Linus Volkmann

Hass auf Rudeljournalismus

Es ist schön, einer Rakete beim Steigen zuzusehen. Immer höher, immer höher, Knall, Goldreden, fertig. Auch wenn ich an Silvester bloß Kinderfeuerwerk kaufe („dicke Hummel“, Knallfrosch, „der Wirbler“), schaue ich eigentlich lieber zum Spektakel am Himmel als zur Bordsteinkante, wo sich mein Zeug abmüht. Brizzel, brizzel.

Dieses verinnerlichte Prinzip Rakete wurde mit dem Web 2.0 auch zu einer Metapher für Storytelling im Internet. Wie hoch fliegt die Meldung, bevor es dann auch schon wieder vorbei ist? Und, seien wir ehrlich, aus der aufwendigen „Meldung“ wird in den allermeisten Fällen schnell das pointierte „Meme“. Diese Verkürzung ist eben ein ein attraktives Angebot der digitalen Mediengesellschaft – und was man dabei an Qualität einspart, gleicht sich durch die Menge der Ereignisse aus, die man plötzlich zu beurteilen in der Lage ist.
Das ist keine Kulturkritik, nicht falsch verstehen. Wer will, kann immer noch und letztlich mehr denn je in die Tiefe gehen, wer das zugunsten von geteilten Raketen-News auslässt, der hat das vermutlich auch früher schon genau so gemacht. Es fällt jetzt nur einfach mehr auf.
Aber hey, vielleicht bin ich im News-Segment mit dieser hirnlosen Hysterie einfach auch nur gnädiger, weil sie mir nicht derart das Leben ruiniert wie in der Popkultur.
So sieht’s aus. Denke ich an das Goldregen-Bild vom Eingang des Text‘ und übertrage es auf die herrschende Popkultur, bleibt irgendwie nur Golden Shower, ein lauwarmes Pissegewitter. Ich nenne es „Rudeljournalismus“ (den Begriff habe ich andernorts aufgeschnappt, ich liebe ihn). Vor Web 2.0 war Rudeljournalismus eben nur den Journalisten vorbehalten. Auch ich habe mich schuldig gemacht. Zu Veröffentlichung bestimmter Platten berichtete jedes Magazin über dieselben Künstler. [Ich weiß, es ist verboten, in der „Kaput-Kolumne“ ein Foto einzufügen – ich saß selbst in jener Redaktionskonferenz, als das beschlossen wurde, und checkte Facebook. Doch ich habe Admin-Befugnisse – und bin bereit, diese einzusetzen. Daher hier ein Instagram-Bild, das von einem berühmten Press-Manager geklaut ist.]

"Musikjournalismus? Durchgespielt!"

“Musikjournalismus? Durchgespielt!”

Also Preisfrage: Was denkt man, wenn man das hier sieht?
1. Casper ist echt der Größte
2. Es sollte weniger Musikmagazine geben, wenn die eh alle das gleiche schreiben
3. Kartoffel

Richtig ist selbstverständlich b). Dieser denkfaule Rudeljournalismus bezieht sich zudem ja nicht mehr nur auf
Journalisten, sondern eben auf das ganze Rudel. Alle hängen sich gleichzeitig an die Rakete, je früher desto besser, und der Zeitpunkt, bis alle da sind und der Knall kommt, wird immer kürzer. Ich kann mir kaum etwas Langweiligeres vorstellen als diesen größtmöglichen Konsens. Ich ertappe mich, dass ich heute bereits wütend werde, wenn ich an ein neues Madonna-Album denke – und was ist wenn Wanda und Schnipo Schranke im Herbst Platten abliefern? Das Rudel heult schon vor Wonne, alle wissen Bescheid, die Zündschnur brennt und der erste, der sagt „mir gehen die langsam echt auf die Nerven“, hat gewonnen. Doch wehe, man verlässt diesen Pfad der Dämmerung, der immer auf ein Produkt verweist. Kein Magazin nimmt einem eine Story ohne den Aufhänger einer Veröffentlichung ab. Ja, viele Bands sind busy und wenig interessiert, will man über sie berichten, wenn gerade nichts Aktuelles zu verkaufen ansteht.
Ausweg?
Sehe ich nicht. Möchte jedenfalls sicher nicht elitäre Exklusivität zurückhaben oder eitle Distinktionshuberei betreiben – wo es ohnehin keine Distinktion mehr zu claimen gibt. Im Gegenteil: Ich habe angefangen Journalismus zu betreiben, damit sich gute Sachen verbreiten. Aber fuck, das hier (bitte noch mal auf das Foto gucken), das hier habe ich nicht gewollt! Dagegen wirkt ja Frankensteins Monster noch wie Brad Pitt. Rudel, halt’s Maul!

 

 

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