Linksein und Älterwerden

“Voll der Bullenname!” – Martin Seeliger über das neue Shitlers-Video “Uwe”

Die westdeutsche Band Shitlers ist ein Phänomen. Sie ringt dem völlig statischen Punkrockgehubere auch im vierzigsten Jahr seines Bestehens noch neue Seiten ab. Die Shitlers greifen sich Neue Medien und HipHop-Attitüde und machen daraus fahrig genialisch ihr ganz eigenes Ding. Bei dem neuen Video zu “Uwe” ist dieses allerdings so versponnen, dass Linus Volkmann auf kurzem Wege (Köln – Thailand) Songwriter Martin Seeliger doch mal zur Rede stellte. Also, was ist Phase, Maus? Und warum sind der politische HipHopszene-Allstar Staiger und Torsun von Egotronic dabei?

Martin, in eurem Video zu “Uwe” tauchen zwei sehr spezielle Figuren der linken Subkultur auf: Staiger und Torsun, welche Rolle spielen die für euch allgemein?
MARTIN SEELIGER: Als Shitlers blicken wir auf eine lange Geschichte des Profilierens über den Ruhm anderer Leute zurück (Antilopen, True Rebel, Operation Semtex, Eight Balls, Linus Volkmann, Alex Schwers, usw.). Die Zusammenarbeit mit Staiger und Torsun folgt diesem historischen Prinzip. Wir hatten einen mittelmäßigen Song mit einer interessanten Geschichte, die wir selbst nicht gut darstellen konnten. Daher brauchten wir irgendjemanden, dem das eher liegt. Torsun und Staiger stellen ja auf unterschiedliche Weise dar, welche Bedeutung politische und kulturelle Orientierung nach links in der Biografie haben können. Dass beide (scheinbar) entgegengesetzte Enden eines politischen Spektrums repräsentieren, diente und als Bezugsrahmen einer weiteren Machtdemonstration: Wenn die Shitlers rufen, kommen sie alle.

Was ist aber ihre Rolle im Clip an sich?
Okay, im Ernst (“Uwe” ist ja auch ein ernstes Lied): Die Geschichte, die ich im Lied erzähle, ist genau so passiert. Frank und ich waren in Berlin und sind – wie wir das eigentlich fast immer machen – in die Rote Rose gegangen und dort haben wir Uwe kennengelernt, der ein ehemaliger Hausbesetzer war. Und weil ich mich für linke Geschichte interessiere, habe ich den viele Sachen gefragt und er hat halt Auskunft gegeben. Und dabei hatte ich eben den Eindruck, dass da was nicht richtig geklappt hat.
Staiger und Torsun haben ja beide ziemlich solide Lebensentwürfe (wenn man mal davon absieht, dass bei dem einen immer mal wieder die Bullen klingeln und der andere mit einiger Wahrscheinlichkeit auf den Todeslisten verschiedenster Nazigruppen steht). Aber irgendwie stellen sie schon dar, wie das ist mit dem Links-Sein und dem Älterwerden. Außerdem finden wir sie nett und wollten mal was mit ihnen zusammen machen. Und ich glaube, irgendwie fand ich es auch wirklich cool, die beiden (die übrigens schon lange gut befreundet sind) in das selbe Projekt einzubinden, denn ich halte wirklich nicht viel von dem innerlinken Grabenkampf, dessen Spektren beide ja repräsentieren.
Das ist aber auch so eine Sache mit der linken Politik. Wir versteigen uns da, ähnlich wie Uwe, oft in total abwegige Diskussionen um die 17 („Nein 22!!“) Arten von modernem Antisemitismus oder den Volkskrieg in Indien. Und irgendwann ist das halt nicht mehr interessant und man schließt doch endlich mal sein Studium ab, eröffnet einen Fahrradladen oder wird Hausfrau und Mutter. Und manche, wie Uwe, schaffen dann den Absprung nicht. In diesem ständigen Drehen um uns selbst versäumen wir es irgendwie, jemand anderen zu erreichen, außer uns selbst (und vielleicht den ruhegestörten Nachbarn der VoKü im Keller). Das ist ein Problem und ich habe keine Lösung dafür -Staiger aber bestimmt…

Uwe ist ja ein ganz trivialer, eher überkommener Kartoffelname, wer ist für euch “Uwe”?
Für mich ist der stereotype Uwe ein älterer, untersetzter Polizist mit Schnauzbart, der bei “Bochum Total” das Glasflaschenverbot durchsetzt. Von daher war ich auch überrascht, als unser Uwe mir eröffnete, er heiße Uwe. Ich glaube, ich habe damals sogar sowas gesagt wie “Haha, voll der Bullenname”.
Aber klar, es geht in dem Lied natürlich nicht nur um Uwe, sondern auch um das Prinzip dahinter. Etwas, das mich schon mein Leben lang fasziniert, sind Diskrepanzen zwischen Reden und Handeln. Immer wieder behaupten ja Leute, etwas zu tun, was sie dann tatsächlich gar nicht tun („Die Südamerika-Doku, die Du mir empfiehlst, klingt total spannend. Klar, die schau ich mir gleich auf jeden Fall an!“). Oder andersrum, sie behaupten, dass sie etwas niemals tun würden, nur, um es kurz darauf dann doch zu machen („Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu bauen“). Wieso tun Leute das? Und glauben sie es dann wirklich? Ist es vielleicht auch manchmal gut, nicht die Wahrheit zu sagen, weil manche wichtigen Dinge sonst gar nicht möglich wären? Und ist ‚Wahrheit‘ in Bezug auf so politische Biografien nicht vielleicht auch ein überfrachtetes Konzept?
Hans-Christian Ströbele hat mal erzählt, dass er früher als Anwalt keine Rentenversicherung hatte, weil er davon ausging, wenn er mal alt ist, eine Revolutionärsrente zu erhalten. Dass man als junger Mensch irgendwas anstrebt oder erwartet, ist aber keineswegs eine Garantie dafür, dass es später mal eintritt. Nur ist Uwe, der sich zwar auch in Kreuzberg herumtreibt, eben nicht Grünenabgeordneter geworden. Das finde ich ungerecht.

Im Video wirkt es, als würde Torsun gar nicht acten sondern als würdet ihr einfach streiten? Da man ja nicht hört, was gesagt wird: Worum ging es?
Wir haben uns da in der “Kirche von unten” in Prenzlauer Berg getroffen, um die Atmosphäre von so einem linken Punkladen einzufangen, was min Einschränkung ganz gut geklappt hat. Torsuns grandiose schauspielerische Leistung ermöglichten nicht zuletzt ein oder zwei Flaschen Wein. Worüber wir da geredet haben, weiß ich gar nicht mehr. Auf jeden Fall auch über den Streit mit Archie über das Dickies-Konzert und die Frage, welche Rolle Konflikte im Punk spielen und spielen sollten. Und Torsun hat Geschichten von Erik Schunder erzählt. Das war eigentlich der Höhepunkt. Wir sind anschließend übrigens noch in die Rote Rose gegangen und dort recht lange geblieben. Uwe war aber leider nicht dort.

Martin, du warst aktuell mit Alex Schwers (Drummer von unter anderem Slime und Initiator des Ruhrpott Rodeos) in Thailand, wie kam das eigentlich – und was macht ihr anders als andere Sex-Touristen. Alex hat ja zum Beispiel Familie?
Ich kann dazu jetzt noch nichts Genaues sagen. Vielleicht erstmal nur so viel, dass wir mit einer SEHR WICHTIGEN Aufgabe hergekommen sind, die auch etwas mit Punk zu tun hat.

Viele Shitlers-Fans denken, die Band hängt am seidenen Faden – kannst du bisschen was sagen darüber, wie es weitergehen wird?
Die Band hängt doch schon immer am seidenen Faden. Dafür, dass es sie jetzt schon sieben Jahre gibt, hält der also eigentlich ganz gut. Nachdem unsere letzten Konzerte eher Zumutungen waren, haben wir uns für die anstehenden vorgenommen, mal wieder richtig zu proben. Mal sehen, ob wir das schaffen. Wir spielen am 28.4. in Wuppertal mit Hammerhead und Egotronic und dann im Sommer zwei verlängerte Wochenenden, eins mit Kotzreiz (Hamburg, Göttingen, Jena, Leipzig) und eins mit Robinson Krause (Köln, Bremen, Hamburg, Berlin). Wobei der Robin von Robinson Krause meine Nachrichten schon länger nicht mehr beantwortet. Vielleicht liest er das hier ja und meldet sich.
Es kann aber wirklich sein, dass im Sommer nach der Tour Schluss mit Shitlers ist. Eigentlich wollte ich schon Anfang 2016 Shitlers beenden, habe ich aber nicht geschafft. Eigentlich würde ich aber auch gern nochmal eine Fortsetzung von ‚Früher haben die Nazis Power gemacht, heute machen wir Power‘ aufnehmen. Wir haben sogar schon mal angefangen, so eine Fortsetzung zu schreiben. Ein paar der Songs sind dann auf “This is Bochum, not LA” gelandet. Mal sehen

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Martin Seeliger (rechts) zusammen mit Alex Schwers in Thailand

 

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