Afro-Tech Fest

Weiße Besucher des schwarzen Planeten Atlantis

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Jace Clayton (Photo: Erez Avissar)


The wisdom of the past is the light of the past
The light, which is to be the wisdom of the future
The light of the future casts the shadows of tomorrow
(Sun Ra, 1958)

Was haben die Veröffentlichungen so unterschiedlicher afro-amerikanischer Musiker_innen wie Sun Ra, Alice Coltrane, George Clinton, Afrika Bambaataa, Missy Elliot und Juan Atkins gemeinsam und welche Einflüsse haben deren Klänge, visuelle Präsentationsformen und künstlerische Konzepte auf heutige Musik und Kunst aus Afrika und der afrikanischen Diaspora?

Diesen und anderen Fragen geht das vom 20. bis zum 28. Oktober in Dortmund stattfindende Afro-Tech Fest in Vorträgen und Kurzfilmen, aber auch DJ-Sets und Live-Gigs nach. Im Mittelpunkt des Musikprogramms des vom Hartware MedienKunstVerein & Büro medienwerk.nrw in Kooperation mit Interkultur Ruhr – ein Projekt des Regionalverbandes Ruhr (RVR) und Africa Positive e.V. – organisierten Events steht der Afrofuturismus. (In diesem Rahmen wird am 20.10.17 auch die Ausstellung „Afro-Tech and the Future of Re-Invention“ eröffnet, welche bis April 2018 im Dortmunder U, Ebene 3 zu sehen sein wird. Nähere Infos finden sich hier.)

Dieses hochkomplexe Phänomen stellt eine oft nur am Rande wahrgenommene, aber gleichwohl wirkungsmächtige Agenda in der schwarzen Musik und Kultur der letzten rund 60 Jahre dar. Dementsprechend lassen sich afro-futuristische Elemente in nerdigen Nischen der Popkultur finden, wobei musikalisch, neben den bereits genannten Künstler_innen, der afro-karibische Dub-Pionier Lee Scratch Perry besonders einflussreich gewesen ist. Aber auch in Produkten und Formaten des Mainstreams, wie etwa der Science-Fiction-Serie „Star Treck“ mit Lieutenant Uhura oder auf dem Cover des Hit-Albums „Nightfly To Venus“ (Boney M. 1978), hat der Afro-Futurismus unverkennbar seine Spuren hinterlassen. Im letzteren Fall jedoch als rein kommerziell motivierter Abklatsch und von daher zugleich ohne wirklichen Bezug zum eigentlich gegebenen inhaltlichen Kontext. Ähnliches gilt auch für den Song „Rivers of Babylon“, der vom weißen Produzenten Frank Farian mit Discobeat statt Reggae-Rhythmen versehen, zum größten Hit des Albums und der Gruppe Boney M. wurde.

Aus kulturhistorischer Perspektive erscheint das, was erst seit 1993 unter dem notwendigerweise recht unscharf bleibenden Sammelbegriff Afro-Futurismus gefasst wird, zunächst vor allem als vielgestaltige Transformation religiös geprägter millennialistischer, das heißt endzeitlich-diesseitiger Erlösungshoffnungen.
Bereits früh hatten sich Afro-Amerikaner mit dem einst verschleppten Volk Israel identifiziert und gleichgesetzt. Die Ziele des Exodus in die Freiheit wandelten sich: Kanada, die Nordstaaten der USA, Afrika und dann der Weltraum. Dies hatte auch Konsequenzen für die Wahl der jeweiligen Beförderungsmittel und aus der menschenschleusenden Underground Railroad wurde schließlich das Raumschiff. Denn bei allem Festhalten an traditionellen oder auch neuen religiösen und spirituellen Bezügen war der Afro-Futurismus vom technologischen Fortschritt, den gerade das Weltraumprogramm der NASA mit sich brachte, und dem dadurch intensivierten utopischen Potential des Genres Science-Fiction höchst fasziniert.– bis hin zum festen Glauben an Außerirdische und UFOs. Zur Ideologie geraten war jedoch, schon früh vorrausgehend, eine Melange aus seinerzeit politisch neuen und bekannten religiösen Versatzstücken nebst offenbarenden Raumschiffen in den einflussreichen Schriften der „Nation of Islam“. Diese Organisation predigte einen vielleicht nachvollziehbaren, aber trotzdem keinesfalls gutzuheißenden Rassismus mit umgekehrten Vorzeichen.

Der deutsche Schriftsteller Hubert Fichte unternahm in den 1970er-Jahren Reisen in die Karibik und nach Brasilien und beschrieb seine Begegnungen mit den dort praktizierten synkretistischen afro-amerikanischen Kulten. Diese verehren vor allem afrikanische Gottheiten, allerdings häufig in Form christlicher Heiliger, die mit diesen gleichgesetzt wurden, um in der Neuen Welt mitgebrachtes religiöses Erbe überhaupt bewahren zu können. Der Hinweis auf Fichtes nach wie vor höchst lesenswerten Reiseberichte, die er selbst als Ethnopoesie verstand, ist allerdings nicht nur interessant im Hinblick auf die historische Kontinuität von Prozessen kultureller Amalgamierungen und Hybridität, sondern auch bezüglich des veränderten Blickes von Weißen auf Schwarze. Der teilnehmende und beschreibende Beobachter Fichte erscheint dabei zugleich in der Nachfolge des Ethnologen Claude Lèvy-Strauss und des Bebop hörenden “White Negro“ Jack Kerouac. Interessanterweise waren es zunächst gesellschaftliche Außenseiter, wie der bereits früh sein Schwulsein bekennende Hubert Fichte oder der katholisch sozialisierte Franko-Kanadier Kerouac, die sich auf die Erfahrung von faszinierend unbekannten und bis dahin rassistisch stigmatisierten nicht-weißen Lebenswelten voll und ganz einließen. Trotz aller Empathie oder sogar Identifikation blieben sie letztendlich doch wohl fremde und nur ansatzweise und bedingt verstehende Besucher.

Meine ersten persönlichen, noch völlig unwissenden Begegnungen mit dem, was man später Afro-Futurismus nennen sollte, erfolgten am heimischen Fernseher und ich erinnere mich auch entfernt an den Besitz eines mehr oder weniger vollen Albums mit Sammelbildern der Serie „Star Treck“. Da ich eigentlich nie ein sonderlicher Science-Fiction-Fan gewesen bin, ist dieses Sammelalbum wohl eher unter dem sozialen Aspekt des Wunsches nach Zugehörigkeit erklärbar. Dann kamen die Plattencover: schon früh ein Gemälde auf einer völlig merkwürdig klingenden Platte mit dem Titel „Bitches Brew“ in der Sammlung meines Vaters, ein paar Jahre später dann ein Album von „Earth, Wind and Fire“ mit Bildern von Pyramiden geziert, mit dem ein Schulkamerad iranischer Herkunft zum schulischen Musikunterricht kam.

Schließlich dann die erste eigene Erwerbung im seinerzeitigen Cut-Out-Laden von Saturn am Hansaring in Köln – „One Nation Under A Groove“ von Funkadelic (1978) für schlappe 2,95 DM. Auf der Vorderseite des Covers eine Comiczeichnung: schwarze Raumkrieger hissen eine R&B-Fahne. Offensichtlich handelt es sich um eine afro-futuristische Adaption jenes berühmten Kriegerdenkmals, das der US-Amerikanischen Eroberung der Pazifik-Insel Iwojima gewidmet ist. Zugegebenermaßen beflügelte jedoch das recht explizite und fraglos sexistische Innencover meine jugendliche Phantasie zunächst ungleich mehr. Die Plattenhülle erschien im Gesamten mindestens ebenso faszinierend abgedreht wie die Titelbezeichnung „PROMENTALSHITBACKWASHPSYCOSISENEMA SQUAD (THE DOODOO CHASERS)“. Letzteres Stück klingt dann übrigens in etwa so, als ob man alle verfügbaren Freunde kurzerhand zu einer zugedröhnten Session ins Studio eingeladen hätte- und wahrscheinlich war dem auch so. Allerdings erschien mir auch schon seinerzeit die rhetorische Frage eines anderen Titels höchst bedenkenswert, selbst wenn ich dessen Tragweite noch nicht zu erfassen vermochte: „WHO SAYS A FUNK BAND CAN’T PLAY ROCK?!“.

Die weiße Rezeption schwarzer Musik von Fans, wie auch durch Wissenschaftler verschiedener Disziplinen, war von Anfang an von zahlreichen Missverständnissen geprägt. Deren wohlmeinende Varianten beruhten recht offensichtlich häufig auf Projektionen, die vor allem aus dem persönlichen Unbehagen an der je angestammten Kultur resultierten – Jazz und Blues als individuelle und zeitweilige Fluchtorte. Allerdings schreibt die allzu simple Umkehrung des Ressentiments rassistische Logiken fort, wenn auch ungewollt. Am deutlichsten wird dies wohl an der auch heute noch gelegentlich bewundernd geäußerten Formel, dass die Schwarzen den Rhythmus ganz einfach „im Blut“ hätten. Zwar ist die afro-amerikanische Musik aufgrund der Performance und Rezeption ihrer Akteure völlig zu recht immer wieder mit dem Körper in Verbindung gebracht worden, sollte aber keinesfalls auf diesen Aspekt reduziert werden. Dichotomien, etwa die Gegenüberstellungen von Leib und Ratio oder Natur und Technik, halten kritischen Prüfungen nicht stand, insbesondere dann nicht, wenn sie überdies an Kategorien der Herkunft oder des Geschlechts gebunden werden.

Gerade der frühe Detroit Techno kann als Kampfansage an derartige, oft essentialisierende Klischees und Stereotype verstanden werden, die in der Figur des Cyborg kulminierte. Kids aus der Vorstadt adaptierten und transformierten die ‘weißesten’ Sounds, die verfügbar waren und bekanntlich von der deutschen Band Kraftwerk stammten, um sich von Zuschreibungen der ’Blackness’ befreien zu können. An dieser Variante der kontrovers diskutierten Techno-Saga ist einiges wahr, doch wird dabei, neben einigen anderen Aspekten, vor allem die bereits vorher bestehende afro-futuristische Tradition nur unzureichend gewürdigt. Deren musikalische Variante hatte der britische Autor Kodwo Eshun als Sonic Fiction verstanden und in „Heller als die Sonne“ eindrücklich als Teil der Vorgeschichte von Electro und Techno beschrieben. Neben den semiotischen Bedeutungen der verwendeten elektronischen Sounds, interessierten ihn dabei auch ihre psychischen und somatischen Wirkungen.

„Miles Runs The Voodoo Down“ – irgendwann hat mich dieses Stück dann doch gepackt. Die Drums und der E-Bass fangen an, dann kommen zumeist eher tiefe Gitarrensounds mit gelegentlich aufblitzenden schrillen Akkorden dazu, eine Bassklarinette tönt hölzern tief im Hintergrund: das alles ist der Sound des imaginierten mythischen und mystischen Voodoo, des dunklen, sumpfigen Südens, des Delta. Die Trompete von Miles setzt zunächst mit einem bluesig gezogenen Ton ein, tritt dann aber mit gestochen scharfen Bebop-Phrasen in Dialog und Auseinandersetzung, vor allem mit dem E-Piano und der Gitarre. Das Stück mäandert – oder wabbert meinetwegen auch – insgesamt 14 Minuten über der geringfügig variierten Basslinie; es gibt längere Soli, aber auch immer wieder kurze solistische Einwürfe der anderen Musiker. Bei deren Auswahl hat sich der Bandleader und Unternehmer Miles Davis niemals um Hautfarbe oder Herkunft geschert, auch wenn dieser ideologische Anspruch gerade in den 1960er-Jahren von Verfechtern eines Afrikanischen Nationalismus und einer ’reinen’ Black Music an ihn herangetragen worden waren. Bezeichnenderweise wurde das Cover von „Bitches Brew“ denn auch von Mati Klarwein gemalt, einem zunächst nach Palästina emigrierten Juden deutscher Herkunft, der später die französische Staatsbürgerschaft annahm und bereits zuvor seinen Vornamen arabisch um Abdul zu ergänzen pflegte. Sein Gemälde ist wohl am besten als afro-psychedelisch inspiriert zu charakterisieren und versöhnt und vereint letztendlich Schwarz und Weiß, wie etwa auch der massenmedial verbreitet und dadurch auch politisch relevante Kuss von Uhura und Kirk in der TV-Serie „Star Treck“ im November des Jahres 1968.

Am Ende der, trotz aller Verwerfungen, Widersprüche und noch immer unerfüllter Hoffnungen, befreienden Dekade der 1960er- Jahre verwendete Miles auf „Bitches Brew“ als einer der Ersten die skizzierten, seinerzeit neuartigen elektronischen Klänge des Psychedelic Rock und kombinierte sie mit den bereits im Jazz etablierten Rhythmen des Soul. Die „Directions in Music by Miles Davis“(so die Überschrift des eigentlichen Albumtitels) wurden zum Ausgangspunkt der wohl spannendsten und tatsächlich einflussreichsten Phase seiner langen Karriere. Das Nebeneinander, Übereinander und Gegeneinander, dieses sich komplex überlagernde und nur zeitweise entwirrende Geflecht verschiedener Melodie- und Akkordfetzen, Patterns und Sounds meinte ich denn auch später an zunächst völlig unvermuteter Stelle und in modifizierter Form wiederentdecken zu können – unter anderem in den Tracks von Hieroglyphic Being, aka Jamal R. Moss.

Der Einfluss des Afro-Futurismus auf die Detroiter Techno-Szene trat im Zuge des ersten Electro-Revivals gegen Mitte der 1990er-Jahre wohl besonders deutlich bei dem Projekt Drexciya zu Tage, deren Musik beim kommenden Afro-Tech Fest erfreulicherweise ein kompletter Abend gewidmet ist. Das Duo, dessen Protagonisten lange unbekannt geblieben waren, knüpfte, wie bereits zuvor Sun Ra mit „Atlantis“ (1969) und X-103, aka Jeff Mills und Robert Hood (1993), künstlerisch an den Mythos eines von Schwarzen bevölkerten Eilandes in den Tiefen des Atlantiks an. Diese Bewohner, so die Variante der antiken Sage, seien Nachfahren der im ozeanischen Wasser geborenen Babys jener schwangeren Frauen, derer man sich während der Zeiten des blühenden transatlantischen Sklavenhandels als lästiger Fracht entledigte, indem man sie über Bord warf. Die Releases von Drexciya illustrieren durch Musik und Artwork eine „Aquatic Invasion“ (Drexciya, 1994) oder zumindest Infiltration der USA durch bewaffnete und befreiende Wasserkrieger. Gerade das Künstler-Kollektiv Underground Resistance hatte Techno als zeitgemäße Aktualisierung afro-amerikanischer Widerständigkeit verstanden und unterhielt enge Verbindungen zu Drexciya. Übrigens ebenfalls zu den Martians, deren Red-Planet-Serie den utopischen Ort der Befreiung im Weltraum wähnten.

Diese Spannung diverser mythischer und utopischer Orte ist nur scheinbar widersprüchlich, vielmehr dem Afro-Futurismus früh eingeschrieben. Das Album „The Nubians Of Plutonia“ hatte Sun Ra mit seinem Arkestra in den Jahren 1958 und 1959 aufgenommen und je eine Seite ist durch eindeutige Titel den Themen Weltraum und Afrika gewidmet. Und zwar genau in dieser, chronologisch eigentlich falsch erscheinenden Reihenfolge. Im offensichtlich konzeptionellen Kontext des Albums erscheint lediglich das zweite Stück der A-Seite, eine Hommage an eine „Golden Lady“, etwas disparat. Vielleicht ließe sie sich noch als gülden Außerirdische oder aber auch blonde Teilnehmerin der zuvor musikalisch inszenierten „Plutonian Nights“ deuten. Als eigentlicher Hintergrund dieser Benennung des zweiten Stückes der Platte ist allerdings Vermarktungspolitik zu vermuten, denn das Album war 1959 zunächst mit dem sexuell konnotierten Titel „The Lady With The Golden Stockings“ veröffentlicht worden. Erst zehn Jahre später erhielt es den jetzigen Namen mit einem Cover, dessen kosmogonisches Geschehen mehr zur bereits früh erkennbaren afro-futuristischen Agenda Sun Ras, als zu deren erster Umsetzung mit noch recht konventionellem Hard Bop passt. Gerade der neue Titel des Albums, „The Nubians Of Plutonia“, indiziert jedoch die Gleichwertigkeit der erfolgten Bezüge aus der Gegenwart heraus auf Vergangenheit und Zukunft, mehr noch: deren chaotische, aber vielleicht trotzdem geradezu dialektisch zu nennende Gleichzeitigkeit.

In seinem letzten Text, entstanden 1940, kurz vor seinem verzweifelten Freitod auf der Flucht vor den Nazis, dachte Walter Benjamin über den „Begriff der Geschichte“ nach. Im Rahmen seiner Reflexionen taucht dann, vielleicht zunächst etwas überraschend angesichts historisch-materialistischer Grundorientierung von Text und Autor, die von einem Gemälde Paul Klees inspirierte Gestalt des Engels der Geschichte auf. Dieser blickt zurück auf die Geschichte, sieht diese aber nicht, wie wir, als eine „Kette von Begebenheiten“, sondern als „eine einzige Katastrophe“. Der Engel „möchte wohl verweilen, die Toten wecken und das Zerschlagene zusammenfügen. Aber ein Sturm weht vom Paradiese her. (…) Das, was wir Fortschritt nennen, ist dieser Sturm“.

Stürme toben jedoch bekanntlich nur an der Oberfläche der Ozeane und die Sage des schwarzen Atlantis erlaubt Künstler*innen die kontrafaktische Revision der Geschichte, die subozeanische Aufstehung der Nachfahren totgeglaubter schwarzer Sklaven, die der weißen, frühkapitalistischen Variante des Fortschritts somit nur vermeintlich zum Opfer gefallen waren. Der ozeanische Mythos hat überdies den Vorzug auch in anderer Weise enthistorisieren zu können, da er nicht, zumindest nicht unbedingt, ein vorgeschichtliches Paradies in Afrika annimmt. Denn das hat es auch dort, bei aller Wertschätzungen, die afrikanische Kulturen im Zuge ihrer allmählichen Entdeckung völlig zu Recht erhielten, wohl niemals gegeben.

Bezeichnenderweise trägt auch ein cineastisches Essay über den Afro-Futurismus aus dem Jahr 1996 den Titel „The Last Angel Of History“. Dort wird die übliche Trennung von Dokumentation und utopischer Fiktion souverän unterlaufen und auf den Monitoren des imaginären Datendiebes, der mit dem Engel der Geschichte gleichgesetzt wird, erscheinen unter anderem Sequenzen aus Sun Ras Filmmythologie „The Space Is The Place“ aus dem Jahr 1971. In diesen beiden afro-futuristisch inspirierten Filmen mischen und kreuzen sich afro-amerikanische Gegenwart, außerirdische Zukunft sowie afrikanische Vergangenheit.

Ein 1983 auf Kassette mitgeschnittener Rockpalast-Auftritt von King Sunny Adé ermöglichte mir eine erste nähere Beschäftigung mit afrikanischer Musik. Etwas befremdet hatte mich der Einsatz einer Pedal-Steel-Guitar, aber der Rest klang in etwa so ’authentisch’, wie man es sich wohl eben im Westen Deutschlands zu jener Zeit vorstellte. Ein spontan mitgebrachtes Geburtstagsgeschenk eines Bekannten, das Album „Black President“ von Fela Kuti (1981), eröffnete dann alsbald andere, spannungsvollere Klangwelten und bot Texte, die auch ich verstehen konnte. Die Sache schien ziemlich einfach zu sein, wahrlich schwarz-weiß: dort die Firma I.T.T., aus deren Namen „International Thief, Thief“ gemacht wurde und der weiße, postkoloniale Kapitalismus im Allgemeinen, und dort die mit Hilfe ihrer korrupten Regierungen ausgebeutete schwarze Mehrheit. Grundsätzlich falsch ist diese Beschreibung auch aus heutiger Sicht sicherlich nicht. Allerdings stand schon damals eine Textzeile Nina Hagens allzu naiv romantisierender Afrophilie entgegen. Deren „African Reggae“ von 1979, eine Persiflage auf die reichlich unkritische Rastafari-Begeisterung von so manchem bundesdeutschen Kiffer, gipfelte in den Worten „Was soll ich aber denn in Afrika als Frau, als Frau, wenn der schwarze Mann, die schwarze Frau kastriert, Au, Au!“. Das ist in der dargebotenen stereotypen Form selbstverständlich völlig überspitzt, weist aber gleichwohl auf eine von vielen bitteren Realitäten Afrikas hin, an denen ’der’ weiße Mann zweifelsohne oft, aber eben auch nicht immer die Schuld trägt.

Um das Millenium herum wurde ich dann zum Hörer der sogenannten Weltmusik und stellte mit Hilfe des Programms von Funkhaus Europa wildeste Mixtapes zusammen. Jedoch fragte ich mich zusehends, ob die diesbezügliche westliche Begeisterung nicht auch vielfach koloniale Verhältnisse fortschreibt: Afrika (und der Rest der Dritten Welt) als Rohstofflieferant für frische Musik aller Art, die in London, Paris und New York in Endprodukte für die ausdifferenzierten Märkte der nördlichen Hemisphäre konvertiert worden ist. Das dem zu Grunde liegende Phänomen des Exotismus ist allerdings wiederum mindestens so alt wie die bürgerlich-kapitalistische Musikwelt. Trotz der skizzierten Problematik, hat es fraglos auch wunderschöne musikalische Ergebnisse gezeitigt, wenn diese auch vielfach aus kreativen Missverständnissen resultieren.

Bezeichnenderweise mussten die Afro-Amerikaner im Zuge der Emanzipations- oder auch Segregationsbestrebungen ihre einst gewaltsam gekappten afrikanischen ’Wurzeln’ ebenfalls erst wiederfinden. Auch die vielen Trommel-Passagen der B-Seite des bereits erwähnten Albums „The Nubians Of Plutonia“ von Sun Ra geben bereits davon Auskunft, dass längst nicht nur die europäischen Nationalismen des 19. Jahrhunderts „Invented Traditions“ (Hobsbawm, 1983) kennen – die intentionale Re-Konstruktion vorgeblich uralten kulturellen Erbes. So manches von dem wiederum, was im Weltmusik-Boom der 1990er Jahre mit dem Label ’afrikanisch’ verkauft worden ist, stellte eigentlich bereits die Widerspiegelung afro-amerikanischer oder auch sonstiger Einflüsse dar. Dies gilt im Übrigen auch für Fela Kutis Afrobeat. Interessant wäre es wohl gelegentlich den Weg der Pedal-Steel-Guitar-Sounds von Hawaii via Memphis nach Nigeria näher nachzuverfolgen.

Paul Gilroy hat in seinem einflussreichen Werk „The Black Atlantic“ jene transkulturellen Ströme nachgezeichnet, von denen der Afro-Futurismus, gerade auch mit allen seinen psychedelischen, esoterischen, paranormalen und popkulturellen Einflüssen, einen höchst faszinierenden Teil darstellt. Ende Oktober landet nun ein autonomes Tochterschiff des „Mothership Connection“ nach Zwischenstops auf „Planet Rock“ und „Planet E“ für drei Abende in Dortmund. Zwar leider ohne Commander George Clinton an Bord, gleichwohl mit einem abwechslungsreichen und attraktiven Programm, das sich erfreulicherweise überdies auch noch durch freien Eintritt auszeichnet. Neben dem bereits erwähnten Drexciya-Feature, wird mit Mike Huckaby, ein bekannter Detroiter DJ und Producer, ein Sun-Ra-Set zum Besten geben, wobei Remixe die Tanzbarkeit im charmanten Retro-Ambiente des Dortmunder Klubs „Oma Doris“ gewährleisten sollten. Mit besonderer Spannung darf man darüber hinaus dem letzten Abend des Afro-Tech-Fests entgegensehen, der ganz aktueller, vor allem elektronischer Musik aus Afrika und der afrikanischen Diaspora gewidmet ist. Gerade dort dürfte es interessant sein zu sehen, wie sich die gesteigerten technischen sowie potentiell dezentralisierenden und demokratisierenden Möglichkeiten des Internets auf die Produktion und Distribution von Musik und anderer Kunst auswirken.

Darüber hinaus werden insbesondere hier sicherlich politische Themen wie Migration und die Kontinuität des Rassismus zumindest unterschwellig mitschwingen. Gerade das Mittelmeer war seit den 90ern, zumeist via Frankreich, zu einem wirkungsmächtigen Nebenarm des transkulturellen Black Atlantic geworden, der viel und spannendes Neues aus dem Maghreb und dem Afrika südlich der Sahara brachte. Aktuell jedoch wird es vor allem leider zum neuen maritimen Massengrab für Schwarze und andere Flüchtende vor den Ufern der sich zunehmend abschottenden ’Festung Europa’.

Gute Politik bedarf auch der Visionen und Utopien, um überhaupt Alternativen zur realpolitischen Routine entwickeln zu können. Dementsprechend kann unter anderem auch die Figur Cyborg nicht nur helfen, essentialisierende und determinierende Zuschreibungen der Hautfarbe zu unterlaufen, sondern vermag vielleicht auch weiterhin oder erneut als Denkmodel im Interesse einer gleichberechtigteren und gerechteren Welt zu fungieren; auch mehr als 30 Jahre nach seiner Veröffentlichung erscheint diesbezüglich das feministische und politisch dezidiert linke „Cyborg Manifesto“ von Donna Haraway nach wie vor als lesens- und bedenkenswert. Gerade die Situation Afrikas und dort lebender Menschen macht deutlich, dass eine bessere Welt nicht nur möglich sein sollte, sondern schlichtweg auch bitter nötig bleibt. Kunst und Musik sind geeignet, auch Derartiges zu artikulieren oder anzudeuten und dadurch nachvollziehbar oder zumindest erahnbar zu machen. Sie laden aber auch stets aufs Neue zum ästhetischen Genuss, Entdecken und Erleben ein.

Flyer_Afro-Tech_Fest_c_KoeperHerfurthDas Afro-Tech-Fest findet vom 20.10 bis 28.10 in Dortmund statt.
Unter anderem treten Mike Huckaby, Kapwani Kiwanga, Jace Clayton, Kondi Band, Luka Productions, Nídia, Nkisi, Lamin Fofana und DJ /rupture auf. 

Zur weiteren Lektüre empfohlen:
– Diedrichsen Diedrich (Hg.), Loving The Alien: Science-Fiction, Diaspora, Multikultur, Berlin 1998.
– Eshun, Kodwo, Heller als die Sonne: Abenteuer in der Sonic Fiction, Berlin, 1999.
– Special Issue on Afrofuturism, Dancecult 2/2013, unter: https://dj.dancecult.net/index.php/dancecult/issue/view/50
– Harraway, Donna, Ein Manifest für Cyborgs (1985), unter: http://www.medientheorie.com/doc/haraway_manifesto.pdf

 

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