Record Of The Week

Rosi “Grey City Life”

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“Grey City Life”
(In a bad mood / Kernkrach)


Schwer hat es der DJ einer Wave-Indie-Party bei der Songauswahl. Ich weiß das, denn ich bin so einer. Man sucht und sucht – und es fallen einfach kaum verwertbare neue Titel an. Das ganze Genre ist eine Echokammer, vieles dreht sich um die alte Helden (lies: Kamellen). Kein Wunder vielleicht, denn bei den aktuellen Sachen geben sich die Bands entweder sehr sphärisch und verhallt, vergessen aber, auch nur eine eingängige Melodie in sein Ouevre zu schummeln, oder eine Gitarre dudelt irgendeinen einfallslosen, schon 1000 mal gehörten Gruftrock, dessen Tiefpunkt jedes Mal aufs Neue das aufgesetzte Ian Curtis- oder Andrew Eldritch-Gedächtnis-Geheule (Kennzeichen: gewollt, aber nicht gekonnt) ist – quasi das saure Sahnehäubchen auf dem trockenen Beerdigungskuchen. Spaß macht das keinen.
Massig dieser Karteileichen finden sich als Fehlkäufe in meinem Plattenregal, man hat eigentlich einzig die Chance, auf Nebengenres wie Minimalelektro, Vaporwave oder Italo Disco auszuweichen sowie weiter nach neuen alten Schätzen aus den unerschöpflich erscheinenden 80ern zu diggen, wenn man nicht stets dasselbe spielen mag.
Als Lichtblicke der letzten Jahre blitzten nur Ceremony mit ihrem Meisterstück „The L-Shaped Man“ sowie das  Debüt von Drangsal auf, wobei letzterer im Grunde lediglich geschickt Wavekoryphäen kopiert – das hat man alles schon ähnlich von früher im Plattenschrank mit Mitte 30 – dies aber durch tighten Gesang, gute Melodien und Eingängigkeit wettmacht.
Umso mehr freut man sich, wenn eine wundervolle LP wie die von Rosi erscheint.
Die Produktion ist genug vintage-verwaschen um nicht zu glatt zu sein, verliert sich aber nicht im Soundbrei. Der Sound schwingt zwischen der lakonischen, leicht schludrigen Slackigkeit der 39 Clocks und der kühlen Distanziertheit von She Wants Revenge, die im Vorbeifahren kurz John Maus grüßen.„Graue Stadt“ entwirft eine kalte und düstere Atmosphäre (hier spielt Torsun eine kurze, ungewöhnliche Gastrolle als Abspann-Sprecher im Hörspiel-Stil), „Weak“ lässt in seiner Repetitivität in manchen Momenten an Die Nerven denken. Graue Sonntage in Bielefeld, da kommen Rosi her, dürften meinen in Siegen ähneln, es mangelt in beiden Städten an Zerstreuungsmöglichkeiten, daher sind die hier abgebildeten Stimmungen für jeden depressiv grundverstimmten Kleinstädter gut nachvollziehbar.  Die vorab schon als kunstvoll bedruckte 7“ veröffentlichte Single „Cold Land“ zitiert drumseits sehr eindeutig „Schlachtet“ von Grauzone und bildet die derzeitige gesellschaftspolitische Situation sloganhaft ab: „We live in a cold land / we live in a cold state of fear“.
Dem Eskapismus wird in „Film“ wunderbar Tribut gezollt, die Zeile „She dreamed of all the movies / but there was no story she had to tell“ springt mich dermaßen an, dass ich kaum glauben kann, dass diese Beschreibung über ein Girl und nicht über mich persönlich geschrieben wurde.
Weiterhin werden alle meine Lieblingsbeschäftigungen neben Sexualtität und Musikhören gefeiert: „Tanzen“, „Schlaf“ und der Genuss von „schwarzem Kaffee“. Letzterer wird mit der Loverin verglichen, deren Geschmack und Geruch das Lyrische Ich ebenso dringend benötigt wie den leckeren Kick aus der Bohne. Schön, wer so zu lieben vermag. Der „Schlaf“ bringt schließlich als Höhepunkt des Albums Joana ins Bild, die mit ihrem Gesangsstil mehr als nur ein bisschen an Nico zu erinnern vermag. Man weiß nun: Es gibt Hoffnung, und sie ist sowohl in uns drinnen als auch irgendwo dort draußen zu finden – und was kann eine LP schon mehr verheißen als das? Nichts.
Thomas Feßler

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