Thomas Venker

Die Augen des Bösen

Vor einigen Tagen saß ich in einem merkwürdig leeren Zimmer in einer abgelegen im Wald befindlichen Klinik bei Rostock einem Mann gegenüber. Wir hatten etwas zu besprechen. Es ging um die Zukunft eines Menschen. Doch für ihn war es ein Monolog – kein Dialog. Nicht einen Augenkontakt gewährte er mir während der halben Stunde, die er sich dafür in seinen Terminkalender ordentlich eingetragen hatte. Nicht einen. Und meine Fragen ignorierte er geflissentlich, störten sie ihn doch nur in seinem vorbereiteten Skript.

Das ist gar nicht so leicht, denn ich suche gewöhnlich die Blicke meiner Gegenüber sehr konsequent. Schließlich gehört es zum zwischenmenschlichen Dialog, dass man sich dabei ansieht: Worte können viel erzählen, aber die Augen, sie sprechen die Wahrheit.

Dementsprechend wenig schätze ich es, wenn sich Leute Konflikten entziehen, in dem sie den visuellen und gesprochenen Dialog meiden. Das dürfen nur schüchterne Menschen, aber sobald der Hauch von Arroganz und falsch verstandener Macht im Raum liegt, sträubt sich alles in mir.
Ich hätte ihm am Ende der Audienz die Augen gerne so drapiert, wie Dario Argento dies in „Opera“ vorgeführt hat:

Ein Hinterhof in Berlin Mitte. Hier, wo nach der Wende ein Piratensender den Sound der neuen Freiheit in den Äther schickte (in seiner Vielseitigkeit zwischen Doc Schoko und Jungle) und einst Appartement an Appartement die Protaganisten der Neuen Berliner Subkultur unbekümmert und in Absenz eines Wirtschaftsplans hausten, hat die troste deutsche Realität Einzug gehalten. Statt offener Kommunikationsachsen zwischen den Hausflügeln und Nachbarn, die den interessierten Austausch suchen, allerorts zugezogene Vorhänge und misstrauische Blicke dahinter.
Man kann gar nicht sagen, seit wann das so ist, es war ein schleichender Prozess aus Ein- und Auszügen – und plötzlich findet man eine Abmahnung im Briefkasten, die von unangemessen lauten sozialen Zusammenkünften mit englisch- und französischsprachigen Besuchern spricht. Mit jenem freien Geist, der hier in den 90ern und frühen 00ern herrschte, hat das nichts mehr zu tun.

Ein anderer Ort, nur zufällig einmal mehr im Osten. In Clausnitz haben sich mutige Menschen nicht den Blicken der deutschen Aggressoren entzogen, die ihren Bus angriffen. Sie haben ihnen nicht nur standgehalten, sondern sie angemessen mit Stinkefingern und Kopfab-Zeichen kommentiert. Dafür weist ihnen die deutsche Polizei nun die Schuld an der Eskalation der Vorfälle zu: https://www.periscope.tv/w/1lDGLbRgDdqxm
Die Logik des Staates, man versteht sie leider nur allzu gut.

Wir dürfen uns diesen Augen des Bösen in all ihren Ausgeburten nicht ergeben! Wir müssen uns ihnen stellen und so lange zurückschauen, bis wir sie brechen. Das ist nicht leicht, und vieles, was wir dabei zu sehen bekommen, ist niederträchtig und ekelhaft. Aber eins ist sicher: mit Wegschauen werden die Verhältnisse nicht besser, das sollte gerade uns Deutschen die Geschichte eindrücklich gelehrt haben.

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