Linus Volkmann

Für eine Handvoll Zeilengeld – Mein Jahr in 12 Artikeln

30. Dezember 2016,

2016 war also das zweite Jahr, in dem ich als selbständiger Journalist (lies: Lügenpresse) arbeite. Das ist weder leicht noch lukrativ, allerdings erfasst mich immer noch eine unglaubliche Euphorie, wenn ich merke, dass es mir dennoch überhaupt möglich ist. Kein Gott, kein Staat, kein Chef, dafür viel Arbeit – wobei mit rein journalistischen Texten die Kalkulation kaum aufgehen würde. Allerdings musste ich keine ehrabschneidenden Auftragsarbeiten annehmen, manches Bandinfo hat mich eher richtig fröhlich gemacht. Diese Jahresabrechnungs-Kolumne widme ich aber den journalistischen Beiträgen. Ein kleiner Tagebucheintrag in eigener Sache.

Macauly Culkin / Musikexpress
Ich steige in den Thalys mit seinem Interieur aus rotem Samt, nur ein paar Stunden später schlängle ich mich durch die Maschinenpistolen, die Frankreich wegen der jüngsten Anschläge nun auch bei Zugreisen kontrollieren lässt. Ein wenig außerhalb ist der Fotograf Peter Kaaden anzutreffen, er kommt aus Berlin und trinkt bereits Alkohol – ein Umstand, der nachher noch sehr wichtig werden wird. Wir klingeln bei der Privatwohnung von Macauly Culkin, der Summer ertönt. Imagine this!
Gälte es, dieses unglaubliche Textjahr für mich auf ein Interview zu verdichten, es fiele mir schwer – aber letztlich wäre es dennoch klar. Ein Date mit dem Sänger, dessen Band Pizza Underground bekannte Texte von Velvet Underground auf das Wort Pizza ummünzt (und der zudem auch noch der vielleicht bekannteste Schauspieler der 90er Jahre ist). Ach ja, und Adam Green ist auch noch dabei.

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Isolation Berlin / neon
Es liegt Schnee in Berlin, es ist ostwinterkalt. Die Band Isolation Berlin steht kurz vor der Veröffentlichung ihres Debüt-Albums „Und aus den Wolken tropft die Zeit“. Dass das von größerem Interesse sein wird, darauf hat sich der bereits düster gestimmte Popzeitgeist zum Glück schon geeinigt. So gelingt es mir, die Reporter vom Neon-Magazin von der Notwendigkeit dieses Porträts zu überzeugen. Für das Treffen werde ich in eine Art Wirtshaus bestellt, dort warten in einem Raucherkäfig aus Plexiglas diese vier übertrieben zarten Boys auf mich. Mit ihren schmächtigen Ärmchen stemmen sie riesige Bierkrüge und rauchen Kette, sie wirken dabei wach und prosperierend. Mit Mitte 20 noch kein Widerspruch.
Den Beitrag betitle ich mit „Apokalypse Now“ – ein Verweis der das Schwermütige, ja, explizit Suizidale in den Texten von Isolation Berlin mit dem erwachenden Unglücksjahr 2016 verknüpft. Total clever – glaube ich zumindest. Doch nicht nur der Titel wird letztlich geändert (heißt im Heft “Schaut auf diese Stadtmusikanten”), ganze neue Passagen lese ich selbst dann erst in der Ausgabe.
Fazit: Einer meiner besten Artikel. Vermutlich weil ich am wenigsten selbst dazu beitrug!

0yyyHerbert Feuerstein / tageswoche
Die TV-Figur von Herbert Feuerstein: Ein verklemmter Woody-Allen-Typ mit Buchhalter-Aura. Okay, daraus ließ sich sehr effektiv seine Paraderolle als Sidekick rausschneiden, doch so lustig fand ich das nie. Meine ungetrübte Loyalität galt dagegen natürlich seinen langen Jahren als Chefredakteur des deutschen MAD-Magazins. Doch nachdem ich seine inhaltlich unglaubliche und stilistisch großartige Biographie gelesen hatte („Die neun Leben des Herrn F.“), war ich dieses Jahr nun bereit. Jetzt wollte ich mit diesem Mann persönlich sprechen. Für die Tageswoche aus der Schweiz und den aktuell scheidenden Marc Krebs (lebe ewig!) durfte ich dies dann auch. Feuerstein wirkte wie im TV und in seinem Buch, ein Mann mit einem schillernden Panzer aus Humor und Selbstironie. Im Januar erscheint bei SpiegelOnline nun auch meine Story über die Geschichte des MADs.

Xao Seffcheque / Der Freitag
Einer der frühsten Autoren der Spex, Filmemacher, Exil-Österreicher und vor allem zentrale Figur der Band Family 5. Für das von Katja Kullmann initiierte Porträt setzen wir uns in seinen schnittigen wie verkrümelten Wagen und fahren nach Düsseldorf. Punkkultur-Sightseeing, doch leider steht kaum noch irgendeiner von den im letzten Jahrzehnt hunderttausend Mal erwähnten, ikonischen Orte der hiesigen Szene. Das macht es dem Text allerdings nur leichter, nicht zu einem weiteren Nostalgie-Reboot für die Generation Fehlfarben zu werden. Wobei den größten Anteil darin natürlich Xao selbst hat. Soviel Heute, wie dieser Mann mit 60 noch ist, sind die meisten nicht mal mit 20. Sorry wegen Liebeserklärung! Geiler Typ – muss man auch mal sagen können.

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Penis-Trullala / Titanic
Rückschläge pflastern diesen Weg. Habe es 2016 aber endlich ins hirnverwichste Scheiß-Lieblingsmagazin geschafft!!!11 Eine Jahrzehnte überdauernde und entbehrungsreiche Reise hat dies möglich gemacht. Mein Leben als U-Boot.

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0yyjPisse / “Damaged Goods – 150 Einträge in die Punkhistorie”
Als mich der Call for Papers zu diesem epischen Punk-Wälzer erreicht, lösche ich die Anfrage erstmal. Lauter post-studentische Eierköpfe der Popdiskurs-Szenerie (wie ich) schreiben über Punk? Wie „Unser Lehrer Doktor Specht“-mäßig soll es denn noch werden im Subkultur-Museum? Doch der sanfte (lies: Spanischer Stiefel) Druck des Verlags zermürbt mich. Ich schreibe über die ungesunde Beziehung zu meiner Lieblingsband Pisse. Im Nachhinein bin ich dann auch doch froh, mitgemacht zu haben. Da aus meiner Journo-Blase fast jeder einen Beitrag zu dem Ding beigesteuert hat, wird man auf Facebook dauernd deshalb verlinkt – und wird übergossen von dem wohligen Gefühl, irgendwo dazuzugehören. Ansonsten: Dieses Buch ist ein Meilenstein der subjektiven Punk-Geschichtsschreibung! (Schäme mich dennoch vor echten Punks)

Pop ist tot, es lebe die Dienstleistung / noisey
„Schreib doch mal einen Überblickartikel über die Verfasstheit des deutschen Pops 2016“, so mein Führungsoffizier von noisey/vice. Mühsam putze ich mir Schlaf und Crystal Meth aus den Augenwinkeln. Was will der? Na, gut, bringt aber doch eh nix. Doch der Text setzt sich dank meines turmhohen Ekels vor der Materie leicht zusammen und liest sich wie eine Mischung aus realistischer Analyse und einem Hassverbrechen gegen Revolverheld und Co. Erstaunlicher ist allerdings der Impact, den das alles hervorruft: Werde für den Artikel viel beschimpft und geklickt im Internet, muss mit den Thesen letztlich sogar ins Radio. Na, okay, öffentlich rechtliches Radio… Weckt mich, wenn der Text verfilmt wird. Ansonsten versündige ich mich später im Einzelnen auch noch mal bezüglich des ein oder anderen Protagonisten aus den hiesigen Charts. Love and understanding für die Sporties, Beginner und Frida Gold.

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Liebeserklärung an die Schnapsidee / thump
Das Thema habe ich mir nicht mal selbst ausgedacht, aber habe es sofort gemocht. Sehe darin einfach eine gerechte Würdigung.
Denn Nüchternheit beschreibt doch bloß eine Grenze.

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Welche Bands Punk kaputt gemacht haben / Plastic Bomb
Völlig umnebelt sage ich einem mir nicht persönlich bekannten Typen (nettes Profilbild) auf Facebook zu, eine regelmäßige Kolumne für das Punkfanzine „Plastic Bomb“ zu verfassen. Offenbar eine Hommage an mein 90er-Jahre-Alter-Ego, denn damals bewunderte ich das Heft und seine Protagonisten vom Dorf aus so sehr. Meine Texte erscheinen nachträglich immer auch online bei kaput – und werden durch die vielen gegen Bands aus dem Punk-Genre ausgesprochenen Beleidigungen gut sichtbar. Tja, warum haltlosen Hass immer nur in Kommentarspalten lesen? Lieber gleich selbst einen Artikel daraus machen.

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“Die Frau in der Musik stört nur” / Emma
[Fernsehkoch-Tonfall] Hier habe ich schon mal was vorbereitet (siehe Link).

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0yyjhAnnenmaykantereit / Das Wetter
Die proto-christlichen Wunderkinder sind Anfang des Jahres in der geschmäcklerischen (lies: marginalen) Musikchefdenkerpresse längst zum Mainstream-Übel Nummer Eins auserkoren worden. Zu tief sitzt der Stachel, dass man an dem Massenphänomen AMK mal wieder null Aktien hält und wieder viel zu spät mitkriegt hat, was die Leute eigentlich hören. Vieles könnte und sollte man der Band, der es leid um Pocahontas tut, vorwerfen – die vielen Verrisse der etablierten Meinungsmedien lassen allerdings keinen Zweifel daran, dass man sich mit der Platte gar nicht auseinandersetzen wollte. Bei so viel fahrig arrogantem Dissens interessiere ich mich dann eher für die andere Seite – und spreche die schluffigen Abräumer mit all ihrer Siegermentalität und Kiffer-Aura lieber mal persönlich. Für das Berliner Magazin „Das Wetter“

“Neu-Köln – Pop-Aschenputtel macht sich hübsch” / me Urban
Auf einen Streifzug durch die Musikszene der eigenen Stadt geschickt werden? So easy kann der Job auch mal sein. Immerhin muss man sonst schon genug in steiniger Erde buddeln. Neben zentralen Bands, die sich für den Artikel ohnehin aus dem Ärmel schütteln lassen (Keshavara, Golf, Roosevelt, Lena Wilikens, Sans Gene, Mülheim Asozial …) legt mir Redakteur Overbeck noch einen gewissen Big Ballermike ans Herz. Bitte wer? Die Skepsis und gekränkte Eitelkeit, von Berlinern auf Kölner Musiker heraufgehoben werden zu müssen, verfliegt allerdings schnell. Was das denn Geiles? Bodybuilding, Eighties, Drogen … Wie schön! Wieder was gelernt.

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Jennifer Rostock / kaput – das Magazin für Insolvenz und Pop
Für kaput habe ich auch dieses Jahr unnatürlich viele Texte geschrieben.
Diesen hier hebe ich mal heraus – und das hat einen Grund. Er handelt darum, wie man sich als Band an einem sehr zentralen Widerspruch nicht aufreibt, sondern was draus zu machen versucht. Es dreht sich natürlich um den Umstand/Zustand, dass politische Haltung im kommerziellen Musikbetrieb mehr denn je selbst schon als wohlfeiler, folgenloser Populismus gelesen wird. Was also tun? Einfach neben Elton im TV mit “Refugees welcome”-Shirt repräsentieren, während man die neue Platte bewirbt? Kann das schon alles sein?
Der Text landete dabei eher versehentlich bei uns, sollte eigentlich in einem anderen Magazin erscheinen. Da hat aber „was“ nicht geklappt. Ein wenig unbefriedigend möchte man meinen? Sicher! Doch in diesem Fall ein Segen. Dank der abstrus immensen Markenmacht der Band Jennifer Rostock wurde das auch von ihnen geteilte Interview zu einem Leuchtturm in unserer Klickstatistik des Jahres 2016.
Seltsam…? Aber so steht es geschrieben!

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