Record Of The Week

Soak „Before We Forget How To Dream“

Soak-COverSoak
„Before We Forget How To Dream“
(Rough Trade Records)

Schon lange nicht mehr so ein schönes Intro gehört wie zu „Before We Forget How To Dream“, dem Debütalbum der Irin Bridie Monds-Watson: „My Brain“ flattert ganz filigran durch den Raum, ein zartes Rauschen, eine vage Unsicherheit, nicht wirklich beängstigend, eher in der Art einer klanglichen Wetterfühligkeit.

Und sehr passend für ein Album, das einige Momente der Orientierungslosigkeit in sich trägt. Die offensichtlichsten haben, das zeigt dann gleich das Folgestück „B a noBody“ (das bereits vor einiger Zeit als Single veröffentlicht wurde), unmittelbar mit der Herkunft von Monds-Watson zu tun.

Man kennt das gemeinhin von Reisen an weit entfernte Orte, wo Sprachen gesprochen werden, die man nicht kennt und deren phonetische Ausschläge einem sofort in einen angenehmen Zustand von Neugierde und Entspannung versetzen.

Ich rede natürlich von Sprachen wie Japanisch, Chinesisch, oder Russisch. Aber seltsamerweise geht es mir bei extrem ausgesprochenen Englisch oft auch so, also bei sehr derben Schottisch, oder total geschluckten Walisisch. Oder eben bei dem vom Winde verwehten irischen Englisch von Bridie Monds-Watson, die als Soak mit BBC Backing zur Coming-of-Age-Musikerin der anstehenden Festivalsaison werden dürfte, das Album unterstreicht dies eindrücklich, aber dazu gleich mehr.

Man rutscht beim Hören immer mal wieder weg vom Narrativ, muss den Rhythmus der Orientierung desöfteren wieder neu suchen – was nicht ganz untricky ist, denn Monds-Watson definiert sich als Künstlerin – ähnlich wie Kate Tempest – stark über ihre persönlichen Texte, in denen sie einen liebevollen Blick auf das eigene Elternhaus mit den üblichen Teenagerverwirrungen zusammen gedacht bekommt. Wobei die fragmentierte Wahrnehmung hier nicht schadet, sondern die Gratwanderung aus Nähe und Verklärung stützt.

Auch abseits ihrer Songtexte ist Bridie Monds-Watson trotz ihrer gerade mal 18 Jahre übrigens sehr klar im Formulieren ihrer Ansichten, wie sie letzte Woche mit einem Beitrag im NME zeigte.

In diesem setzte sie sich mit der anstehenden Volksabstimmung über die Implementierung der homosexuellen Ehe in Irland auseinander (die erste solche Volkabstimmung weltweit) und wusste es sich selbst sehr klug einzuordnen.

Angenehmer Nebeneffekt der teilweise lückenhaften Wahrnehmung der Texte: man justiert auch die Musik in einem fort neu. Denn auch wenn man zunächst meint, dass „Before We Forget To Dream“ hauptsächlich von dieser leicht brüchigen Stimme lebt und sich schnell Allen gehörten sicher ist, so ist dem eben nicht so. Im Gegenteil: das Album speist seine Sogkraft aus der Vielfalt kleiner Ideen und der unterschiedlichen Arrangements ihrer Songs, die sich peu à peu erst so richtig entfalten. Die einen spärlich und karg, ganz so, als ob die Protagonistin in der Ecke kauert, andere opulent und raumfüllend, mit einer Sängerin, die auf jeden Hörer direkt zugeht und ihm in die Augen schaut – und ihm dann beispielsweise ihre Angst vorm „Reaper“ gesteht. So sympathisch kann man mit der Macht des Selbstbewusstseins nämlich auch umgehen: die eigenen Zweifel und Abgründe offenbaren statt Imperative und Manipulationsambitionen zu setzen. Songs wie „Blud“, „Wait“ und die aktuelle Singleauskopplung „Sea Creatures“ oder „Garden“ gehören… ach, warum Einzelnes herausheben, wo das Ganze das Ereignis ist. Denn entgegen des Erstentwurfs meines Textes, in dem ich noch eine gefühlte schwächere zweite Hälfte des Albums festgestellt haben wollte, ist „Before We Forget How To Dream“ ein von Anfang bis Ende bemerkenswertes, spannendes Debüt geworden.
Thomas Venker

Kein Artikel über die irische Singer-/Songwriterin Bridie Monds-Watson alias SOAK kommt ohne die Erwähnung ihres Alters aus (dieser hier auch nicht), geradezu ehrfürchtig wird jeder anderen Information vorangestellt, dass sie ja erst 18 ist. Und als sie anfing, Musik zu machen, erst 13 war! 

Der Typus des musikalischen Wunderkinds übt ganz offensichtlich mystischen Reiz aus; von Michael Jackson über Lorde bis George Ezra lassen sich da zig Beispiele aufzählen. Im öffentlichen Staunen über die unerhörte Jugend der betreffenden KünstlerInnen schwingt ja immer mehreres mit: einerseits Neid auf Talent, weil man selber mit 15 allerhöchstens kitschtriefende Knittelverse mit lila Tinte in Chinakladden schrieb, und vielleicht auch ein bisschen Mitleid, weil man doch mit 15 lieber zweckfreien Quatsch machen sollte, anstatt allein im stillen Kämmerlein eine Kathedrale zu bauen.

Die peers, mit denen SOAK (der Name ist eine Symbiose aus Soul und Folk) als Dreizehnjährige ihre erste Band gründete, nahmen das Musikding auch nicht so ernst und gingen Fußballspielen – für Bridie/SOAK dagegen ist das Songschreiben essenziell, wobei sie betont, dass sie keineswegs depressiv oder todessehnsüchtig sei und dass ihre Kindheit sehr glücklich war.

Ihr Debütalbum „Before We Forget How to Dream“ (nach der EP „Sea Creatures“ von 2013) ist schlicht und leidenschaftlich aufgeladen gleichermaßen, introspektiv und tiefschürfend, aber auch lustig. Romantisch, anklagend, confessing, weltverbessernd, nachdenklich… Also volle Kanne juvenil – was sehr toll ist. Besonders „B a noBody“, Textauszug: „Weekends and cheap thrills / Risk it all for an inch of fun / We’ll never amount to anything / Come on, come on / Be just like me / B a noBody“. Da steckt alles drin, und erwachsene Distanzhaltung führt sowieso nicht weiter. SOAKs Stimme ist kratzig und brüchig, sie singt mit heftigem Derry-Akzent, also „com oin“ und „you’re in my bloid“ und so weiter. Musikalisch widerlegt sie das Vorurteil, dass Singer-/Songwriter-Folk immer gleich klingt: SOAK kriegt es auf ihrer Gitarre tatsächlich hin, Soul und Folk zu verbinden und baut deutliche Hinweise darauf ein, dass sie schließlich ein Kind der 2000er Jahre ist, das mit The 1975 und den Arctic Monkeys aufgewachsen ist.
Christina Mohr

 

 

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