Record of the Week

Oum Shatt “Oum Shatt”

oumshattOum Shatt
“Oum Shatt”
(Snow White Records / Rough Trade)

Wurde auch Zeit, dass dieses Album endlich erscheint: Oum Shatt sind seit gut drei Jahren around und viele werden sie schon live gesehen haben. Nicht unbedingt in diesem unserem Lande, denn Oum Shatt spielten von Anfang an auf internationalen Festivals wie Transmusicales oder Fusion. Sowas ist für Bands aus Deutschland keineswegs selbstverständlich (für Schlagzeuger Chris Imler allerdings sehr wohl: seine engagierteste Fanbase hat er in Italien, glaube ich), aber Oum Shatt passen ohnehin nicht ins deutsche Indiepopband-Schema.

Das fängt schon damit an, dass Jonas Poppe, Chris Imler, Jörg Wolschina und Richard Murphy „alte Hasen“ sind: Jonas Poppe hatte damals diese interessante, aber sträflich übersehene Band Kissogram; Wolschina war/ist Gitarrist von Der Elegante Rest, Richard Murphy spielt sonst bei Michael Knight, Imlers Band-Beteiligungen aufzuzählen würde an dieser Stelle zu weit führen. Die vielfältigen Backgrounds und Erfahrungen ergeben in Summe die lässigste und leidenschaftlichste Musik (love the Widerspruch), die man seit langem gehört hat. Auffälligstes Merkmal des Oum-Shatt-Sounds ist der Einsatz arabischer Harmonien und Rhythmik, laut Poppe ist der Bandname eine Verbeugung vor der Sängerin Umm/Oum Kalthoum, die als „ägyptische Callas“ galt (überhaupt wird auf diesem Album Frauen gehuldigt: siehe Songtitel wie „Power to the Women of the Morning Shift“, „Madame O“, „Silent Girl“). Dazu gesellen sich Wave-, Surf- und runtergestrippte Rock’n’Roll-Zutaten: dunkle Bassläufe, spiralige Synthie-Intros, Jonas Poppes melancholischer Gesang und glasklare Gitarrenparts (für Experten: die auf der phrygischen Tonleiter basieren). „Egyptian Reggae“ meets Franz Ferdinand, um es ganz, ganz kurz zu fassen, aber Vergleiche sind nicht wirklich sinnvoll bei Oum Shatt. Die Tracks sind komplex und durchkonstruiert – und gleichzeitig spürt man, wie das Ganze live in ekstatische Improvisationen abgehen kann – Imler am Schlagzeug ist jederzeit zur Eruption bereit, das ist sogar bei den Albumversionen omnipräsent. „Oum Shatt“ fächert einen ganzen Referenz- und Bilderreigen auf, von Film-Noir-Soundtracks über “Lawrence from Arabia” über das abgeranzte Westberlin in den Achtzigern – ort- und zeitlos im allerbesten Sinne, obwohl Poppe in seinen Lyrics durchaus Kommentare zur Zeit abgibt (die Börse crasht, während er mit Madame O im Bett liegt, zum Beispiel).

Ich persönlich bin sehr dankbar für dieses Album, aber eins verzeihe ich euch nicht, Oum Shatt: Dass ihr mich dazu bringt, zu Songs wie „Hot Hot Cold Cold“ oder „Gold to Straw“ ungelenke Pseudo-Bauchtanz-Bewegungen zu vollführen, während ihr so cool guckt wie Clark Gable.
Christina Mohr

Die Berliner Supergroup, über die man spricht. Jonas Poppe, ehemals Kissogram, hat die Songs geschrieben, zur Band gehören außerdem der Staatsakt-Künstler Chris Imler, Hannes Lehmann von Contriva und Jörg Wolschina (Der Elegante Rest). Vieles, was ich hier schreiben wollte, steht schon in / auf Intro, Spiegel.de oder Laut.de. „Es ist alles gesagt, nur noch nicht von allen“ (Karl Valentin).
Auf Spiegel.de ist von „glamouröser Schlaffheit“ die Rede, was mir beim Zuhören auch als erstes in den Sinn kam (und als gutem Phlegmatiker natürlich sehr zusagt). Interessanterweise bleibt die Schlaffheit auch dann erhalten, wenn die Musik sich dynamisch geriert, etwa in dem tollen „Tripped Up / Laid Low“, das vor allem in rhythmischer Hinsicht sehr ambitioniert ist, wobei die Musik aber eben überhaupt nicht ambitioniert KLINGT. Ich erinnere mich an eine alte Spex-Rezension von Michael Ruff über Yeah Yeah Noh, in der er schreibt: „Wenn es einen wall of sound gibt, ist dies hier Maschendraht of sound.“ Dieser Satz lässt sich perfekt auf Oum Shatt übertragen. Bei aller Vielschichtigkeit, die die Musik hier häufig auszeichnet, bleibt der Klang immer über die Maßen transparent. Die Gitarren beschreiben verschlungene Bahnen, die wie vertonte Arabesken anmuten. Ich weiß nicht, ob der orientalische Einfluss, der der Band in Rezensionen zugeschrieben wird, damit im Zusammenhang steht (weil ich nicht sagen kann, was man sich genau darunter vorzustellen hat). Vielleicht haben Oum Shatt auch nur viel „Egyptian Reggae“ von Jonathan Richman gehört? Daran erinnert das erste Stück „Power To The Women Of The Morning Shift“, ein ziemlicher Hit, dank des pointierten Gitarrenmotivs sowie des Texts, bei dem allerdings unklar bleibt, in welchem Gewerbe die Frauen der Morgenschicht tätig sind – sehr schade. Die Band hat eine Vorliebe fürs Kryptische kultiviert, was sich sowohl in den Texten als auch der Coverästhetik zeigt. Der Text zu „Hot Hot Cold Cold“ (musikalisch das am wenigsten schlaffe Stück!) etwa könnte aus der Perspektive einer Gitarre geschrieben sein. Auf den Coverfotos sieht man Personen (wohl die Bandmitglieder) fast immer nur ausschnitthaft. Der Fokus wird eher auf graphische Gestaltung und Form als auf Stringenz und Klarheit gelegt. Indem Oum Shatt sich so demonstrativ als coole Band inszenieren, klingt die Platte gleich noch mal so gut!
Mario Lasar

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