Record of the Week

Princess Nokia “1992 Deluxe”

Cover-SR-Princess-NokiaPrincess Nokia
1992 Deluxe
(Rough Trade)

Hä?!, werden einige ausrufen, “1992” von Princess Nokia ist doch schon LÄNGST erschienen, ihr Blitzmerker! Ja, stimmt, Destiny Frasqueri alias Princess Nokia veröffentlichte vor gut einem Jahr ein 9-Track-Mixtape namens “1992”, das ihrem Geburtsjahr und dem in den frühen Neunzigern sehr starken New-York-HipHop gewidmet war – ein deutlicher Schritt nach Nokias eher clubbigen, teils souligen, suchenden Sachen wie “Metallic Butterfly” oder “Honeysuckle”, das unter ihrem Vornamen, also Destiny erschien (überhaupt steht die Prinzessin auf Pseudonyme, vor ein paar Jahren hieß sie auch Wavy Spice und reüssierte in R’n’B).

Mit “1992” fand sie zu ihrem Rap-Style und ihren afrikanischen Wurzeln (ihre Eltern sind Yoruba/westafrikanische Einwanderer), aware und vielstimmig – das kam so gut an, dass Nokia sich zu ihrem großen Erstaunen in ausverkauften Venues wiederfand, mit sich selbst als Headlinerin. Also, zurück ins Studio und aus dem fragmentarischen Tape ein full-length-Album gemacht: “1992 Deluxe” ist jetzt gut doppelt so umfangreich, was nicht auf Kosten der Faszination geht, im Gegenteil. Obwohl das Album quasi ein zweiter Start mit langer Anlaufzeit ist, klingt es rauh, direkt, tough. Es flowt im Street-Funk-Style, tritt aber auch hart in den Hintern, kratzt und beißt.

In ihrer Radiosendung “Smart Girl Club”, die sie mit ihrer Freundin Milah Libin hostet, sagte sie, dass “1992 ihre Seele befreit” habe: Tracks wie “Tomboy” oder “Goth Kid” unterstreichen dieses Bekenntnis eindrucksvoll. Frasqueri rappt über das Anderssein, ihre Kindheit als Freak und Misfit: “I’m different I’m different I’m different I’m different”, haut sie den Hörern stakkatomäßig um die Ohren, bitter, aber selbstbewusst und entschlossen. Princess Nokias Ansatz ist autobiographisch – und doch durch die Kunstfigur gebrochen. Ihre Story ist auch deine, vor allem, wenn du ein Mädchen bist:

“You make me sick, and all I was was just a kid/You picked a flaw in all I did and go and make me feel like shit… You have no clue to how I lived, in foster care, abused as kids… I was sleeping in the cemetery/Kind of cute, a little scary.” („Goth Kid“)

Aber es gibt auch eine Menge Spaß auf den Straßen von New York City: Skater-Stories wie „Bart Simpson“ oder das „ABC of New York“ machen das klar, und wenn sie über ihre „little titties and fat belly“ rappt, ist das weniger Selbsthass als Verhöhnung irgendwelcher Schönheitsideale.

„1992 Deluxe“ ist eine Hass-Liebeserklärung an New York (damals und heute) und feministisches Statement zugleich – Princess Nokias Remake/Remodel-Aktion hat sich definitiv gelohnt.
Christina Mohr

Bildschirmfoto 2017-11-20 um 16.09.01Über Nokias vielfältiges Engagement für Feminismus könnte man weit ausholen – hier ein ausführliches Interview mit dem NME:

 

 

 

 

“1992 Deluxe” ist schon jetzt nicht weniger als ein Klassiker. Frasqueri vereint die freche Nonchalance einer neuen Generation von HipHop-ProduzentInnen, die eint, sich zu nehmen, nach was es ihnen steht, und das Talent dabei nicht nur zu zitieren, imitieren und collagieren, sondern eben eine eigene Handschrift zu entwickeln. Princess Nokia kennt dabei keine falschen Grenzen, sie macht, zu was sie Lust hat – und sie macht es richtig. Im einen Moment ist sie ein Tomboy (der gleichnamige Track war ihr erster großer Internet-Hit und gehört neben “Bart Simpson”, “Kitana” und “ABCs of New York” zu den besten Stücken des Albums) wie er im Buche steht, im nächsten bekennende Man- und Woman-Eaterin und dann plötzlich eine echte R´n´B-Diva, inklusive Allüren. Was für die Auftritte bedeutet, dass man nie so ganz weiß, wer heute auf der Bühne die Oberhand hat – sicher ist jedoch, dass man am Ende mit offenen Mund dasteht, denn entgegen des ungeschrieben Gesetzes, dass HipHoperInnen live immer schlechter als auf Platte sind, spielt Destiny Frasqueri auch auf der Bühne in einer Klasse für sich.

Wer sich so selbstbewusst zu inszenieren weiß, ist sich natürlich auch seiner Role Model Positon bewusst – und so hat Frasqueri gemeinsam mit Milah Libin den Smart Girl Club gegründet, ein Kollektiv, das mit Workshops, Veranstaltungen und Radiosendungen die künstlerische Selbstbemächtigung der Frauen in der eigenen Hood zu fördern versucht.
In anderen Worten: man muss Princess Nokia bedingungslos lieben.
Thomas Venker

 

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