qualm außerdem, aber du kommst klar, vertrau mir – so ungefähr. Ohne Zweifel ist Helena Hauff eine der – oder die! – mutigste, versierteste und beste DJ zurzeit und deshalb viel in der Welt unterwegs. Wenn sie in ein paar Tagen im Kölner Odonien spielt, sollte man sich das nicht entgehen lassen.
Christina Mohr

Verzerrter die Drums nie klangen als auf „Barrow Boot Boys“, dem Opener des dritten Albums von Helena Hauff. Die Vehemenz, mit der uns die Hamburgerin in das Album zieht, grenzt an eine Aufforderung zur Überforderung. Es klopft und klatscht mit einer Hartnäckigkeit, derer man sich nicht erwehren kann, man ist im schönsten aller Sinne schlichtweg willenlos. Und da Hauff keine dramaturgische Pause lässt, die Dringlichkeit nie abnimmt, löst man sich geradezu auf in der um einen kreisenden drastischen Rhythmik.

Die verstörend falsche, surreal anmutende Helligkeit, mit der sie danach in „Lifestyle Guru“ die düster-poldernden Beats spiegelt, steigert die hysterischen Züge dieses außergewöhnlich intensiven Albumbeginns noch – man fühlt sich wie in die Gravitation eines schwarzen Lochs geraten, in der es kein Entkommen mehr gibt, sondern nur noch die fatalistische Neugierde wie es auf der anderen Seite aussieht.

Das störrisch-minimalistische, schwer hypnotische „btdr-revisited“ bietet mit seinem luftigeren Arrangement, in dem man schön den Dialog der von Hauff so geschätzten Rhythm Composern und Analogsynthesizer dechiffrieren kann, danach kurz Gelegenheit zum Durchatmen. So richtig entspannen kann man jedoch nicht, denn „Entropy Created You And Me“ verbreitet mit seinem Kinderlied-Ambient-Gestus Gruseleffekte von Steven King´schen Ausmaße – wie so oft steht dem Horror die naiven Melodienlinien besonders gut zu Gesicht.
Bei „Fag Butts In The Fire Bucket“ macht man sich dann so richtig in die Hose. Ein Track, in dem alles dissonant flackert, ganz so als ob die Einstürzende Neubauten sich mit Underground Resistance vereinen. Dunkler wird es auf „Qualm“ nicht mehr werden.

„Hyper-Intelligent Genetically Enriched Cyborg“ eröffnet danach den Acid-Reigen. Das Stück wirkt im bisherigen Verlauf des Albums fast schon konventionell, so berechenbar schmatzt und knistert es über und unten den atmospherischen Flächen. Oder klarer ausgedrückt: es ist der bisher hittigste Track des Albums. Eine Zuschreibung, derer auch „The Smell Of Suds And Steel“ gerecht wird, der Track, mit dem Helena Hauff ihr Set auf dem Sonar eröffnet hat, und in dem viel von der Liebe zu Detroit verewigt ist, die Hauffs Produktionen generell auszeichnet. Die nervöse Euphorie des Stücks, der in ihm performte Tanz auf dem Abgrund wird durch die verschiedenen Tempi der einzelnen Spuren noch verstärkt. Man ist sich nie sicher, welche Zeit gilt. Zudem liegt über dem Track eine ganz eigene Schmutzpatina, wunderbar verbildicht im Covermotiv des Albums, das Helena Hauff in Blair-Witch-Project-Ästhetik setzt.

„Primordial Sludge“ bietet in seinem klassischen Science-Fiction-Soundtrack-Setting den idealen Vorlauf für „Qualm“ und „No Qualms“, die zentralen Stücke des Albums. Eine wunderbar verträumte Melancholie liegt plötzlich im Raum. Nach all der Düsterheit herrscht ein Zustand der Hoffnung. Der gedrosselte Electro-Rhythmus und die zart streichelnde Melodielinie gehen derart gut zusammen, als ob sie nicht getrennt existiert hätten.„Panegyric“ hat es danach nicht leicht. Es ist kein schlechter Track, aber irgendwie fehlt ihm die Substanz um anzuschließen.

„It Was All Fields Around Here When I Was A Kid“ hingegen, das Stück, mit dem Helena Hauff das Album beschließt, könnte an keiner anderen Stelle als hier thronen, in seiner schleppend-melancholischen Art und mit diesem gewissen popistischen Schimmer ist es genau das passende Abschlussstatement eines herausragenden Albums, das die Hauff auch als Produzentin im Kreis der Besten ankommen lässt.
Thomas Venker

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