Max Freudenschuss

PayPal im Moshpit

Wann das Missfallen genau begonnen hat, ist im Rückblick schwer zu sagen. Aber dass man sich ausgerechnet während eines Konzerts von Ex Hex, der neuen Band der großartigen Mary Timony, die ich nach dem Ende von Helium für 20 Jahre aus den Augen verloren habe, dabei erwischt während eines Songs mitten im Publikum, wie irre online zu shoppen…

Das hat mich am nächsten Morgen zwischen den ganzen PayPal-Zahlungsanforderungen doch etwas kulturpessimistisch gestimmt. Also dass es die alkoholgeschwängerte Sentimentalität nicht anders aushält. Reicht ein Rockkonzert wirklich nicht einmal mehr dazu aus, den Spannungsbogen zwischen, im Fall von Ex Hex, grandiosen Feedbackschleifen und L.A.-Glamglitter-Verweisen zu halten? Müssen es denn immer mindestens zwei Parallelrealitäten nebeneinander sein, damit es in der einen nicht unerträglich linear wird? Und kann man das irgendwo kulturwissenschaftlich aufbereitet nachlesen, wie der unmittelbare Zugriff mittels Smartphone unsere illuminierten Sehnsüchte in Warteschlangen am Postamt manifestiert?
Vielleicht ist die Wahrheit viel profaner: Alkohol setzt Sentimentalitäten frei. Und während wir früher irgendeinem wehrlosen Opfer unser allumfassendes Verständnis vom Ich, von Liebe und Gesellschaft aufdrängen mussten, ermöglicht der kurze Griff zum Mobiltelefon die eigentlich viel angenehmere Vertrautheit mit der eigenen Biografie, sowie ein Versprechen der Umarmung der Welt durch sinnlose Online-Käufe. Ein Versprechen, das von keiner Drunken-Block-App abgefangen werden kann – ich bin, was ich kaufe, und wenn es sich dabei um die letzte vorstellbare Nische des Universums handelt.
Rockkonzerte waren, zumindest für mich, immer ein „easy way out“, Menschen zu treffen, ohne sich mit ihnen verabreden zu müssen, den heutigen und nächsten Tag zu verdrängen, sowie von einer weniger von den Definitionsmächtigen dieser Welt vorgegebenen Selbstbestimmung träumen zu können. Und zu trinken. Heute befürchte ich, dass das nicht mehr genug ist: die Verweigerungsgesten sind alle institutionalisiert, und Konzerte packen einen nur noch dann, wenn die Lichtshow dazu instande ist, die Schlüsselreize zu triggern, die die Performance und ihre Musik schon längst nicht mehr evozieren können: Popmusik als auch nichts anderes als der eigene, traurige prekäre Job, als Sisyphosaufgabe gegen das eigene Verschwinden. Und im Zweifelsfall leuchtet der Bildschirm des eigenen Handys einfach heller als die paar statischen Scheinwerfer an den Bühnenkanten.

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