Linus Volkmann

Für eine Handvoll Zeilengeld – Mein Jahr in 12 Artikeln (2017 Edit)

2017 – und ich bin weiterhin als selbständiger Journalist (lies: Lügenpresse) im Game. Das ist weder leicht noch besonders lukrativ, aber eine unglaubliche Euphorie trägt mich noch immer. Kein Wunder: Es ist mir also tatsächlich auch im dritten Jahr möglich, von meinen Texten, Ideen und meiner ganzen seltsamen Art zu leben? Kein Gott, kein Staat, kein Chef, dafür viel Arbeit. Dazu gekommen sind dieses Jahr auch Beiträge für beliebte TV-Sendungen. Großes Abenteuer. Diese Kolumne allerdings widme ich den journalistischen Texten. Ein kleine Tagebuchsammlung in eigener Sache und Einblicke hinter die Storys.

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„‘Narzisstisch, wahnsinnig, ein Fähnchen im Wind‘ – Dschungelcamp gucken mit einem systemischen Therapeuten“
/ Musikexpress.de
„‘Was würden sie einem Teilnehmer vor Beginn des Dschungelcamps raten?‘ – ‚Daheim zu bleiben!‘“

So eine Auflistungen der eigenen Artikel, das besitzt ja schnell eine „höher, schneller, weiter“-Anmutung. Man wird sein eigener Christian Lindner und spinnt für sich und den Leser ein Narrativ, das sichtbar machen soll, wie es immer aufwärts für einen geht. Pfff. JAOK, klar, bin ich stolz, was ich dieses Jahr wieder geliefert habe, aber diesen angeberische Show off ertrage ich bei anderen ja auch immer nicht. Daher beginne ich einfach mal mit keiner Erfolgsgeschichte. Von einem Online-Magazin erhielt ich Anfang des Jahres die Zusage, etwas über den TV-Dschungel von RTL zu schreiben. Neben Deutschpunk eines meiner liebsten Themen, eh klar. Ich organisierte mir ein Date mit einem systemischen Therapeuten und ließ mir von ihm nicht nur alle Figuren entlarven sondern auch all die typischen Konflikte skizzieren, die in Gruppenkonstellationen stets irgendwann aufbrechen. Bei der Artikelabgabe war der Redakteur krank, die Vorgesetzte wollte das Ergebnis so dann aber nicht mehr nehmen. Es geht bei Texten dieser Art (leider) nie um viel Geld, das wäre also egal gewesen, die Frustration ist eher das Ding, was in solchen Fällen fertig macht. Dazu die aufreibende Frage: Was für ein inkompetenter Lappen sitzt da auf der anderen Seite – oder liegt es doch an mir?
Umso erleichternder ist es dann, wenn sich jemand findet, der Bock auf deinen Text hat und ihm zeitnah Abdruck schenkt. So geschah es hier und der Beitrag thronte tausendschön auf musikexpress.de. Wer einem zugesagte Artikel absägt, das wird nicht vergessen – aber eben genauso, wer einem unter die Arme greift. 3> Fabian Soethof.

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„‘Lechz! Würg! Stöhn!‘ – Die Geschichte des MAD-Magazins“ / SpiegelOnline

„‘MAD‘ war Begleitheft zur (vornehmlich männlichen) Pubertät und erreichte zu den besten Zeiten in den Achtzigerjahren eine Verkaufsauflage von 300.000 Heften.“

Für SpiegelOnline schreiben = immer gut. Das kann man dann auch mal bei den Eltern durchblicken lassen und die denken kurz, man ist noch nicht komplett im Arsch. Wobei hier das Thema natürlich alles überlagert. Die Story des MAD-Hefts, basierend auf Interviews mit Herbert Feuerstein und I.Astalos. Das sollen mir die anderen Clowns im Journo-Game erstmal nachmachen. Der Zauber des Fröhn!

Bühnengespräch mit Margarete Stokowski / Operation Ton
„Jede Kommentarspalte unter meiner Kolumne ist ein Beweis dafür, dass feministische Texte weiter nötig sind – weil was labern die Leute?!“ (Margarete Stokowski)

Die textliche Vorbereitung machte sich überschaubar aus. Kein Vergleich zum letzten Jahr, als ich schwitzend und weinend einen Vortrag zum Thema „Popjournalismus als Männersprache“ für die Operation Ton in Hamburg konzipiert hatte.
Diesmal führe ich auf der jährlichen Konferenz nur ein Bühnengespräch mit Margarete Stokowski. Also „nur“…

Popkommentar / Cosmo
„Das System Playboy beschreibt vor allem den kapitalen Mangel weiblicher Rollen im Showgeschäft.“

Ich fuhr ein in den Hauptbahnhof Frankfurt, das Handy klingelte. Kölner Nummer, mir nicht bekannt. Entgegen meiner sonstigen Gepflogenheiten ging ich ran. Kaum Empfang, aber irgendwie wollte der frühere Spex-Redakteur Uh-Young Kim von mir eine gesprochene Meinungskolumne über (beziehungsweise gegen) die ECHO-Verleihung, die in jener Woche anstand. Ach, warum nicht?, dachte ich, an Meinung dazu mangelte es mir nicht. Die Sache lief dann allerdings so episch, dass ich von da an quasi jede Woche dieses Jahr den Sender COSMO (irgendwas mit Weltraum) besuchte und einen Kommentar einsprach.

Die Liste / neon
„Es hilft nichts, am Tag des Klassentreffens fällt es einem unweigerlich wieder ein: Man muss noch ganz dringend innerhalb der nächsten Stunden 15 Kilo abnehmen.“ 

„Ich diente deinem Vater bereits in den Klon-Kriegen“ (Obi Wan Kenobi) beziehungsweise bei neon schrieb ich seinerzeit noch unter dem legendären Ingo Mocek. Kann sich kein Mensch mehr vorstellen! Nun ist eine neue Generation Reporter an den Schaltknüppeln und schafft griffige Text-Gemälde aus den Befindlichkeiten der Twenty-Somethings. In der Rubrik „Die Liste“ konnte auch ich dazu etwas beitragen. Ich schrieb über „Das Vorstellungsgespräch”, „Wellness“ und „Das Klassentreffen“. Nicht schlecht!

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„‘Lern‘ mal Perspektive‘ – Interview mit Stephan Katz“ / Der Freitag
„Fragen Sie was anderes!“ (Stephan Katz)

Wer für die Zeichnungen von Katz & Goldt wirklich gar nichts übrig hat, dürfte höchstwahrscheinlich bereits lange tot sein. Max Goldt kennt in diesem Autoren-Duo dabei fast jeder, Stephan Katz niemand. Ich habe mich daher arg gefreut, dass ich den scheuen, bärtigen Zeichner mit meiner aggressiv umarmenden Art aus der Eremitage nötigen konnte. Okay, er würde mir ein Interview geben, wenn ich dann endlich das Maul hielte. Katja Kullmann sagte Abdruck zu und so traf ich das ostwestfälische Genie in Berlin in einer Theaterkantine. Später schaute noch Max Goldt vorbei. Adrenalin-Spritze ins Herz ist das Sandmännchen dagegen. Goldt interessierte sich leider vornehmlich für den „Gag“, den mir jemand in meinen Wikipedia-Eintrag reingewichst hat: Dort steht, ich sei der Neffe von Elisabeth Volkmann. Ich musste dies leider verneinen. Er war enttäuscht. Verständlicherweise.
Unabhängig meiner wenig prominenten Familiengeschichte bekam ich ein Foto, das mich zwischen diesen beiden Legenden abbildet. Unmissverständlich wurde allerdings mir mitgeteilt, dass ich jenes niemals veröffentlichen dürfe. Nicht dass ich wirklich irgendwie in ihren inneren Kreis vorgedrungen wäre, aus dem nun Gefahr bestünde, wieder rauszufliegen … aber dennoch halte ich mich natürlich an dieses Verdikt. Mist!

katz

“Besuch bei der Pop-Akademie” / Musikexpress
„Hoffentlich gibt’s hier eine Raucherecke. Fühle mich wie die Undercover-Cops aus „21 Jump Street“, die trotz sichtbarem Generationen-Gap als vermeintliche Schüler eingesetzt werden. Einige meiner Kommilitonen mustern mich bereits skeptisch. Hoffentlich gibt’s nicht schon an Tag Eins was aufs Maul.“ 

Okay, nach Paris zu einem Interview mit MacCauley Culkin geschickt werden wie 2016… das ist halt once in a lifetime. Doch neben der (gefühlten) Titelstory zu dem Musikexpress Die-Ärzte-Spezial erschien für mich dort im Frühjahr noch ein weiterer sehr zentraler Beitrag. Und zwar dreht er sich um die Pop-Akademie in Mannheim. Jeder hat eine Meinung über den Laden (und nicht die beste meist), aber wer da schon wirklich vor Ort – außer den Studierenden? Ich habe mich daher in Stadt und Institution für einige Tage umgesehen. Das Ergebnis versuchte ich so offen wie möglich zu halten – also keine Schablone wiederzugeben, sondern einen kritischen wie persönlichen Eindruck vermitteln.
Beim Reeperbahn-Festival im Herbst des Jahres wurde mir der Preis „Musikjournalist des Jahres“ verliehen (wer war bloß alles gestorben, dass das möglich war? R.I.P.!). In der Urteilsbegründung wurde speziell auch auf den Pop-Akademie-Text abgehoben. Das hat mich natürlich sehr gefreut. Eben auch, weil es für mich symbolisiert, dass ein Interesse an Poptexten herrscht, die mehr sein möchten als nur der journalistische Teil einer Platten-VÖ-Kampagne.

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„Im Kommen: Der Penis im Musikvideo“ / noisey
„Männerbands schmücken sich und ihre öde Musik eben gern mit fremden Brüsten. Kontext im Zweifelsfall egal. Der aktuell diskutierte Begriff ‚Kultureller Aneignung‘ ist also bezogen auf das Geschlecht schon seit Ewigkeiten ausgemachte Sache.“

Notorisch ungute Formulierungen in Bandinfos… das besitzt linguistisches Comedy-Potenzial. Wollte ich schon immer mal mit einem ganzen Artikel highlighten: Die „11 Sätze, die sich Bands unbedingt abgewöhnen sollten“ machte wirklich Spaß. In Erinnerung bleibt mir dieses Jahr für noisey allerdings vor allem der Beitrag „Im Kommen: Der Penis im Musikvideo“. Seit Jahrzehnten schmücken sich Musikclips mit Brüsten beziehungsweise leicht bekleideten Frauen. Videos mit objektifizierten Männern oder gar explizit mit Penis-Content sind dagegen selten. Doch zuletzt trauten sich einige Clip-Regisseure Glied im Bild – und ich habe eine Text dazu verfasst sowie passende Videos zusammengetragen. Soweit, so Penis. Doch was dann im Internet geschah, ließ mir das Blut im Adler gefrieren… Facebook, der borderlinige Monopol-Multiplikator, löschte mir mein Posting zu jenem noisey-Beitrag. Die Maske dazu sagte: „Ist dieser Beitrag kein Spam? Dann kannst Du hier widersprechen“. Ich tat es, doch nie wieder davon gehört. Wohlgemerkt geht es in dem Text nicht um Porno sondern darum, dass sich jüngst Penisse in Musikvideo-Clips geschlichen haben. Der Inhalt wurde offensichtlich gefiltert via Facebook-Bots, als “unerwünscht” gelabelt und entsorgt. Die Folge: Als Autor überlegt man sich in Zukunft mehrfach, ob man überhaupt Themen oder Worte wie Penis noch in Artikeln verwenden möchte oder auf Clips verlinkt, in denen nackte Haut zu sehen ist. Vorauseilende Selbstzensur – sonst verbreiten sich die eigenen Inhalte nicht. Das empfand ich nicht nur als Journalist in diesem Jahr als ganz bittere Erkenntnis. Wie ausgeliefert ist man einem Konzern wie Facebook, der seine ganz eigene Agenda verfolgt. Sehe ich deren aktuelle Image-Kampagne (Plakate, TV-Werbung), wird mir richtig übel.

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„Weniger Arschgeigen – Interview mit Danger Dan“ / Siegessäule
„Wenn ich von Leuten, die ‚schwul‘ als Schimpfwort benutzen, beschimpft werde, habe ich meistens grade etwas sehr richtig gemacht.“ (Danger Dan)

Es ist mir ja schon wichtig, in Publikationen aufzutauchen, die ich selbst gut finde und lese. Achtung Siegessäule. Das erste Mal von der Berliner Stadtzeitung gehört in „Der bewegte Mann“ von Ralf König. Dort outet das Magazin die Hauptfigur als schwul. (Fälschlicherweise allerdings: Denn ist nicht seine Wohnung und nicht sein Heft…)
Auf das Interview mit Danger Dan von den Antilopen bin ich an der Stelle schon sehr stolz. Denn es geht genau um das Spannungsfeld, das viele kennen – und was mich auch beschäftigt: Wie geht man im Rap damit um, dass soviel Macho-Schrott abgelassen wird? Was labelt man noch verzweifelt als irgendwie witzig, was ist authentisches Storytelling der Straße beziehungsweise was ist ehrlich gesagt einfach nur unerträgliche Chauvi-Scheiße von Vollidioten? Danger Dan hält sich mit seiner Einschätzung nicht gerade zurück. Das habe ich gern dokumentiert und verbreitet.

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Lieblingskonzertclubs / Urban CGN
„Wenn es der Künstler nicht komplett vergeigt, geht man beseelt wieder heim.“
Für den Blog der Kölner Tourismus-Behörde schreibe ich unter anderem über meine persönlichen Lieblingsclubs in Köln. What’s not to like? Wobei eine echte Herausforderung die Fotos werden. Die sollen nämlich mit angeliefert werden. Im Hellen sehen die Läden allerdings alle fremd und hässlich aus und es stehen klobig kunstlose Autos davor. Nachts indes sieht man auf den Bildern nichts. Zum Schluss hat es doch irgendwie geklappt. Helmut Newton explodiert dazu im Mausoleum.

“Mehr als bloß Electronica“ / Hidden Cologne
„Müll, Drogen, Prostitution – der Reizworte-Dreklang der Lokalpresse, wenn es um Von-Sparr-Straße Köln-Mülheims geht.“

Ein Text von mir hat den Kollegen der Stadtrevue 2015 viel Ärger eingebracht inklusive einer Unterlassungserklärung. Dabei muss das linke Kollektiv finanziell doch eh knapp kalkulieren. Auweia! Umso mehr weiß ich zu schätzen, dass man mich im Frühjahr wieder für einen Beitrag angefragt hatte. Ging um einen Text über die Gitarrenmusikszene der Stadt. Das habe ich gern für das Spezial-Heft “Hidden Cologne” gemacht – und dort unter anderem die fickerigen Superhelden von Barrenstein in die Weltpresse hieven können (bevor das 2018 jedes Magazin machen wird…)

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„Welche Bands Punk kaputt gemacht haben Teil 5 – 8“ / Plastic Bomb
„Beatsteaks? Ach ja, diese kessen Berliner, die irgendwann mal dieses Video hatten mit dem einen Schauspieler, dem Dings… Heinz Rühmann? Theo Lingen? Ach nee, Jürgen Vogel! Beatsteaks, oder wie man auch sagt: Kraftklub für die Generation 50+.“

Ein bisschen ist diese Kolumne für mich wie auf den Rummel gehen. Hier kann ich machen, was ich mag. Hier steige ich in grelle Fahrgeschäfte und schieße mit Eifer auf die Rosen. Sorry, für diese Analogie – ein Wunder, dass mich mit dem Stil überhaupt wer bucht… Aber zurück zum Punkt. In der Kolumne kann ich ohne die berüchtigte „Schere im Kopf“ mich meinem Herzens-Genre Deutschpunk widmen. Ich bin da einfach so drin, dass ich Kompetenz endlich mal nicht behaupten muss. Entspannend! Dass sich hinter der markigen Diss-Attitüde vornehmlich eine liebevolle Hommage an den Trash verbirgt, ist den Allermeisten präsent. Dennoch stranden auf Social Media hierzu immer viele „Überschriften-Leser“, die tatsächlich ihre Helden oder eben ihre eigene Humorlosigkeit gegen die Texte verteidigen wollen. Der Ox-Chefredakteur reichte bittere Beschwerde beim Plastic Bomb ein, der Gitarrist von Lustfinger drohte mit Anwalt, weil ein Song von ihnen die Titulierung erfuhr „Schlimmer als Hitler!“. Letzteres habe ich geändert in „Schlimmer als die Vogelgrippe“. So passt es für alle. Ich bin eben auch immer um Ausgleich bemüht!

 

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