Eine Ode des Kulturkritikers und Kunstmalers Abel Auer über das Phänomen Rin

Rin – Softpack mit Feuer

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Der Rapper Rin (Quelle: Instagram Rin)

Als ich zum Jahreswechsel die üblichen Rückblicke und Charts in Feuilletons und Popmusikpresse durchlas, ist mir zu meiner Verwunderung aufgefallen, wie selten Rins Debütalbum “Eros” genannt wurde. Da ich das für einen krasse Fehler halte, schien es mir notwendig doch noch einmal eine Lanze für ihn zu brechen.

So richtig begriffen habe ich die Bedeutung von Rin erst, als das Video zu „Monica Bellucci“ erschien (das frühe Meisterwerk „Error“ habe ich zu meiner Schande schlichtweg verpasst). Bei dem Clip zu „Bros“ hatte mir schon gut gefallen wie der öffentliche Nahverkehr erwähnt wurde, ein klassischer Topos in der Popmusik der Metropolregion Stuttgart, man denke nur an „Strossaboah“ von Wolle Kriwanek oder den neuen Banger „Drei-Löwen-Takt“ von Human Abfall.

Allzu große Beachtung hatte ich Rin also erstmal nicht geschenkt, die Kollaboration mit Yung Hurn oder sein eigener Track „Dontlike“ waren schon super, aber eigentlich hat mir den Sommer über LGoony mit seiner nerdigen Science-Fiction Arroganz mehr getaugt. Als dann aber diese sanften Marimbaklänge ertönten und die traurige Geschichte über das Shawty in Berlin gesungen wurde, ist mir klar geworden, in was für neue Dimensionen hier abgehoben wird und dass es sich bei Rin um weit mehr als bloß den nächsten coolen Emo-Rapper handelt.

Er ist ein Gesamtkunstwerk. Da stimmt die ganze Inszenierung. Wie er im besagtem Video vor dem Spiegel sitzt und die geliebten Kippen raucht, wirkt er so lasziv wie eine Filmdiva aus den glorreichen 1920er Jahren. Bei aller Gegenwärtigkeit und Novität, die Rin ausstahlt, hat das etwas glamourös unzeitgemäßes und ist so elegant wie einst Marlene Dietrich. Wie bizarr und kunstfern ist dagegen die Gegenwart, wo die Leute durch diese mobiltelefonartigen Apparaturen ihre Nikotin-Liquids rauchen, oder postfordistische Geschöpfe, die ins Fitnessstudio gehen, um Bewegungsabläufe von Industriearbeitern zu imitieren und nichts fühlen außer die Freude des Fleischroboters über die eigene Instandhaltung.

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Haben ein Farbspektrum wie ein Gemälde von Auer …. Supreme Sobraine Kippen . (Quelle: Archiv des Künstlers)

Dagegen erscheint Rins inszenierter Zigarettenkonsum so old-fashioned. Mit seiner Androgynität und den geschwungen Lippen wirkt er wie einem präraffaelitischen Gemälde von Rossetti entstiegen, er scheint einer anderen Sphäre zugehörig, eine Erscheinung aus dem 19. Jahrhundert, späte Romantik, ein Gegenentwurf zur Jetztzeit . Hedonismus und Verschwendung glitzern hier als ein kaputtes Versprechen. Zur vollendeten Eleganz fehlt eigentlich nur, dass er die Marke wechseln und Sobraine, die Königin unter den Filterzigaretten rauchen würde, die mit ihrer edlen Verpackung, den unterschiedliche Farben und den goldenen Filtern so harmlos wie Buntstifte wirken. Supreme Sobraine.

Im Gegensatz zu anderen deutschen Rappern, die ja auch gerne Modemarken zitieren aber dann doch nur aussehen wie ein x-beliebiger Burschi mit Anglerhut oder Cap und gewöhnlichem T-Shirt strahlt Rin echtes Mode- und Stilbewusstsein aus und hat sogar gelegentlich ein Hemd mit Kragen an. Es ist auch bemerkenswert, dass er sich in dem Video zu „Dizzee Rascal Type Beat“ als Model, also Objekt, und nicht als das handelnde maskuline Subjekt darstellt. In den 80ern oder 90ern des letzten Jahrhunderts hätte er sicherlich den Photographen gemimt. Wie schon angemerkt, das ist alles sehr 19. Jahrhundert, denn da gab ja ebenfalls ein Schönheitsideal, welches das stumpf männliche als vulgär verachtete. Rin ist der erste Dandy in Sportswear.

An einer Stelle singt Rin: „Jean Paul Gaultier Brille kennt sie” – aber kennt er auch Theophile Gautier? Sollte er! Im legendären Vorwort des Romans “Mademoiselle De Maupin” woher ja das Schlagwort „L’art pour l’art “stammt und die Kunst klar als reiner Diener der Schönheit definiert wird, steht folgendes: “Wirklich schön ist nur, was keinem Zweck dient; alles Nützliche ist hässlich, denn es ist Ausdruck eines Bedürfnisses, und die Bedürfnisse des Menschen sind widerlich und abstoßend wie seine arme und hinfällige Natur. Der nützlichste Ort eines Hauses sind die Latrinen.”

Das scheint Rin verstanden zu haben, seine Musik ist frei von aufgesetzten Inhalten, blöden Themen, die aktuelle Probleme behandeln um mit einer fadenscheinigen „Relevanz” die Mediokrität des Werkes kaschieren müssen. Es geht um Gefühl und Schönheit, das Leben in seiner rohen Einfachheit wird hier ästhetisch verarbeitet. In Gautiers Vorwort wird dann auch ausführlich die Niedertracht der Kritiker beschrieben, und wenn ich so manche Besprechungen zu “Eros” nochmals Revue passieren lasse, wird mir klar, dass sich da nicht viel geändert hat.

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Zug nach nirgendwo? Nein! Hier geht´s gen Bietigheim. (Photo: Abel Auer)

Besonders peinlich ist die Besprechung auf Laut.de, wo der Autor erstmal mit einer besonders eingebildeten Attitude die Musik und Produktion feiert und dabei in onanistischer Manier sein technisches Wissen raushängen lässt, um dann im nächsten Absatz Rin selbst als Künstler zu diffamieren und ungehobelt beleidigend wird. Dabei bemerkt er nicht mal, dass er sich damit bloß als ein Paradeexemplar des vom Ressentiment gesteuerten Kretin outet. Denn wie heißt es so treffend bei Nietzsche: „Während der vornehme Mensch vor sich selbst mit Vertrauen und Offenheit lebt, so ist der Mensch des Ressentiment weder aufrichtig, noch naiv, noch mit sich selber ehrlich und geradezu. Seine Seele schielt; sein Geist liebt Schlupfwinkel…” – und so ist es nun mal, die Vergiftung durch das Ressentiment korrumpiert die allgemeinen Wertschätzung.

In einer Rezession des Spiegels wurden ihm dann hirnrissige Texte attestiert, dabei könnte man durchaus behaupten, dass in einem Stück wie „Bros“ Motive der Romantik aufgegriffen werden, Eichendorffs „Leben eines Taugenichts“ wird sozusagen zu einem Leben mehrere Taugenichtse transformiert. Die Reise geht in Rins Text aber nur noch in die Innenstadt und nicht mehr nach Italien, im Global Village gibt es wohl kein Fernweh mehr. Ebenso wenig wird eine Metaebene wahrgenommen, dabei ist diese klar vorhanden. Neben dem Eros, der außer in seinem sexuellen Wortsinn durchaus auch in seiner Bedeutung als Lebenstrieb gelesen werden kann, durchzieht Ambivalenz das gesamte Werk. Schon die beiden Titel der bisherigen Veröffentlichungen, “Genesis” und “Eros” sind ja auffällig zweischneidig : neben dem antiken oder biblischen Bedeutung haben die Worte im Musikbereich ja einen tendenziell negativen, uncoolen Klang, wenn man an den italienischen Schnulzenbarden oder die 80er Phil Collins Phase jener Band erinnert wird, die ebenso heißt.

Das Intro der Platte thematisiert diese Ambivalenz direkt, indem ein vermeintliches Liebeslied in eine Hasstirade kippt. In einem späteren Stück singt er dann etwas von einer Maria, die an ihr Handy gehen soll und man meint, es geht wohl wieder um Probleme mit einem Shawnty, dann geht es im Text aber plötzlich so weiter: “Ich glaube an Dich, glaube an deinen Sohn, glaube an die Liebe” und man zweifelt ob es sich nicht doch eher um die Heilige Jungfrau handelt, und wohl keine Milf, die hier Adressatin ist. Oder ein Satz wie: “Ich bleib in Bietigheim solange bis ich leb” der ja etwas völlig anderes aussagt als er eigentlich bedeutet. Manchmal wird die Grammatik verbogen, um neue Sinnebenen zu erschließen. Das ist alles auf eine sehr spezielle Weise ungemein präzise und man kann das durchaus als Konzeptalbum bezeichnen.

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Dante Gabriel Rossetti Portrait of a Musician WTF?! Rin im 19. Jahrhundert – damals noch ohne Brille und mit offenem Haar , no wonder hat er all die Goldzähne wenn er so ein old Vampir ist. (Archiv des Autors)

Ambivalenz ist die Metaebene und das Grundgefühl des 21. Jahrhunderts, welches die blasierte Ironie der Postmoderne und das Immanente hinter sich gelassen hat. – Bei Yung Hurn tritt diese Ambivalenz übrigens in der Spaltung Yung Hurn /K.Ronaldo auf – Das Authentische wird wieder salonfähig und mit ihm kommen Feeling, Schönheit und Glaube, also Transzendenz in der neuen Kunst wieder zur Geltung. Das erklärt auch, warum die neuen Rapper eher kreativ als technisch sind.
Die Kulturphilister diffamieren das gerne als Kitsch, was aber absolut nicht der Fall ist. Kitsch bedient sich dem Klischee oder der billigen Metapher, ist Simulation etwas nicht wirklich Gefühltem. Bei Rin ist alles real, die Sprache ist nüchtern bis kalt und wenige Worte reichen eine Situation zu konstruieren, Bilder im Kopf zu erzeugen und das entsprechende Gefühl zu evozieren. Alle Phasen einer amour fou werden im Verlauf des Album durchdekliniert. “Ich will, dass du mich brauchst”, beschreibt zum Beispiel einen Zustand der Erbärmlichkeit und dies ist nun mal keine Situation, in der man sich noch groß artikuliert, die Line “Ich bin besoffen bin allein” wird dann natürlich auch so gemumbelt, dass man selbst die schwere Zunge des Betrunken und Verlassenem im Mund fühlt. Es muss nichts umschrieben werden, man fühlt es mit.
Er braucht auch keine ausführlichen Abenteuergeschichten über Drogenkauf in Holland zu erzählen, er sagt einfach mal “Venlo” zwischendurch, dann weiß man schon. Eigentlich taucht nur einmal eine Metapher auf “Es gibt Berge, die du nicht versetzen kannst”, die ist dann aber so überzogen und dick aufgetragen, dass man merkt, dass hier ganz absichtlich Schlagerjargon benutzt wird. Die im HipHop typischen Allmachtfantasien von sagenhaftem Reichtum und Luxuskarossen werden weitgehend vermieden oder sie tauchen höchstens als lustige Absurdität auf – „eine Million Kisten Bier“.

Alles erscheint bis ins Letzte konsequent: der Vinyl Veröffentlichung liegt kein Downloadcode , CD oder irgendwas anderes digitales bei, es bleibt alles analog, bis hin zu einem 16mm Filmschnipsel eines seiner Videos.  Ja, dieser Filmschnipsel erweckte in mir düstere Erinnerungen an den eigenen pubertären Eros: damals in den 80ties war es ja für einen testoseronisierten Boy nicht so leicht wie heute an Pornographie ranzukommen , da habe ich schon mal aus verwirrter Geilheit den Salvador Dali Katalog meiner Eltern zur Stimulation herangezogen ( vermutlich empfinde ich deswegen das Betrachten von Gemälden bis heute als sinnliche Sensation); später hatte ich das Glück auf dem Sperrmüll Reste einiger Super8 Pornos zu finden , dessen Filmschnipsel ich in Diarahmen geframed habe: Multiple vintage Scheiden, die ein bisschen wie ein Kunstwerk von Cosey Fanni Tutti aussahen. Also Rollladen runter, Projektor an und der Alp der Perversion ergriff Besitz von mir – so war das, aber genug davon.

Öfters höre ich, die Musik von Rin wäre ja großartig, aber die Texte wären schon manchmal hart peinlich. Zum Beispiel die Line „ich will zwischen deine Beine ” oder „ich benutz kein Gummi, weil es Liebe ist“ wären too much. Dem muss ich widersprechen, zum einen sind die Beschreibungen von Frauen in seine Songs emphatisch und gefühlvoll, was einen notwendigen Kontrast zu deutschen Mainstream Rappern der vorherigen Generation bildet, deren Frauenverachtung ja oftmals jenseits jeglicher Tolerierbarkeit liegt. Zum anderen ist das Peinliche auch ein Zeichen von Mut und ein Merkmal von Künstlern die sich trauen eigentümlich zu sein. Ohne den „Tempel der Eigentümlichkeit“ vermag der Mensch, und erst recht der Künstler, nichts Großes, sagte schon Caspar David Friedrich. Anyway, der von uns allen hochgeschätzte Momus singt in Songs wie „ I Like You But I Don`t Need You“ Obszönitäten ,die jenen Rins in nichts nachstehen, oder ein Stück wie „In sie hinein“ von Kai Althoffs Projekt Fanal mögen hier als Beleg dienen, dass Peinliches und Anzügliches manchmal Merkmal eines genialen Künstlersubjekt sind .

Momus , Kai Althoff… Ich finde es durchaus berechtigt, Rin in so einen Pantheon aufzunehmen. Ich würde sogar so weit gehen, ihn aufgrund seines ausgeprägten Modebewusstseins, seiner auratischen Erscheinung, seiner androgynen Schönheit und der recht konsequenten Abstinenz in der profanen Welt sozialer Medien als den David Bowie der neuen Generation zu bezeichnen! Seine ausverkaufen Konzerte und seine anderen phänomenalen Erfolge bestätigen, dass er den Nerv der Zeit wie kein anderer getroffen hat. Er ist der Abgott einer neuen Epoche und ich habe jetzt mal nichts dagegen sein Prophet zu sein.

P.S.:
Ich sitze in einem Cafe und grüble vor mich hin, ob ich nicht zu weit gegangen bin mit meiner Interpretation. Ob ich nicht überprojiziere, zu viel Empathie aufgrund der gemeinsamen schwäbisch-balkanesischen Herkunft habe. Um mich abzulenken blättere ich in einem Monopolheft das ausliegt, und, ha!, neben lauter unerfreulichen Stories über den Zustand der Kunstwelt stoße ich auf eine Foto von Rin nebst einem Text, in dem er sein Lieblingsbild beschreibt, eine nice kleine Landschaft aus Bosnien; und er redet über alles was wichtig ist: das Einfache, das Naive und das Schöne .

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