Thomas Venker

Melt! my Flashback

Melt-LSD-1Vorhin saß ich auf einer Kölner Parkbank und trank Kaffee und dachte darüber nach, warum die Stadt nur so am Ende ist – ausgehend von den Erlebnissen der vorhergehenden Nacht, wo die tolle Black Madonna vor einem nur mäßig gefülltem Club spielen musste. Da huschte plötzlich Pete Doherty durch mein Wahrnehmungsfeld. Er war es dann aber doch nicht, sondern Jürgen Paape, aber egal.

Und plötzlich war ich an einem anderen Ort zu einer anderen Zeit. Ich taumelte, wieder im Jahr 2013 angekommen, über das Melt! Gelände, verfolgt von eben jenem Pete Doherty, der partout von mir interviewt werden wollte und so diabolisch wirkte, ja wie ein Menschenfresser anmutete, der sich von meiner Energie ein bisschen Leben in seinen abgefuckten Körper zurück holen wollte. Ich glühte vor Erregung, nicht wegen ihm, sondern wegen all der Farben und Eindrücke, hervorgerufen durch den LSD-Trip, den ein befreundeter Musikmanager mir nach getaner Arbeitsschicht einfach so in den Mund gesteckt hatte.

Man könnte sagen: was eine bescheuerte Idee, sich auf einem Festival inmitten von 20.000 Leuten den ersten Trip seines Lebens unterjubeln zu lassen. Man könnte aber auch einfach genießen, wie man stundenlang seinen Körper mit der tollsten Person auf der ganzen Welt teilt, zum Mond reist, eine intensive Jazz-Improvisations-Session mit Miles Davis spielen darf (hierfür sei Modeselektor gedankt, der Sound der von ihnen zusammengestellten Bühne zauberte Miles wohl hervor) oder auch die absurde Schönheit zu erleben, die es bedeutet, Feen zu kotzen während neben einem, kein der Dramaturgie geschuldeter Witz: DJ Koze auflegte.

Melt-LSD-2Doch ui, plötzlich kamen dunkle Bilder in meine wabbernde Flashbackschleife. Tausende marschierende Nazis und ich mitten drin, gefangen in der Enge eines Feldes und ohne eine Chance von ihnen freigegeben zu werden. Und da, ein großer Konferenztisch an dem Jesus und seine 12 Jünger sitzen und alle mahnend ihre Zeigefinger auf mich richten: „Wie konntest du dir nur dieses Blättchen zuführen lassen? Pfui, pfui, pfui, wir sind hier doch nicht auf einem Festival, Thomas, hier geht es ums Geschäft.“ So muss sich Kafka vor dem Gericht gefühlt haben. Der posttraumatische Schweiß, er tropfte plötzlich von meiner Kölner Parkbank – und wurde zum Zubringerfluss zum Rhein und zum nächsten Horrorkammerspiel: zwei alte, deprimierte Männer thronen vor mir und schieben einen Vertrag über den Tisch: „Hier, unterschreib, wie konntest du uns nur all den Imageschaden zufügen?“ Warum nur haben sie so geweitete Pupillen? Kann mich hier bitte jemand schnell rausholen?

Es muss die scheißende Taube gewesen sein, die mich erlöste. Plötzlich saß ich wieder in der Kölner Nordstadt. Verwirrt aber happy.

Mit 16 ging ich immer in eine – aus heutiger Sicht – eher triste Stuttgarter Wave-Disco. Ich erinnerte mich daran, dass damals ein Bekannter mal einen LSD-Trip in seinen Drink reingeschmissen bekam. Die Nacht selbst war noch lustig für ihn, die danach immer wieder auftretenden Flashbacks haben ihm aber nicht so gut getan. Hoffentlich war das mein letzter Melt!-Flashback. Die Geister sollen schlafen.

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Sarah Szczesny & Hella Gerlach: “Plait moment (13:3831,1)”, 2013

 

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