Simon Wagner

Wo Wes Anderson auf Jung-Liberale ejakuliert – Hass auf “kritische” Hipster-Fotografie

Kitsch ist in. Kitsch war nie out. Allein, was Kitsch ausmacht, hat sich verändert. Wo sich vor 200 Jahren der Baron noch ein mit Blattgold geschmücktes, katzenförmiges Porzellan-Service in die Biedermeier-Vitrine pflanzte, hängt sich heute die Mittelstandsfamilie von Welt einen mit Glitter besprenkelten, entstellten Kandinsky ins Reihenhaus-Foyer. SIMON WAGNER hat einige sehr hellsichtige Absätze Hass für “gesellschaftskritische” Fotografie in Lifestyle-Magazinen für uns zusammengebaut.

Okay, jenem Reihenhaus-Kandinsky an der Garderobe lässt sich wenigstens zugute halten, dass er keine gesellschaftliche Relevanz beansprucht. Völlig anders sieht es da bei einer Kunst aus, die gerade sämtliche Mode-, Lifestyle-und Popkultur-Magazine zu überfluten scheint und sich in all ihrer Kuscheligkeit noch irgendwie gesellschaftskritisch dünkt. Es handelt sich um eine Form von Porträtfotografie, die sich von der Modefotografie unabhängig gemacht und nun der großen Kunst und den großen Fragen unserer Zeit verschrieben hat.

Dass die Fotograf_innen aus der Mode-Sparte kommen oder von dieser entscheidend beeinflusst wurden, ist am Stil der Bilder leicht festzustellen. Die unsägliche Tumblr-Ästhetik hat sie vollends vereinnahmt: “Schrille” Kontraste, Pink auf Weiß oder auch mal völlig farbentsättigt. Innenräume in holzigem Dunkel, Außenwelten überhellt. Pastelluniversen, alles bunt und matt, wie als hätte Wes Anderson seine ästhetischen Ideale auf das Outfit eines JuLis ejakuliert. Alles ist so standardisiert, dass selbst die bemühteste Verschiedenfarbigkeit so eintönig wirkt wie die B+W-Filter auf Instagram. Das Überzeichnete der Gestaltung, das durch dessen Allgegenwärtigkeit längst gezähmt ist, kommt einem unangenehm vor – Kitsch eben. Aber auch Geschmacksfrage.

So abgefahren wie dämlich wird es nämlich erst, wenn man von den Fotograf_innen erfährt, was ihre Bilder denn zu sagen haben. Ein Thema scheint es ihnen besonders angetan zu haben: das Hinterfragen und Auflösen von Geschlechternormen. Wahrlich keine Kleinigkeit, wenn man bedenkt, dass es traditionelle Gendervorstellungen Jahrtausende lang geschafft haben, noch den kleinsten Lappalien das Label männlich oder weiblich zu verpassen. Wie soll man das in einem Bild auseinandernehmen? So kompliziert die Frage ist, so simpel und fragwürdig ist die Lösung der Künstler_innen. Sie zeigen einfach androgyne Menschen.

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Verletzlich sind nur Milchbubis
Da wäre beispielsweise Tyler Udall, der laut Interview-Überschrift des Modemagazins i-D “in seinen Bildern die Bedeutung von Männlichkeit” hinterfrage. Die beigefügten Fotos zeigen spärlich bekleidete, jugendliche Männer. Einer sitzt mit offenem Hemd vor einem Strauß hellrosa Rosen und schaut mit diesem Robert-Pattinson-Blick in die Kamera, ein anderer hockt nackt in der Badewanne und hat pinke Haare. Sie alle sind jung, blass, haben weiche Gesichtszüge, noch halb kindlich. Im Interview sagt Udall ein paar kluge Dinge über Männlichkeitskonstruktionen und ein paar merkwürdige über schwule Promiskuität. Naja.
Auf einem ähnlichen Pfad bewegt sich die Fotografin Bettina Rheims mir ihrem Bildband, der den vielsagenden Titel “Gender Studies” trägt. Zu sehen sind auf den Bildern ebenfalls spärlich bekleidete, normschöne Menschen vor weißen Hintergründen. Die Männer sind jung, zart, mit reiner Haut und haarlosen Oberkörpern, teils geschminkt und mit blondierten Haaren, die Frauen haben kleine Brüste. “Viel Sex, viel Haut – aber kein klares Geschlecht”, urteilt der Spiegel. Naja.

Was den Künstler_innen offenbar nicht auffällt ist, dass sie mit ihren Bildern Geschlechternormen nicht hinterfragen, sondern reproduzieren. Sie zeigen Menschen, bei denen äußerlich die Grenze zwischen Mann und Frau zu verschwimmen scheint. Das rührt nicht im Geringsten an herkömmlichen Geschlechtervorstellungen. Dass der Junge mit Babyface wie eine Frau sei, ist das Narrativ des Schulhofschlägers, der ihn wegen seiner vermeintlichen Weibischkeit bedrängt. Tyler Udall will die männliche Verletzbarkeit darstellen. Sind nur dünne, androgyne Jungen mit pinken Haaren verletzlich? Na, Hauptsache nackte Haut und Ficken, würde das Spiegel-Feuilleton wohl erwidern. Es müsste aber doch klar sein, dass das Hinterfragen von Geschlechternormen nicht nur für Butch und Bubi, sondern auch für die vollbusigste Frau und den behaartesten alten Mann geschehen muss. Doch selbst die knutschenden Bären, wenn sie denn mal – wie in einer anderen Vice-Fotogalerie – tatsächlich auftauchen, sehen unter tausend Filtern und vermutlich nach etlichen Bearbeitungen aus wie Ken-Puppen. Die Technik ermöglicht schließlich, wenn man es denn will, korpulente, bärtige Männer nicht weniger weich und glatt aussehen zu lassen als die Kätzchen-Teekanne des Biedermeier-Barons.

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No Fatties statt Kritik an Schönheitsnormen
Denn bei allem Anspruch des Hinterfragens von diesem oder jenem verfällt diese Fotografie doch der althergebrachten Versuchung nach Vollkommenheit. Die Stoßrichtung der Bildgestaltung ist klar: bloß die Menschen nicht so zeigen, wie sie sind! Um dies zu bemängeln, den Hass auf das Imperfekte als das zu enttarnen, was er ist: ganz und gar nicht kritisch eben, muss man nicht einmal für einen konsequenten Realismus argumentieren. Nein, im Gegenteil, was wäre die Kunst – auch die Fotografie – langweilig und gewissermaßen überflüssig, wenn sie die wirkliche Welt nur möglichst ähnlich nachempfinden würde. Doch wenn die Fotos – wie es in einem Kommentar auf der Vice-Facebookseite über ein Bild von zwei blassen, dünnen Frauen mit goldenen Mündern heißt – an “Wella-Plakate” erinnern, “die beim Dorffriseur meiner Mutter hängen”, muss irgendwas gründlich schief gelaufen sein. Wo die Kunstfotografie an sich von der Werbung nicht mehr unterscheidbar ist, da ist jeder gesellschaftskritische Anspruch nicht viel mehr als ein Alibi, ein hübsches Bildchen aufzuwerten, um es noch für die Galerie zu qualifizieren. Nicht dass Reklame der künstlerischen Gestaltung diametral entgegen stünde. Doch der Gesellschaftskritik tut sie es meist.

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Und so gelten in dieser Art der Kunstfotografie auch gern mal dieselben ästhetischen Vorstellungen wie in der Werbung: no uggos, no fatties. Das wird besonders bescheuert, wenn die Fotograf_innen sogar noch Schönheitsnormen zu hinterfragen vorgeben. So beispielsweise der Fotograf Brian Dowling, der laut Bento-Facebookvideo “rothaarige Schönheiten aus aller Welt” abgelichtet hat. Und zwar weil Haare, Haut und Sommersprossen der Rotschöpfe es ihm angetan hätten – alles Dinge für die sie, hebt Dowling hervor, ja sonst gehänselt würden. Ach, wie empowernd! Doch die Diversität, die im “aus aller Welt” mitschwingt, gibt es nicht. Alle sind sie dünn, alle ebenmäßig im Gesicht, alle mit perfekter Haut. Ja, denkt man, sie mögen allesamt rote Haare haben und doch sieht jeder einzelne aus wie ein Model im Otto-Katalog. Etablierte ästhetische Kategorien zu hinterfragen indem man etablierte ästhetische Kategorien als Auswahlkriterien übernimmt, dürfte somit auch der Höhepunkt der Idiotie in diesem Metier sein. Dann doch lieber den Disco-Kandinsky aus der Mittelstandsdiele.

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