Die Mehrheit als Sekte III

Bewegung, Unterordnung, Gefolgschaft / Exkurs: Trump als Sektenführer

In einem Jahr ist Bundestagswahl. Das politische Koordinatensystem ist jetzt schon zerbröselt, ganz gleich, ob es für Merkels vierte Amtsperiode doch noch reicht oder Sigmar Gabriel die SPD tapfer über zwanzig Prozent hält. Wer die Gründe fürs Zerbröseln sucht, darf nicht da suchen, wo sich lautstark darüber beklagt wird – im Politikbetrieb. In einer Serie, die monatlich bis zur Bundestagswahl fortgeführt wird, analysiert Felix Klopotek die »Politik der Mitte«, in der sich Aufstieg und Niedergang der politischen Moral exemplarisch verdichten.

Bewegung, Unterordnung, Gefolgschaft / Exkurs: Trump als Sektenführer

Zu Trump ist natürlich alles schon gesagt. Macht das keinen stutzig? Man ging am Abend des 8. November in der medial befeuerten Gewissheit ins Bett, dass Hillary Clinton haushoch gewinnen wird, und mit der gleichen Selbstsicherheit kommentierten die Alpha-Journalisten den Sieg Trumps pünktlich zu den 9-Uhr-Nachrichten. Da kann doch was nicht stimmen. »Trumps fanatische Anhänger interessierte nicht, was wahr und richtig ist.« Mag sein, liebe Kollegen, aber euch interessiert es auch nicht.

Josef Joffe schüttete in einem Ende Oktober erschienenen Leitartikel für DIE ZEIT viel Häme über Trump aus: »Amerikas blonder Mussolini«. Inhaltlich muss man Joffe nicht wirklich ernst nehmen, mal war er sich ganz sicher, dass Trump nie wird gewinnen können, jetzt weiß er bereits, dass Trump institutionell eingehegt werden wird, und zwischendurch war Trump halt ein »blonder Mussolini«, was Bullshit ist, weil der faschistische Mussolini ein rabiater Imperialist war, während Trump nicht zuletzt dank strikt isolationistischer Aussagen gewonnen hat. Bei Kommentatoren wie Joffe ist es nicht wichtig, was sie sagen, sondern wann sie es sagen, es ist der Opportunismus der Kopflanger. Aber eine Sache in seinem Stück über den »blonden Mussolini« ist dann doch bemerkenswert: Joffe kommt nicht ohne Seitenhieb auf Bernie Sanders aus, den er im abgeschmackten Stil des Spätantikommunismus nur einen »selbst ernannte(n) Sozialisten« nennen kann (wo hat eigentlich die offizielle Prüfstelle für Sozialisten ihren Sitz?). Dessen Programm tut er arrogant als »Füllhorn staatlicher Goodies« ab. Was damit gemeint ist? »Umsonst-Studium für alle, gesetzliche Krankenversicherung, hohe Mindestlöhne – Umverteilung en gros.« Ja, sicher, Umverteilung geht gar nicht! Nach dem Wahlsieg Trumps war auch in der ZEIT der Tenor, dass die Kultureliten, die Gender-Linken, die hochnäsigen Globalisten, kurzum: der linke Flügel des Neoliberalismus abgewirtschaftet habe. Ein Programm zur Überwindung des Neoliberalismus hatte Sanders schon lange vorgelegt, nennt man es aber beim Namen, werden dessen Selbstverständlichkeiten – mein Gott, eine gesetzliche Krankversicherung! – als Goodies verspottet.

»Trumps fanatische Anhänger interessierte nicht, was wahr und richtig ist.«: Wohl wahr, aber das ist nicht ihre Rache an den linksliberalen, städtischen Eliten, sondern die getreue Kopie ihres Verhaltens. Sie haben die Wahrheit durch die Opportunität ersetzt: Umverteilung von oben nach unten (übrigens ist das noch lange kein Sozialismus!) ist nicht opportun.

Trump hat dieses Programm der Bedeutung ohne Wahrheit vulgarisiert, indem er direkt die Massen angesprochen hat, weswegen ihn die Republikaner zunächst gewähren ließen, erreichte er doch Wählerschichten, die der Partei vielleicht vor fünfzig Jahren schon verloren gingen. Die Partei-interne Revolte der Tea-Party-Bewegung sollte in eine gesellschaftliche transformiert werden. Die Bewegung, die Trump ausgelöst hat, hat in ihrem kalkulierten Furor den Kern konservativen Denkens selbst zersetzt: Anstand, Maßhalten, Wahrung überlieferter Formen sozialen Miteinanders, glaube an die letztlich gottgegebene Ordnung und die Unwandelbarkeit des menschlichen Wesens (letzteres immer mit einer kräftigen Prise Rassismus gewürzt) … passé. Trump ist libertär, Trump ist hedonistisch, Trump ist vulgär, Trump verherrlicht das asoziale Durchboxen, Trump fordert Unterordnung. Die »freedom of speech«, die Trumps Breitbart-Jünger gegen die angebliche geistig-kulturelle Hegemonie der linken und liberalen Sprachreiniger aufbieten – die, keine Frage, nerven und quengeln und der emanzipatorischen Politik, die sie sich auf ihre Fahnen geschrieben haben, überheblich-borniert im Wege stehen, die aber längst nicht so hegemonial sind, wie Ariana Rowlands und Milo Yiannopoulos zu behaupten nicht müde werden –, ist ein reines Kampfmittel. Sie zielt nicht auf einen befriedeten Zustand ab, dessen Ideal der englisch-akademische Debattierclub wäre, sondern dient einzig der Herabsetzung der Gegner, indem man sich als Opfer jener linksliberalen Hegemonie inszeniert.

Den Bedeutungen muss die Wahrheit ausgetrieben werden, der erste Schritt dazu ist die Unterwerfung der Anhänger unter die Bewegung. Aus der Bewegung wird Gefolgschaft, aus der Gefolgschaft eine Sekte. Das Zitat aus Peter Brückners großen Essays »Die Mehrheit als Sekte«, das als Leitidee dieser Kolumne dient, könnte aus diesem Herbst stammen (es bezog sich auf einen anderen Herbst, den deutschen, 1977, als freiwillige Gleichschaltung und postfaschistischer Ausnahmezustand in der Luft lagen): »Die Sekte, das ist der soziale Boden, auf dem Reinheitsgebote und Orthodoxie erblühen – bei der Mehrheit der Bevölkerung nur zu fühlbar als die Unduldsamkeit, die keinerlei Einwände gegen den status quo aushält (…); die ›intolerance of ambiguity‹, die den eigenen Zweifel so fürchten kann, dass sie den Anlass für Zweifel ausspeit und sich selbst borniert macht, sich alltäglich dogmatisiert.«

Wie die Selbstbornierung geht? Da überbieten sich die Kommentatoren seit dem 9.11. mit Analysen, die bereits jetzt schon keine Rolle mehr spielen. An dieser Stelle soll keine weitere folgen. Nur der Hinweis auf ein kurzes Interview mit Trump, das dieser 1980 anlässlich des Baus seines New Yorker Trump Towers gegeben hatte. Interessant an diesem Interview ist zunächst, dass Trump sich dafür ausspricht, in Innenstädte zu investieren – Innenstädte galten damals als Wastelands des Kapitalismus, Trump bewies mit der noch sehr wagemutigen Idee, hochpreisiges Wohneigentum anzubieten, den richtigen Riecher. Der Interviewer rechnet ihm dann vor, dass seine Bauvorhaben wohl kaum für die Arbeiterklasse erschwinglich wären … und an dieser Stelle kommt der Trump-Moment: Verglichen mit anderen Bauten sei das eigentlich ein sehr niedriger Preis, sagt er. Das ist nicht die Antwort auf die Frage. Trump äußert sich nicht zur Sache, sondern relativiert sie. Er bleibt auf der Seite der Elite, der Großbourgeoisie, der High Society, aber er zwinkert den Arbeitern zu: Gemessen an den anderen bin ich doch der Wohltäter.

Wenn es ein Gegengift gibt, dann dies: Bleibt bei den Fragen, lasst euch nicht von den Antworten abspeisen, fragt solange nach, bis sie so entnervt sind, dass sie Farbe bekennen müssen. Dann wäre man der Wahrheit zumindest ein Stück näher.

 

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