Answer Code Request

Der unaufhaltsame Aufstieg von

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Patrick Gräser by Sven Marquardt


„Jetzt geht es richtig los!“ hat Patrick immer zu mir gesagt. Und er flüsterte in diesen Momenten, wie um einen Zauber nicht zu zerstören. Er sagte es vor den ersten Gigs im Watergate, den ersten 12-Inches und natürlich bei den ersten Berghain-Auftritten und zu seinem ersten Album “Code”. Er sagte es bei den ersten gut verbreiteten Mixtapes bei Slam Radio, Fabric und XLR8. Bei seinem ersten Boilerroom. Und er sagt es auch jetzt noch, wo “Neume”, seine zweite EP auf Ostgut Ton grade draußen ist und eine USA Tour bevorsteht.

Dieses unerschütterliche Selbstvertrauen hat mich immer beeindruckt. Das war keine arrogante Selbstverliebtheit. Sondern die Einsicht, dass die Musik der einzige Weg für ihn ist. Es war das Vertrauen, dass es klappen wird. Dass irgendwann aus Patrick Gräser ein Musiker werden würde. Dass er zu sich finden, seinen eigenen Sound schaffen und von der Kunst leben könnte.
Patrick und mich verbindet eine lange Freundschaft. Wir waren viele Jahre Mitbewohner, haben zusammen Musik gemacht, aufgelegt, gefeiert und gearbeitet. Wir haben auf Festivals zusammen Künstler betreut. Wir standen vor jenen Bühnen, auf denen er jetzt selber steht.

Und immer war für ihn klar: sein Platz ist der Club. Sein Raum die Musik. Er hat alle möglichen Jobs gemacht, um sich durchzuschlagen: Tische geschleppt, Drinks gemixt, als Schreiner gearbeitet, Informatik studiert, DJ Unterricht gegeben. Von heute aus betrachtet alles nur Zwischenschritte auf dem Weg zum Künstlerberuf.

Vom Skateplatz in die globalen DJ Charts

Kurz vor dem Release seiner neuen EP „Neume“ treffen wir uns. Wir haben unsere kleinen Kinder dabei und versuchen rückblickend jenen Augenblick zu bestimmen, an dem es „richtig los“ gegangen ist. Wir lassen alles Revue passieren, die langen unsicheren Zeiten und ich frage ihn: „Wenn du immer so sicher warst, hast du wirklich niemals gedacht, dass du doch ein Leben mit normalen Jobs führen musst?“

Er denkt nach, dann fällt ihm eine Szene ein: „Einmal stand ich hinter der Bar, auf einem Catering-Job. Ich war ganz alleine und plötzlich stürmen 20 Gäste auf mich los, um Cocktails zu bestellen, von denen ich keine Ahnung hatte. Mir gegenüber stand der DJ und legte auf. Eigentlich hätte ich da oben stehen müssen! Das war der Augenblick, wo ich wusste: ich kann keinen 9-to-5-Job machen. Ich muss Musik produzieren und auflegen. Ich wusste ja auch, dass ich es kann. Es hat halt eine Weile gedauert.“

Die Liebe zur elektronischen Musik und zum Auflegen begann früh, schon als Teenager kaufte Patrick Drum’n’Bass Platten und legte auf kleinen Parties auf. Er und Marcel Dettmann, der inzwischen populärste Berghain-Export, sind Freunde aus diesen Jugendtagen. Mit 16 trafen sie sich auf dem Skateplatz in Fürstenwalde bei Berlin. Immer waren sie in Kontakt, Patrick hat ihm Tracks gezeigt und von Marcel gelernt. Bis die Zeit reif war und der ihm vorschlug, vier Tracks als EP auf seinem eigenen kleinen Label zu veröffentlichen.

Das Geheimnis, das er und Labelboss Dettmann aus der ersten ACR EP „Subway Into“ gemacht haben, hat dabei durchaus geholfen. Keiner wusste, wer hinter dem Projekt steckt und in den einschlägigen Foren wurde wild spekuliert. Eher aus der Not geboren war diese Strategie, man wusste eben nicht, was daraus wird und wollte sich daher ein bisschen bedeckt halten. Als der Burial-artige Track „Escape Myself“ dann fulminant einschlug, wirkte die Mystik wie ein Verstärker– jeder wollte wissen, wer dahinter steckt und erst nach einem halben Jahr wurde das Geheimnis in Chris Liebings Podcast gelüftet.

Es folgten weitere EPs und das Album „Code“, auf dem er seinen Ansatz zwischen Techno und Ambient, Dubstep, Breaks und filmmusikartiger Atmosphäre in ganzer Breite ausführen konnte. Autechre schimmern da durch, Basic Channel, Future Sound of London.
Jetzt hatte er es wirklich geschafft: Patrick ist Resident DJ im Berghain, wird vom Ostgut Ton Booking gemanagt, hat jedes Wochenende Gigs in ganz Europa und gerade eine Asientour absolviert. Langsam, aber stetig arbeitet er sich in die globale Elektro-Elite, immer einen Schritt nach dem anderen. Symptomatisch dafür ist seine erste Top 100 Platzierung in den Resident Advisor Charts. Auf Platz 99 – 99, von allen Plätzen!

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Patrick Gräser by Sven Marquardt

Seine Sets werden nach Stunden immer intensiver

Für mich kam sein künstlerischer Durchbruch mit der Answer Code Request-Werdung. Als er sich diesen Namen aus der Übertragungs- und Militärtechnik gab und einen eigenen Sound fand. Vorher war Patrick ein guter DJ, ein vielseitiger Produzent – aber er stach nicht wirklich hervor. Ab diesem Moment jedoch wurde er wiedererkennbar: er wurde zur Marke – einer, die Fans auf der ganzen Welt hat.Sein Markenzeichen: Breaks und ruhige Passagen, die sich seltsam unaufgeregt auflösen. Die nicht technotypisch in einem fulminanten Drop explodieren, sondern intensiv weiter mäandern und treiben. Wie beim Titeltrack der EP „Neume“. Es dauert eine ganze Weile bis die Bassdrum wirklich da ist, ohne dicken Wumms schleicht sich langsam herein. Für die Stimmung im Club entfaltet das eine ganz eigene Magie: keine schnellen Orgasmen, sondern im Gegenteil ein immer stärker werdendes Gefühl.

Ich finde, als DJ macht er das genauso. „Eigentlich ist deine Karriere wie deine Sets“, sage ich zu ihm.
“Ach? Wie sind denn meine Sets?“
„Na, sie schrauben sich so nach vorne, werden immer intensiver. Die Spannung fällt eigentlich nie ab. Es gibt auch nicht viele Breaks und wenn dann mal eines kommt, ist das umso geiler. Du baust die immer so schön auf, ganz langsam geht es immer weiter nach oben.“
„Ja, das ist wichtig, man muss doch eine Geschichte erzählen! Ich finde das immer ganz schlimm, wenn man früh im Club ist und der DJ ballert direkt los, ohne Intro, nichts. Man muss die Leute mitnehmen.“

 

Der Punkt, an dem es wirklich „los“ ging, überrascht

Also die lange Linie, keine einschneidenden Punkte. Weder in den Sets, noch in der Karriere. Ich will es jetzt mal konkret von ihm wissen. „Patrick, wann ging es denn nun wirklich richtig los? Wann war der Zeitpunkt, an dem du wusstest, dass du jetzt Profimusiker bist?“ Eindeutig kann er es nicht sagen, aber: „In meinem ersten Jahr als Ostgut Ton DJ musste ich mich erst noch beweisen. Ich war noch nicht an das Rumfliegen gewöhnt, sondern lernte lernte noch damit umzugehen – und ich war noch am bangen und hoffen,  dass die Clubs mich mögen, dass sie mich wieder einladen.“ „Und bist du dir jetzt sicher? Würdest du sagen, du hast es geschafft?“ „Nein, total sicher bin ich mir natürlich nicht. Ich versuche einfach, immer wieder richtig gut aufzulegen, gute Musik zu machen, mich herauszufordern. Und nett zu allen zu sein. Es gibt viele arrogante Leute da draußen. Ich genieße alles, was mir passiert. Aber ich weiß, dass das nicht selbstverständlich ist. Und ich habe noch musikalische Ziele. Ich würde gerne mal Filmmusik produzieren, in Lateinamerika spielen und natürlich will ich auch eine zweite LP herausbringen.“

Inzwischen krabbelt meine kleine Tochter auf das Sofa und mir kommt ein Gedanke. Mir fällt ein Ereignis ein, das Patricks Karriere mindestens ebenso beeinflusst haben könnte wie die erste EP und die Aufnahme ins Ostgut Ton Booking: die Geburt seines Sohns.
Sein Leben änderte sich komplett. Seine Frau zog aus Singapur nach Berlin, auf einmal wohnten sie als Familie zusammen, ganz neue Dinge wurden wichtig. “War das vielleicht der entscheidende Punkt?” „Ja, das kann sein! Auf jeden Fall. Ich wusste, dass ich mich jetzt fokussieren muss auf die wichtigen Dinge. Weniger weggehen, gut planen, sich konzentrieren. Die Geburt fiel auch genau zusammen mit der Aufnahme in die Ostgut Ton Bookingagentur.” “War das Zufall?” “Ich würde sagen: Schicksal.“

Und so schließt sich der Kreis. Wo andere der Musik den Rücken kehren, wenn sie Eltern werden, „etwas Vernünftiges“ machen, ist es für Patrick der Schritt ins Ernsthafte, ins Berufsleben. Wo für andere das „wilde Leben“ damit vorbei war, ging es für Patrick erst „richtig los.“
Das ist vielleicht ein Ratschlag an die jungen Nachwuchs-DJs: Werdet Eltern, dann klappt es auch mit der Karriere!

Bald wird er übrigens zum zweiten Mal Vater. Die Top 50 können also kommen- mit dem Einstieg auf Platz 49, und dann immer schön langsam weiter nach oben.

 

Die Neume EP ist am 24.06. auf Ostgut Ton erschienen, als 12-Inch und digital erhältlich.

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