Linus Volkmann

Die Titanic und man selbst – 15 mal verknallt

Das Aufkommen der sogenannten Spaßgesellschaft, die Printkrise, ein Satire-Boom im TV mit dem Rückhalt öffentlich-rechtlicher Schatzkammern. Jeder einzelne dieser Umstände hätte ein Magazin wie Titanic killen oder zumindest in die Bedeutungslosigkeit drücken können. Dass der kleine Eigenverlag aber immer noch gute Hefte, gute Leute und Relevanz produziert, ist wirklich alles aber sicher nicht selbstverständlich. Mit Sonneborn und der Titanic-Partei DIE PARTEI sitzt man sogar im Europa-Parlament. Ich selbst verfolge das Magazin und seine Protagonisten seit Kindheit mit Staunen, Begeisterung, Neid, Wut. Mitunter alles gleichzeitig. Nun hatte mich tatsächlich die Einladung erreicht, einmal Gast bei dem monatlichen Titanic-Leseabend zu sein. Dafür schrieb ich diesen Text. Die Titanic und man selbst. Meine ganz persönliche Emo-Festschrift.

  • 1988

Meine erste Begegnung mit der Titanic: Ich war eine Art Kind, mein Vater brachte an seinem Besuchswochenende eine Zeitschrift mit (noch was Besonderes in den 80ern): Die Titanic-Ausgabe nach dem Buntstift-Skandal bei „Wetten dass…?“
Wie alle damals waren auch wir mit unserer Familie auf Seiten von Thomas Gottschalk – und hassten Bernd Fritz. Gerade auch für diesen Cliffhanger in der Sendung. Denn wie sein Buntstifte-Coup funktioniert hatte, das wollte er dem hergelaufenen ZDF-Zuschauer live nicht verraten – man möge sich doch bitte das nächste Heft kaufen.
Es zu lesen, war kein Vergnügen, ich mochte die Zeichnungen nicht, die langen Texte verstand ich kaum, was sollte das alles?

  • 1994

Mittlerweile ist alles anders. Von Hanau beziehungsweise Maintal bin ich nach Darmstadt zum Studieren gezogen. Die Titanic fungiert dabei neben extremer Musik als Scheunentor, durch das Information und Dissidenz diese kleine Welt flutet. Es geht sogar soweit, dass ich Max Goldt einen distanzlosen Brief schreibe, in welchem ich ihm meine Liebe gestehe.
Er antwortet höflich angeekelt mit einer Postkarte.

  • 1997

Auf der Popkomm in Köln setze ich mich an den Stand eines Zeitschriftenvertriebs, dieser kümmert sich auch um die Auslieferung der Titanic. Plötzlich nimmt Oliver Schmitt neben mir auf der Couch Platz. Wo kommt der denn jetzt her? Die Messe hält den Atem an. Andächtige Stille. Oder doch eher angstvolle? Schmitt wirkt, wie man sich einen Titanic­-Redakteur vorstellt: Schlecht gelaunt, humorlos, böse. Immerhin: Er trägt einen Hängeohrring in Form einer silbernen Feder, scheinbar nicht als Gag – auch sein ungünstiger Dialekt wirkt nicht gerade ehrgebietend. Ich haue trotzdem schnell ab.

  • 2002

Für Intro mache ich im Superwahljahr 2002 ein Interview mit dem damaligen Chefredakteur Martin Sonneborn. Er kommt sogar der Bitte nach, nicht in „character“ zu antworten. Für meine Kontakte zu Titanic werde ich in der Intro-Redaktion sehr bewundert. Es ist und bleibt eine Währung. Habe jenen Text im Nachklapp jetzt noch mal gelesen. Fazit: Alle meine Fragen sind total bemüht und dumm. So ungefähr hatte ich es auch in Erinnerung.

  • 2004

Mein Freund Jens Friebe hat einen sehr geschäftigen Bruder. Dieser schrieb gemeinsam mit dem Talkshow-Irokesen ein Buch über sogenannte Arbeit. Darüber hinaus hatte der Bruder in den 90ern aber auch ein Satire-Fanzine „Luke & Trooke“, gemeinsam mit dem mittlerweile als Titanic-Redakteur auffällig gewordenen Mark-Stefan Tietze. Friebe empfiehlt mir, jenem Mal einen Text schicken – mit Empfehlungen seiner ganzen Familie. Was wie eine tolle Idee klingt, entpuppt sich als jahrelange Demütigung, an deren Ende keine einzige Veröffentlichung steht. Der Hass, den das heraufbeschwört, gerät dabei natürlich zum Selbsthass, denn die Titanic hat sicher sehr gute Gründe, dass sie mich unten hält. Dann endlich nach langen Jahren dankt meine persönliche Nemesis Mark-Stefan Tietze ab.
Doch can’t relax in Bockenheim. Mit seinem Nachfolger Michael Ziegelwagner läuft es genauso weiter. Ich gebe auf.

  • 2008

An Weihnachten erzählt meine Mutter, sie spiele jetzt immer mit der Ex-Frau des Frankfurter-Schule-Zeichners Hans Traxler Rummie Cup. Ich überlege fieberhaft, wie ich davon profitieren könnte. Mir fällt nichts ein.

  • 2009

Apropos Tietze aber noch mal. Als ich mit Jens Friebe bei einer Lesereise in Frankfurt in „Das Bett“ Station mache, kommt auch jener hin. Er bringt einen damals in der Titanic-Szenerie neuen, eher stillen Jungen mit: Leo Fischer. Als später jemand Drogen auspackt, sagt Tietze „wart‘ mal“ und kramt in seinen Taschen. Ich werde nervös, nimmt er den jetzt fest? Zuzutrauen wäre es ihm mit diesem Haarschnitt. Er holt allerdings nur sein Handy raus, er würde das gern fotografieren. Was läuft denn bitte bei der Titanic schief?

  • 2011

Ich entdecke, dass der ehemalige Chefredakteur Hans Zippert eine unlustige Glosse auf der letzten Seite der HörZu schreibt. Irgendwie beunruhigt mich das mehr als Fukushima.

  • 2012

Mit meinem Freund Felix Scharlau habe ich eine Lesung im Kultur-Waggon in Offenbach. Leo Fischer, längst Chefredakteur der Titanic, erscheint. Zur Begrüßung versuche ich mich mit einer Umarmung. Er weicht überraschend wendig aus – und besteht auf dem Händedruck. Was ein vornehmer, zurückhaltender Mann, denke ich. Ein Irrtum, wie sich später noch herausstellen wird.

  • 2013

Elias Hauck fragt mich an, ob ich bei einem Buch über „Spargel“ mitmachen möchte. Verarschen kann ich mich auch selbst. Hat sich in der Redaktion wohl rumgesprochen, wie needy ich versucht hatte, dort mal was zu veröffentlichen. Ich reagiere erst gar nicht auf diesen Affront, ein bisschen Stolz ist selbst mir geblieben. Das Buch erscheint später tatsächlich. Damit konnte man ja wirklich nicht rechnen.

  • 2014

Auf einer Lesereise zwei Jahre später bin ich mit Felix Scharlau erneut in Frankfurt. Im Silbergold. Kurz vorher Nachricht von Leo Fischer, er müsse + 8 auf die Gästeliste. Wo man andere bei derartigen Bitten von den Türstehern zusammenschlagen lässt, leuchten hier die Augen jedes Künstlers. Fetisch: Titanic-Redakteure! Titanic-Redakteure besuchen die eigene Veranstaltung. Das Candy des Künstlers. Denn auch in neueren Generationen gibt es hier immer wieder geniale, integre Irre. Bei der After-Show-Party erlebe ich zum ersten Mal „das andere Gesicht“ des „schüchternen“ Leo Fischers. Eine Art betrunkener Hulk.

  • 2014

Versuche Postings von Valentin Witt zu begreifen. Der Yoko Ono von Schnipo Schranke macht es einem allerdings nicht leicht. Breche ab.

  • 2015

Freundschaftsanfrage auf Facebook, Moppel Wehnemann, wer soll das denn sein? Checke seine Fotos auf Facebook, es ist offenbar ein kleiner Junge im Anzug. Auf Rückfrage stellt sich heraus, es handelt sich hierbei um eine beliebte und prominente Akteurin aus der Titanic-Clique.
Sie arbeitet auch für die Caricatura am Römer. Als ich ihr vorwerfe, in dem angegliederten Buchstand gibt es ausschließlich Bücher von Männern (außer das eine einzige von Michael Sowa und Elke Heidenreich), schläft die Kommunikation etwas ein.

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Moppels bekanntestes Facebook-Bild, 286530 Likes (Foto: Felix Linde)

  • 2015

Hauck und Bauer fragen mich an, ob ich bei einer 24-stündigen Cartoon-Lesung in Berlin moderieren wolle. Auch wenn es noch abwegiger klingt als der Kram mit dem Spargel, sage ich sofort zu. Ich werde es nicht bereuen.

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Der eine von Rattelschneck

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Der mit dem Bart

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Im Arm von Til Mette

  • 2016

Dass man im Alter wirklich besser und witziger wird – nichts als eine Notlüge. Vergleiche Hans Zippert. Vermutlich sind die Zäune also einfach nur unbewacht – aber wie dem auch sei, 2016 erscheint mein erster und einziger Beitrag in der Titanic. Die Essenz von fast 30 Jahren Emo und Privat-Satire. Hier das Dokument in voller Länge:

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  • Gestern 

Die Titanic-Redaktion gesehen. Auf Tim Wolff und die ganze Gruppe gestarrt – und sogar von Bierlegende Tom Hintner adressiert worden. Dann auf die Bühne vom Club Voltaire. Jetzt kann ich endlich sterben. Verkatert genug wäre ich eh gerade.

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“Meine Schamhaare sind wie purpurne Seide” (Gwyneth Paltrow, nicht im Bild)

 

 

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