Daso Franke

24. Mai 2018,

Daso
In der Nacht bevor Daso starb war ich aus. Im Studio 672 legte Courtesy auf und irgendwann in den frühen Morgenstunden zückte ich mein Handy und nahm ein kurzes, wirres Video auf: Lichtblitze, eine wunderschöne Melodie und die glücklichen Laute von glücklichen Tänzer_innen, und schickte dieses – einem geradezu kindlichen, den leider viel ernsthafteren Beat der Welt ignorierenden Impetus folgend – an Dasos Freundin mit den verzweifelt-euphorischen Worten: „Wir tanzen die ganze Nacht für Daso. Sending love and peace to him.“

Vier Tage zuvor hatte ich ihn noch einmal in Berlin in der Klinik besucht. Es war kein leichter Besuch gewesen. Denn genaugenommen war schon klar, dass es diesmal nicht mehr gut ausgehen würde (nachdem er sich mit seinem unglaublichen Lebenswillen doch schon einmal herausgekämpft hatte aus dem Abgrund der Krebserkrankung), aber natürlich will man das nicht wahrhaben.
Daso lag in seinem Einzelzimmer und von einer Anlage in der Ecke aus lief Musik – seine Musik. Außer mir war niemand da. Und da mir das Sprechen nicht leicht fiel, kommunizierten wir hauptsächlich mit den Augen und hörten gemeinsam Musik. Plötzlich legte sich die Schwere der Situation, alles schien so friedlich.

Genau an diesen kurzen Moment der gemeinsamen Schwerelosigkeit musste ich in dieser Nacht im Studio auf der Tanzfläche denken. Das wollte ich mit ihm teilen. Er sollte sich bei uns fühlen. Anwesend auf der Tanzfläche, die ihm so viel bedeutet hat.

Am nächsten Morgen wachte ich mit schlechten Gewissen auf. Warum hatte ich nur die Nachricht geschrieben? Sowas kann man doch nicht machen – oder doch? Es fühlte sich irgendwie richtig an, aber wie so oft im Leben war da diese Angst, dass das, was man selbst für richtig hält bei dem Anderen / den Anderen falsch ankommt. Sehr oft machen wir deswegen Dinge nicht. Ob das besser ist?

Ich setzte Kaffee auf. Dann machte ich das Handy an. Eine neue Nachricht wurde angezeigt:
„Daso has passed 13:30. On a beautiful, sunny, and crsip Easter Monday. We listend to Meine with him before his last breaths.“

Es gibt diesen Satz, der uns allen in so einem Moment kommt und der besagt, dass es besser für die Person sei, dass es nun vorbei ist. Und ja, das mag auch stimmen. Aber trotzdem ist es kein Trost. Es ist eine unglaubliche Ungerechtigkeit, immer wieder aufs Neue, wenn gute Menschen, die niemanden Böses wollten und der Welt und den Mitmenschen mit offenen Armen begegneten, wenn solche Menschen viel zu früh gehen müssen.

Daso war so jemand.

Ich weiß gar nicht so genau, wann ich ihn kennengelernt habe. Es muss im Sommer 2004 oder so gewesen sein. Plötzlich war jedenfalls dieser aufgewühlte Junge in Köln präsent. Immer öfters auch im Einzugsbereich unserer Clique. Wenn man Abends zwischen Sixpack, Barracuda Bar und Studio 672 etwas trinken ging oder später in den Club, dann tauchte er meist schnell auf. Daso hatte ein Naturell, dem man sich nicht entziehen konnte. Er war auf eine sehr ungewöhnliche Art und Wesie präsent. Ich erinnere mich an einige Nächte, wo es dann auch mal reichte, einfach da ihm im Taumel der eigene Lebendigkeit manchmal das Gefühl für das Ende der eigenen Zone und den Beginn der des Anderen fehlte. Aber das war gerade das Besondere an Daso, er stolperte in die Welt mit einem ewig großen Herzen und all diese Gefühle wollten geteilt werden.

Da passte es nur sehr gut, dass schnell klar war: dieser special character ist Musiker – und ein extrem guter zudem. Das hatte sich auch zu meinem Freund Jens Friebe rumgesprochen, der dringend einen Produzenten für sein zweites Album „In Hypnose“ suchte.
Ich zitiere an dieser Stelle Jens von seiner Homepage, wo er die Entstehungsbeindunen des Albums von erinnert:

„… Ich hingegen musste mit einem Zettel, auf dem „Daso Franke, Elektromusiker“ und eine Adresse stand, nach Köln reisen. Ein Bub, er mag in seinen späten Zehnern oder frühen Zwanzigern gewesen sein, öffnete mir eine Luke in Mühlheim. Es war immer schwer zu erraten, was in ihm vorging, da eine dicke, beschlagene Brille seine Seele verdeckte, aber eines kann ich euch sagen: Diese jungen Leute bedienen ihre Maschinen nicht – sie sind ihre Maschinen. Zwischen Klangwunsch und Klang lag für dieses posthumane Fabelwesen nie mehr als ein müder Mausklick. Nur als ich ihn bat, aus meiner antiken Groovebox einzelne Spuren in seinen Rechner zu transportieren, verdüsterte sich seine. MIDI ist für einen modernen Musiker in etwa so was wie Meißel und Steintafel für einen modernen Journalisten. Nach 12 Stunden Midi schlug Daso eine Straßenlaterne kaputt und verletzte sich schwer. zum Glück war dank seines jungen, wie besessen neues Gewebe produzierenden Körpers, am nächsten Tag alles wieder gut. Genau wie bei mir. Ich hatte soweit alle Zutaten am Start…“

Zur gleichen Zeit ging es dann auch mit seinen ersten eigenen Veröffentlichungen los. Gleich die erste ein veritabler Hit: „Daybreak“, erschienen auf dem Kölner Label My Best Friend. Zwei Jahre später erschien dann „Meine Idee“ auf dem Ghostly International Schwesterlabel Spectral Sound – inklusive „Meine“, einem Track wie er einem nicht oft gelingt, zugleich euphorisch und mit allen Attributen eines Rave-Klassikers, aber eben auch melancholisch-nachdenklich. Das beste aller Welten.

Ich wollte diesen Nachruf auf Daso bereits am Ostermontag geschrieben haben, aber ich schaffte es nicht mal annähernd an den Schreibtisch. Selbst über einen Monat später als Daso beerdigt wurde, unternahm ich nicht mal den Versuch. Es ging einfach nicht.

Mittlerweile schreiben wir den 24. Mai. Daso ist bald zwei Monate tot und ich habe die letzten Tage viel seine Musik gehört. Das ging parallel mit dem Schreiben dieses Textes los. Ich weiß gar nicht mehr ob ich zuerst den Impuls zum Schreiben oder zum Hören spürte, wahrscheinlich war beides eins.

Ich erinnere mich noch gut, wie mir jemand in der Nacht als der Tod des Kölner Technoproduzenten Christian Morgenstern bekannt wurde, alle Sentimentalitäten quasi verboten hat, mit der Ansage, Christian sei ja tot und könne nicht mehr spüren. Es ginge also nur um einen selbst bei dieser Trauer und Wut. Ja, das mag sein, dachte ich damals, aber halt doch trotzdem einfach dein blödes Maul. Und zwar weil dieses sich Fallenlassen in die Sentimentalität, die der Tod ins uns auslöst, das ewige und unauflösliche Hadern mit der Ungerechtigkeit der Natur, weil das alles wichtig ist, einfach da es eben doch nicht nur um uns geht, sondern im Einklang mit der Person geschieht, die uns da gerade (auf einer Ebene) verlassen hat. In diesen Erinnerungen steckt so viel Warheit und Liebe und an diese haben wir nicht nur das Recht uns zu klammern, wir sollten es unbedingt tun.

Die Musik ist ein unendlicher Verstärker dieser Erinnerungen. Jetzt gerade läuft „Ride Tide“, eine der vielen melancholischen Hymnen, die Daso geschrieben hat, die eben weit mehr als den einfachen Pathos des Clubs in sich trugen, sondern auch viel von seinem wachen und intellegenten und liebevollen Blick auf die Welt. Man achte nur auf die spacigen Kometen, die durch den Soundraum zischen oder diese seltsamen Rasseln.

Für Jens hat Daso für das von mir und Markus Tomsche betriebene Label Scheinselbständig mal einen Remix von „Gespenster“ produziert. Ich mochte den Mix immer sehr, da in ihm – noch deutlicher als bei der gemeinsamen Albumproduktion für „In Hypnose“ – Jens wunderbare Art mit Worten umzugehen und zu singen mit Dasos Gespür für Melodie und Rhythmus zur Geltung kam. Für mich klingt das Stück wie aus dem Soundtrack zu einem Film von Rainer Werner Fassbinder Film. Irgendwo in der Tiefe einer Bar, in der schon lange kein Glück mehr präsent ist, spielen zwei gegen den Weltuntergang an.

Daso hat bis kurz vor seinem Tod noch Musik gemacht. Er wollte das Album „Chemo Cat“ nennen. Ich versuchte ihm, als wir im vergangenen Sommer zuletzt darüber sprachen, das auszureden, da ich nicht wollte, dass es nach dem Erscheinen immer nur um die Krankheit gehen sollte. Damals hatte er gerade die erste Chemo erfolgreich überstanden und alles wirkte so, als ob die Dinge sich gut entwickeln. Es kam leider anders.

Daso Franke ist am 2. April 2018 um 13:30 Uhr verstorben.

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