Thomas Venker

Freigegeben vom: Künstler

Im April dieses Jahres erhielt ich eine Email aus der Redaktion eines bekannten deutschen Musikmagazins. Die Chefredaktion bat die Autoren und Fotografen darum, von jeglicher Zusage über Autorisierungen von Texten und Bildern seitens der Künstler und der ihnen anhängigen Managements abzusehen.

Der Hintergrund: in den letzten zwei Jahren hat es eine merkliche Tendenz dahin gegeben, dass Fotos, O-Töne oder noch besser ganze Artikel vor der Publikation geprüft werden wollen, um so die Berichterstattung im eigenen Interesse zu steuern. Kein neues Phänomen, aber in dieser Drastik dann schon. Denn dabei geht es schon längst nicht mehr nur um die Auswahl des richtigen Bildes oder die nachträgliche Umdeutung eines Gesprächs, also kleine Eitelkeiten, die wir alle kennen und nachvollziehen können, die versuchten Einschnitte sind viel nachhaltiger und reichen bis hin zur Sperre von Beiträgen, wenn man nicht gewissen “Vorschlägen” folgt, die sich Künstler und Anhang oder nur einer von beiden ausgedacht haben. Es ist ein seltsames MischMasch aus Regulierungswahn und Businessgetue, das hier kultiviert wird.

Die Folgen dieser, nennen wir es Madonnaisierung, widersprechen ganz klar der Rolle, die man als Journalist zu vertreten hat. Es ist ja nicht so, dass man angeheuert wurde, um ein (bezahltes) EPK (Electronic Press Kit) zu produzieren. Nein, man hat unter der klaren Ansage eines Interviews / Shootings eine KünstlerIn getroffen. Es gab also einen Moment des Einverständnis über die Situation und die damit verbundene Intention.

Das Presserecht sieht zwar eine Abnahme von O-Tönen vor, also die Überprüfung, ob das Gesagte ordnungsgemäß transkribiert wurde (es sei denn man hat sich vorher vertraglich davon freistellen lassen; aber wer hat schon Zeit für jeden Beitrag einen Vertrag auszuhandeln?). Bis vor wenigen Jahren kam das aber wirklich nur in Ausnahmefällen vor, eben von sehr sehr bekannten KünstlerInnen, deren Managements zuviel Zeit hatten, oder eben von profilneurotischen Künstlern mit Egobefindlichkeiten (ich erinnere mich an den Fall einer aus zwei Künstlern bestehenden Krautrock-Band, deren Anmerkungs- /wunschliste soweit ging, dass der Text für jedes der beiden Bandmitglieder die exakt gleiche Wörtzahl aufwenden sollte). Die Internationalisierung der Pressewahrnehmung, bedingt dadurch, dass Social Media zum Hauptverbreitungsweg für viele Beiträge geworden ist, hat dies merklich verändert. Den Künstlern begegnen heute die Beiträge über sich in einer ganz anderen Frequenz als früher, wo sie eventuell bei der nächsten Tour in einem Land die Pressemappe zum vorherigen Album gezeigt bekamen.
Hinzu kommt, dass neben Text und Bild es oft auch um Bewegtbild geht – ein Bereich, der natürlich was Egobefindlichkeiten angeht, nochmals viel sensibler ist. Wer kennt das nicht, dieses Gefühl der Scham, wenn er sich auf einen Bildschirm sprechen sieht und hört. Soweit besteht ja durchaus auch Verständnis für die andere Seite, zumal ich persönlich eine “Abnahme” eigentlich nicht als unangenehm empfinde, wenn sie richtig verstanden wird, denn dann ist dies ja auch eine Möglichkeit, nochmals alle “Fakten” aus erster Hand gecheckt zu bekommen und so etwaige Fehler zu vermeiden – also eher ein konstruktiver Check.

Bildschirmfoto 2015-10-26 um 12.47.48Damit wir hier nicht zu abstrakt sprechen, zur Verdeutlichung mal zwei aktuelle Beispiele, selbstverständlich anonymisiert, es geht ja nicht um bad mouthing, sondern um den Versuch eine öffentliche Diskussion anzuregen, die die Dinge wieder in die richtigen Bahnen lenkt.

Bei beiden Bildern zu dieser Kolumne handelt es sich jeweils um den fertigen Schnittplan eines Kaput-Videobeitrags. Im ersten Fall trafen wir die Künstlerin in ihrer Berliner Wohnung, die ihr auch als Studio dient, nahmen mit ihr Kaffee und Kuchen zu uns, führten ein langes Gespräch in mehreren Etappen und zum Ende gab sie für uns sogar ein kleines Privatkonzert. Alles in vollem Bewusstsein wofür man das macht und mit laufender Kamera. Der zweite Dreh fand in Köln im Rahmen eines Konzertes statt.

Bildschirmfoto 2015-10-27 um 17.42.26Es gab in beiden Fällen keinerlei Anzeichen dafür, dass die KünstlerInnen nicht mit dem Gespräch und der Dokumentation zufrieden sind. Und doch sperrten sich beide nachträglich gegen eine Veröffentlichung. Die einen sofort nach Ansicht des Beitrags, da sie selbst sich als zu wirr empfanden. Die andere legte ihr absolutes Veto ein nachdem wir ihrem Wunsch, das Bild durch einen visuellen Effekt so zu modifizieren, dass sie quasi unkenntlich geworden wäre, nicht nachkamen. Eine Aufforderung, die jeglicher Intention dieses Videoportraits völlig zuwider lieg. Der Versuch sie umzustimmen endete mit übelsten Beschimpfungen.
Dies nur mal als Extrembeispiele. Über ganze Absätze, die nachträglich nicht mehr gesagt sein wollen, fangen wir erst gar nicht…

Rein rechtlich betrachtet hat es sich damit – abseits davon hat man auch keine Lust etwas zu publizieren, was dem Anderen zuwider ist. Die ganze Arbeit war umsonst. Was angesichts der sowieso nicht gerade ökonomisch opulenten Rahmenbedingungen im Kulturjournalismus natürlich nicht schön ist. Gerade wenn einen nicht (nur) das Geld umtreibt, will man doch ein Einverständnis über einen gegenseitig respektvollen Umgang mit der Arbeit des jeweils Anderen.

Die Kommunikation dieses Gefühls des Disrespekts beziehungsweise der Zensur wurde in dem einen Fall wie gesagt mit sehr ausfallenden Beleidigungen quittiert, im anderen immerhin mit Verständnis für unsere verschenkte Zeit und auch darüber, dass man sich bewusst sei, hier einen Schritt zu machen, den man früher so nicht hätte machen können.
Was die Band hiermit ansprach: während bei klassischem Printjournalismus früher die Taktung und die Distanz zum Künstler eine Abnahme quasi unmöglich machte, hat die Digitalisierung und damit die Internationalisierung dafür gesorgt, dass jeder alles noch rechtzeitig in die Hände bekommen will und kann. Zumindest von den institutionalisierten klassischen Medien.
Es ist letztlich ein verzweifelter Reflex der KünstlerInnen jene zu steuern, wo sie noch Zugriff haben. Machtlos sind sie hingegen bei ihren Fans (oder Hatern), die posten können was sie wollen, da das Abwehrsystem aus Label, Management, Assistenten hier sowieso nicht hinterherkommen.

Was ist die Ableitung? Soll man das Feld dem Fan-Journalismus überlassen? Soll man sich auf die Diktate der KünstlerInnen einlassen? Wahrscheinlich läuft es eher darauf hinaus, dass man gewisse Beiträge von vornherein gar nicht mehr angeht, da man die Probleme schon riechen kann, die es geben wird. Oder aber man fixiert vorher alles vertraglich, was danach zwar nicht für mehr Zufriedenheit sorgen wird aber zumindest für eine Verbindlichkeit, schön wird es sich jedoch garantiert nicht anfühlen. Denn letztlich wünscht man sich doch ein Verständnis darüber, dass dieselbe Freiheit, die sich der Künstler für seine Arbeit zu sichern versucht auch für die journalistische Auseinandersetzung mit dieser zu gelten hat.

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