Interview

“Mein Luftkissenboot ist voller Aale” – Die korrekte Aussprache von Prosecco, Vinyl und Lasagne

Desinformation ist eine Waffe, dafür braucht man nicht mal die Postings der Aluhüte zu studieren. Immer wieder ärgert man sich, dass man selbst doch mal wieder von falschen Paradigmen, ungenauen Zahlen oder zweifelhaften Berichten ausgegangen ist. Eine nice Pause vom täglichen Info-Krieg gönnt einem dabei die YouTube-Tutorial-Serie “Korrekte Aussprache”. Ähnlich wie das mutwillig legasthenische Facebook-Phänomen “Nachdenkliche Sprüche mit Bilder” wird hier dem Erratischen gehuldigt. Die korrekte Aussprache von “Goethe” klingt auf einmal verdächtig nach “Goofy” und der Beispielsatz ergänzt: “Johann Wolfgang von Goofy wurde berühmt durch seine Faust”. Hinter diesem süchtig machenden Netz-Quatsch steckt dabei Bier Wolfmann, ein Musiker, dessen Acts Supergaul und Manfred Groove auch viel Schönes (und Verstörendes) zu bieten haben. Linus Volkmann sprach mit dem Exil-Badener, der mittlerweile in – na klar – Berlin lebt.

Wie bist du auf die Idee gekommen mit diesen Aussprache-Clips? Gab’s da einen konkreten Anlass?
Bier: Es geisterte so ca. Anfang des Jahres mal ein Post durchs Netz, in dem darauf hingewiesen wurde, wie man einge Wörter, die sonst häufig falsch ausgesprochen werden, richtig ausspricht. Da war zum Beispiel Latte Macchiato anstatt “Latte Matschatto” dabei… Wir haben uns dann gedacht, dass es doch witzig wäre, da eine falsche Referenzgröße ins Netz zu stellen für alle, die das bisher immer falsch ausgesprochen haben – und denen für Diskussionen Argumente zu liefern. Von dieser Grundidee ausgehend haben wir angefangen uns umzuschauen und sind dann auch über eine amerikanische Version gestolpert (“Pronounciation Manual”), die das etwas ähnlich macht, allerdings eher in Richtung Dada-Theater geht. Wir haben dann überlegt, dass wir gerne halbwegs realistisch bleiben wollten, sodass man, wenn man das Wort nicht kennt, zumindest theoretisch glauben könnte, dass man das so spricht. Und zusätzlich haben wir noch einen Beispielsatz eingeführt, der das Wort in seiner typischen Verwendung zeigt.

Es gibt ja diesen legendären Monty-Python-Gag, wo Touristen (aus Ungarn, meine ich) in England interagieren wollen, aber ein durchgedrehtes Wörterbuch lässt sie Dinge sagen: “Mein Luftkissenboot ist voller Aale”. Hast du nicht Sorge, dass sich arme Verwirrte an den Varianten der Aussprache in echt bedienen oder wäre das Teil des Funs?
Bier: Naja, Satire lebt ja davon, dass man sie als solche nicht kennzeichnet. Da bleibt jeder und jedem selbst überlassen, was man glauben will. Im schlimmsten Fall sagt jemand „Fairness-AG“ statt „Vernissage“ – ich glaube, das ist ein in Kauf zu nehmendes Risiko. Und passiert so oder so jeden Tag zu Hauf. Ist doch schön, wenn diese Menschen dann eine Referenz im Internet haben, auf die sie sich beziehen können: „Der YouTube sagt auch, dass es Expresso heißt!“. Bzw. Wie dieser weise Rapper Manfred Groove einst sagte: „Das Internet sagt, was irgendwer da reinschreibt“.

Im Web geiern ja viele darauf ab, andere zu berichtigen, gerade Sprache ist ein Schlachtfeld. Wo stehst du in der Nummer, willst du eher das Konzept “Korrekte Sprache” abfucken oder denen, die Bescheid wissen, die Möglichkeit geben, dass sie sich dessen mal wieder versichern können?
Bier: Ich glaube weder noch – die Videos beziehen für uns einen großen Teil ihrer Gags daraus, dass man ab einem gewissen Punkt anfängt, sich zu fragen, wie man das wohl falsch aussprechen könnte und in der Überraschung, wenn die Variante dann eine andere ist. Also im Endeffekt aus der Schere zwischen Schriftbild und Wortlaut – Ich persönlich finde es witzig, wenn es da Überraschungen gibt.

Korrigiere mich, aber es sieht aus, als wäre ein Großteil der Clips diesen Sommer en bloc eingestellt worden bei youtube. Und dann passierte … erstmal nix. Wart ihr da enttäuscht?
Bier: Nein, gar nicht. Wir haben ja auch erstmal nix dafür getan, dass es sich irgendjemand anschaut. Wir haben die Clips hochgeladen und liegengelassen, quasi um zu schauen, worüber die Leute zufällig so stolpern und wie die Reaktionen sind, ohne dass man es großartig publik macht. Als das letzte Woche plötzlich so durch die Decke ging, waren wir ziemlich erstaunt. Und haben uns umso mehr gefreut!

Vor einigen Monaten aber ging die Nummer durch die Decke – kann man diesen viralen Buzz auf konkret einen Share oder einen Anlass zurückführen?
Bier: Kraftfuttermischwerk waren meines Wissens die ersten , die die Playlist gepostet haben. Wie sie darauf kamen, wissen wir nicht genau – wir vermuten aber über die korrekte Aussprache von Xavier Naidoo. Und dann sind auch ein paar andere Blogs wie Dressed Like Machines und Co. darauf aufmerksam geworden – und schließlich hat es Jan Böhmermann geteilt. Ab dem Moment ging plötzlich alles verblüffend schnell…

Wer ist die Stimme? Und habt ihr euch bei den Aufnahmen nicht total kaputt lachen müssen mitunter? Gerade die Zur-Schau-getragene Ernsthaftigkeit ist ja der Knaller.
Bier: Die Stimme heißt Charlotte… Wir haben die Aussprache und die Sätze vor der Aufnahme so oft gelesen und gehört, dass wir im Studio tatsächlich gar nicht mehr so lachen mussten und uns eher gefragt haben: Ist das wirklich lustig? Lachen da andere drüber? Das war so eine Art Betriebsblindheit. Aber ja, vorher mussten wir zugegebenermaßen auch erst ein paar mal einnässen.

Deine Musiksachen sind immer noch sehr Geheimtipp. Freut dich das, dass für “Korrekte Aussprache” dein YouTube-Account nun über 2 Millionen Views insgesamt zählt, oder denkt man dann auch, ey, warum feiert ihr nicht lieber meine Musik?
Bier: Ich bin ja nur ein Teil der WunderTütenFabrik – das ist ein Zusammenschluss von ca. 10 Leuten, die da ihre kruden Spaß-Ideen ausleben können. In dem Fall hatte ich da jetzt zufällig auch die Finger drin, aber das sind schon zwei sehr unterschiedliche Welten und Supergaul hat eine ganz andere Herangehensweise. Zudem haben Netzkram und Musik auch jeweils eigene Gesetze – kurzum, ich freue mich über den Erfolg der “Korrekten Aussprache“ und bin gleichzeitig nicht verbittert über den Umstand des Nischenmusikers.

Du bist ja unheimlich produktiv, was machst du denn im echten Leben eigentlich?
Bier: Ich bin eigentlich Musiker und betreibe ein kleines Label und einen kleinen Musikverlag für sonderbare Popmusik.

Eure Version des Worts “Synthesizer” ist ja so populär geworden, dass der Musiker Tomas Tulpe daraus einen eigenen Song machte, wie kam es dazu?
Neben seiner Funktion als Trashpop-Beethoven ist Tomas Tulpe mittlerweile ein Freund und geschätzter Kollege von uns. Aber er ist ohne zu wissen, dass wir da unsere Finger mit im Spiel hatten, über die “Korrekte Aussprache” gestolpert und fand den Synthesizer so witzig, dass er das als Tulpe-typische Technoversion verwursten wollte. Und so ist daraus tatsächlich eine Video-Single unter anderem noch mit Remixen von Gehm & Remute entstanden.

Tomas, dann können wir dich jetzt zuschalten, erzähl mal Deine Story zu diesem Song. 
Tomas Tulpe: Ich hatte mir diese Aussprache-Clips mehrmals hintereinander komplett angeguckt – und lag vor Lachen von Mal zu Mal tiefer unter dem Tisch. Es schien dann irgendwie nahe liegend, zum Begriff Synthesizer einen Track zu basteln. Als ich dann mitbekommen hab, dass Bier Wolfmann dahinter steckt, hab ich sofort angefangen und fand es ziemlich komisch, dass das noch kein anderer gemacht hat. Der Clip ist auch meine Art, Bier zu danken, dass ich jetzt endlich sicherer in Unterhaltungen mit meinen Mitmenschen gehen kann

Bier, mit der zweiten Staffel von “Korrekte Aussprache” habt ihr ja auch eine neue Reihe eröffnet. Sehr realistisch anmutende Lifehack-Videos. Bei denen man zweimal hingucken muss, um zu verstehen, dass das eine Falle ist. Wie kamt ihr wiederum darauf und was ist die Idee dahinter?
Bier: Wir wollten eigentlich nur der Internetcommunity bei der Alltagsbewältigung helfen. Man verschwendet so viel Zeit, wenn man einfache Dinge wie Brot entrinden, Mango schälen oder Krawatte binden falsch macht. Das sind also quasi durchweg Tipps, wie mal sein Leben leichter gestalten kann. Wir betrachten uns da als Alltagshelfer und nehmen diese soziale Verantwortung gerne an.

Ja, ja, Kaputs Mutter … Dann sag doch zumindest mal, was wir noch so erwarten haben?
Bier: Im März bringen noch eine weitere, neue Reihe – die dann wieder witzig sein wird und nicht sehr hilfreich.

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