Die Mehrheit als Sekte VI

Lasst sie damit nicht davon kommen!

Im Herbst ist Bundestagswahl. Das politische Koordinatensystem ist jetzt schon zerbröselt, ganz gleich, ob es für Merkels vierte Amtsperiode doch noch reicht oder Martin Schulz die SPD tapfer über zwanzig Prozent hält. Wer die Gründe fürs Zerbröseln sucht, darf nicht da suchen, wo sich lautstark darüber beklagt wird – im Politikbetrieb. In einer Serie, die monatlich bis zur Bundestagswahl fortgeführt wird, analysiert Felix Klopotek die »Politik der Mitte«, in der sich Aufstieg und Niedergang der politischen Moral exemplarisch verdichten.

TennisLasst sie damit nicht davon kommen!
Nur ein paar Beobachtungen. Denn es liegt ja alles vor uns. Tatsächlich wird einem wenig verschwiegen, und was einem verschwiegen wird, taugt allein als Stoff für große Literatur – siehe James Ellroys »Underworld«-Trilogie.

Nehmen wir die Ermordung John F. Kennedys, man kann sich sehr sicher sein, dass er Opfer einer Verschwörung von Mafia, Teilen der CIA und antikommunistischen Exil-Kubanern wurde. Andere sind sich aber ebenso sicher, dass Lee Harvey Oswald auf eigene Faust handelte und einfach ein hervorragender Schütze war. Das sind schöne Spiele der Spekulation. Aber das wirklich Relevante – und für alle Aufmerksamen offensichtliche – ist doch, dass sich nach dem Attentat die verschiedenen Akteure des Staatsapparates und seine dunklen Ableger im Milieu des organisierten Verbrechens so verhalten haben, als hätte es eine Verschwörung gegeben: von der hektischen Vereidigung Lyndon B. Johnsons, über die schlampig durchgeführte, vom FBI gedeckelte Untersuchung des Ereignisses bis zu den feixenden, triumphierenden Mitschnitten aus dem einst mit dem Kennedy-Clan verbandelten Mafia-Milieu. Alle haben so gehandelt respektive sich so geäußert, als wäre ihnen eine Verschwörung absolut plausibel erschienen. Dass Kennedy einer Verschwörung zum Opfer hätte fallen können, war Teil ihres Handlungskalküls. Das allein zählt! In dem Umgang mit dem Attentat enthüllt sich mehr über den Zustand des Staates und seiner Politik als in allen Spekulationen über »verborgene Motive« und geheime Verbindungen zwischen den Protagonisten.

Verschwörungstheoretiker, die sich zwanghaft nicht an das Offensichtliche halten können, machen sich die Welt nicht einfacher, sondern im Gegenteil immer komplizierter. Sie kapitulieren nicht vor der Komplexität der Welt, sondern vor ihrer Einfachheit. Da mit jeder weiteren Spekulation das Unwahrscheinliche zunimmt, muss der Verschwörungstheoretiker auf immer mehr Annahmen zurückgreifen, auf waghalsige Stützkonstruktionen und verschlungene Umwege, um das Unwahrscheinliche doch noch plausibel zu gestalten. Ein Ende ist nicht abzusehen, die Spekulationsmaschine dreht hohl, und meist wird dieser infinite Regress einfach brutal abgebrochen, indem der Verschwörungstheoretiker schließlich alles doch noch den Juden – DEM Juden an sich – in die Schuhe schiebt.
Aber macht ihn das glücklich, stillt es seine Erkenntnissucht? Wohl nicht. Glaube niemand, dass die Nazis »gesättigt« gewesen wären, hätten sie ihre Mordbrennerei vollbracht und alle Juden ausgetilgt. Der Wahnsinn wäre weitergegangen.

Das war eine Abschweifung. Kommen wir zu den versprochenen Beobachtungen. Da wäre etwa die glühende Rede eines amerikanischen Konservativen gegen Trump, ein Aufruf zum Widerstand: »Für die Gemeinschaft der konservativen Denker, Experten und, noch wichtiger, der konservativen Politiker, ist eine Zeit der Prüfung gekommen. Entweder Ihr steht jetzt für Eure Prinzipien auf und für das, was wir unter anständigem Verhalten verstehen, oder Ihr geht jetzt oder in ein paar Jahren als Feiglinge oder Opportunisten unter. Eurer Ruf wird sich nie erholen, und das darf er auch nicht.«
So markig fordert es Eliot A. Cohen, und im Kleingedruckten schiebt die Redaktion hinterher:
»Eliot A. Cohen war von 2007 bis 2009 Berater (›Counselor‹) von Außenministerin Condoleezza Rice unter der Bush-Regierung und bekleidete damit eine der ranghöchsten Positionen im amerikanischen Außenministerium. (…) Cohen war einer der ersten einflussreichen Berater, die nach dem 11. September 2001 einen Krieg gegen den Irak und Iran propagierten.«
Ein mutmaßlicher Kriegsverbrecher also. Die Proteste gegen Trump sind das Ticket, auf dem alle reisen, deren mieser Politik die Amerikaner Trump mindestens indirekt zu verdanken haben, die genauso gefährlich und genauso verschlagen wären (oder, wie Hillary Clinton, es als Außenministerin bereits waren), mit dem feinen Unterschied ihrer feinen Manieren.

»Warum gegen Trump demonstrieren, der noch nichts getan hat? Stattdessen hätte gegen Obama demonstriert werden sollen, der 2,5 Millionen Menschen abgeschoben hat; der den Versuch, Folter für illegal zu erklären, blockiert hat; der den Saudis Flugzeuge besorgt hat, damit sie im Jemen Schulen und Krankenhäuser bombardieren; der eine neue Pipeline bauen ließ, die Zahl der syrischen Flüchtlinge auf 10 000 beschränkte …  Die Liste ist noch viel länger.
Der Fokus auf Trump zeigt, dass die Menschen, die auf die Straße gehen, in einem elektoralistischen, also am Wahlergebnis orientierten Denkmuster stecken geblieben sind: Sie bekämpfen einen schlechten Präsidenten anstatt das soziale System, das ihn hervorgebracht hat.« Sagt der amerikanische Marxist und Philosoph Paul Mattick jr. im Interview mit der Jungle World. Das Problem Trump ist das Problem Obama – und dabei sollte man nicht stehen bleiben, sondern sich zur Systemfrage vorarbeiten, was mühevoll ist, aber immerhin hilft einem Mattick höchstselbst dabei, wie seine Analysen zur anhaltenden weltwirtschaftlichen Stagnation demonstrieren.

Das Problem Trump ist aber auch das Problem Andrea Petkovic. Petkovic soll, so habe ich mir sagen lassen, eine ganz passable Tennisspielerin sein. Erst kürzlich hatte sie einen traumatischen Schock durchzustehen, als zur Eröffnung eines Tennis-Turniers in Hawaii vor den Ohren des deutschen Frauen-Teams ein bemühter Tenor sich durch die berüchtigte erste Strophe der deutschen Nationalhymne knödelte. Petkovic hat »mit großer Wut und Fassungslosigkeit auf den Hymnen-Eklat von Hawaii reagiert«, und damit meinte sie nicht etwa den überforderten Tenor: »Dass das im 21. Jahrhundert passiert, in Amerika und nicht irgendwo in Timbuktu, das ist bezeichnend.« Irgendwo in Timbuktu! Merke: die Wüstensöhne sind so barbarisch borniert, dass sie glatt die erste Strophe unserer Hymne trällern würden, käme Frau Petkovic zu einem Turnier eingeflogen.
Es ist wie mit dem wohlfeilen »Widerstand« gegen Trump: Unter dem Deckmantel der politischen Korrektheit darf man den größten Mist absondern. Lasst sie damit nicht davon kommen! Herrschte ein wenig Gerechtigkeit auf dieser Welt, müsste die Petkovic für zwei Jahre gesperrt werden und in einer internationalen Friedensbrigade beim Wiederaufbau dieser im Bürgerkrieg von Islamisten in großen Teilen zerstörten Stadt, deren kulturelles Erbe zum Gedächtnis der gesamten Menschheit gehört, mithelfen.

Zwei Nachträge: Björn Höcke in Dresden und Steve Bannon als Filmemacher.
Ja, die schlimme Rede von Höcke in Dresden! Dabei hält sie die wirklich schlimme Botschaft für die Nationalisten selbst bereit. Man muss, wie gesagt, nur ein bisschen genauer beobachten: Höcke lässt keinen Zweifel daran, wie sehr er den Westen verabscheut – Deutschlands Westen! So sei er zwar im Rheinland geboren, aber mittlerweile sei in Thüringen voll integriert und so glücklich darüber, die Hauptstadt Deutschlands möchte er liebsten nach Dresden verlegen. Höckes Deutschland-Vision ist de facto die eines Rumpfstaates, der noch nicht mal das gesamte Gebiet der DDR umfassen würde. Damit liegt er auf der Linie der nationalistischen Selbstverstümmelung, wie sie für Deutschland seit der Reichsgründung Bismarcks charakteristisch ist: Immer dann, wenn sich die Deutschen sammelten – oder sammeln ließen –, um sich zu unwiderstehlicher Größe zu erheben, wurde als Folge dieser Erhebung ihr Land immer nur kleiner und mieser, selbstverstümmelt um all das »Fremde«, was das Land liebens- und lebenswert hätte machen können.

Sein Name löst Angstlust aus, aber hat eigentlich jemand Steve Bannons Masterpiece »Generation Zero« gesehen? Der Mann ist ja passionierter Filmchenmacher und versteht sie als geschichtsphilosophische Manifeste. »Generation Zero« ist ein wirrer Bildersturm, geordnet allein durch die obsessive Klischeehaftigkeit seiner Assoziationen (Finanzkrise = Ansturm der Haischwärme), zugekleistert von einem penetranten Soundtrack. Gequirlter Apokalypse-Kitsch – aber so gründlich gequirlt, dass der Film als eine Trash-Parodie von Aphex Twin auf die Autoren-Musikvideos der 90er Jahre durchginge. Es ist offensichtlich, dass Bannon sich bei einer Ästhetik bedient, die er pausbäckig für irgendwie zeitgemäß hält. Wie nebenbei demonstriert er, dass eine postmoderne Ästhetik, die vor zwanzig, dreißig Jahren als subversiv galt, weil sie einen »modernen« Kanon des Erzählens (und damit der Sinnhaftigkeit) unterlief, eben doch keine Garantie dafür bietet, dass sie nicht faschistisch eingesetzt werden könnte.
Faschistisch? Aber sicher doch. Bannon ist bekanntlich Anhänger einer Zyklen-Theorie, »Generation Zero« ist deren Illustration. Für ihn läuft ein Geschichtszyklus nach achtzig Jahren ab (gilt der eigentlich nur für die USA?), sein Ende ist krisenhaft und schließlich katastrophisch und mündet in einen neuen Zyklus, der sich für mindestens eine, vielleicht sogar zwei Generationen als Aufstieg darstellt. Der letzte Zyklus endete nach Bannon in der Katastrophe der Weltfinanzkrise – und in Obamas Präsidentschaft. Mit Trump beginnt ein neuer Zyklus. Wäre dem so, liefe die Geschichte in Zyklen ab, Bannon & Co. könnten sie beschreiben und die Leute auf das Unvermeidliche einstimmen, aber mehr auch nicht. Denn in den Zyklus eingreifen – das geht naturgemäß nicht, es wäre kein Zyklus mehr. Warum dann Bannons düsteres Geraune? Weil es »die anderen« sind, die Linken, die Liberalen, die Feministinnen, die Bürgerrechtler, die den Zyklus manipulieren, von der natürlichen Ordnung abweichen, die Abfolge der historischen Stadien durcheinander bringen (wollen). Die Zyklus-Theorie verspricht Transparenz – ist ihr Schema einmal durchschaut, weiß jeder, wo diese Gesellschaft gerade steht. Tatsächlich ist diese Ideologie aber die Folie, vor deren Hintergrund sich die Volksfeinde, die Manipulatoren der gesellschaftlichen Natur deutlich abzeichnen. Wer von dem natürlichen Lauf der Dinge abweist, ist der wahre Feind, Bannon hat die innerstaatliche Feinderklärung vollzogen.

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