"Ich habe keine Ersparnisse" - Kleines Krisengespräch mit Athen

Deutsch-Griechische Freundschaft

Wenn die Timeline mittlerweile selbst zur Griechenlandkrise geworden ist: Links, Memes, Meinung, Youtube-Clips mit Schäuble, Merkel und Böhmermann. Selbst meine Mutter meldet sich zu Wort. Jeder vermittelt das Gefühl, genau zu wissen, was los ist. Aus der gesammelten Empörung hier könnte man jeden Tag zwei neue Protestparteien hochziehen.

Das Thema bewegt mich selbst natürlich auch. Allerdings kommt es mir so elend anmaßend vor, wie andauernd über „die Griechen“ geurteilt wird. Mitunter wirkt selbst die Front gegen die Sparmaßnahmen gar nicht so wirklich interessiert an „den Griechen“ – sondern ist eher der Verkürzung, ja, der eigenen Ideologie verpflichtet. Okay, why not? Aber bei mir weckte dieser mediale Overkill den Wunsch, einfach mal die Stimme von einem Menschen aus Athen zu hören. Und nicht ausschließlich nur Vermittlern von Informationen und Meinungen zuzuhören. Diesem Bedürfnis kam ich jetzt nach.
Ich habe mit meiner Freundin Reta aus Athen ein Gespräch geführt – abseits von Alarmismus und Aufgeregtheit. Es geht nicht darum, deep in Finanz- und Schuldenpolitik zu wühlen, es geht nicht darum, das Thema debil zu emotionalisieren – es geht mir einfach darum, unmittelbar zu erfahren, wie es am anderen Ende dieser auf die Menschen umgelagerte Kapitalismuskrise (huch, ist ja auch schon wieder sehr ideologisch formuliert, sorry) gerade aussieht. Damit man nicht verrückt wird in diesem Propaganda-Krieg. In den Neunziger Jahren habe ich in Darmstadt studiert, das war nicht gerade ein großer Step, immerhin kam ich aus einem kleinen Dorf, Maintal, das war vielleicht 40 Kilometer von der Darmstadt („Das Einkaufsparadies am Tor zum Odenwald“) entfernt. Ungleich weiter die Anreise von einem Mädchen, das in der allerersten Vorlesung neben mir saß. Reta stammt aus Athen und ist sehr schlau und cool. Wir haben uns angefreundet und waren über ihre Zeit in Deutschland hinweg sehr close, Ende der 90er ging sie zurück nach Griechenland. Jetzt haben wir uns mal wieder gesprochen. 

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Reta, circa 1998 in Hamburg im Pudel-Club.

Hallo Reta, wie geht es dir gerade?
Mir geht‘s gut. Danke.

Zum besseren Verständnis, was ist dein Job in Athen, was sind so deine Lebensumstände?
Ich arbeite als Lehrerin an einer deutsch-griechischen Grundschule. Es ist eine private Schule im Süden von Athen. Ich wohne mit meinem Hund im Norden der Stadt.

Warst du heute in der Stadt? Was ist los in Athen dieser Tage?
Nun ja… die Menschen sind größtenteils schockiert. Andererseits zeichnet sich bereits eine starke Polarisierung ab. Es gibt „uns“ und die „anderen“. Die letzten Jahre war die Situation schon kritisch genug, aber die, die von den Sparmaßnahmen nicht direkt oder ganz hart betroffen waren, dachten sich, dass es dabei auch bleiben würde. Also Hauptsache ich hab noch einen Job und ein Dach überm Kopf.

Hast du denn Geld auf der Bank, wenn ich fragen darf? Hast du es versucht abzuheben?
Ich habe noch 700 Euro auf der Bank. Meinen Lohn für Juni. Ersparnisse habe ich keine. Nein, ich habe nicht versucht, es abzuheben.

Wo spürt man im Alltag die Auswirkungen der “Krise”?
Wo und wie ist das öffentliche Leben beeinträchtigt? Nun, es gibt mittlerweile viele Leute aus dem Bekanntenkreis, die entweder ihren Job verloren haben, oder zurück zu ihren Eltern gezogen sind, oder auch für 400 Euro im Monat arbeiten und sich auch glücklich schätzen, nicht arbeitslos zu sein. Es gibt auch viele, die ihren Job behalten haben, aber nicht mehr bezahlt werden. Sie gehen weiterhin zur Arbeit in der Hoffnung, dass ihr Arbeitgeber irgendwann in der Lage sein wird, sie zu bezahlen. Generell gilt, ich tue alles, was vom Arbeitgeber verlangt wird, denn „draußen“ stehen die Arbeitsuchenden Schlange.

Du kennst Deutschland ja sehr gut – wie denkst du heute über “die Deutschen”?
Meine Meinung hat sich nicht geändert. Es gibt solche und solche Deutsche, so wie es auch solche und solche Griechen gibt.

Ist ein Ausstieg aus dem Euro für die Menschen in Athen ein “worst case” oder denkt man mittlerweile “why not”?
Wie gesagt, die Menschen sind gespalten. Manche befürchten, dass durch einen Ausstieg aus dem Euro Griechenland sich zu einem Dritte-Welt-Land verwandeln wird, andere denken, wieso denn nicht, schlimmer kann es ja nicht werden.

Wie denkst du über die Regierung “Tsipras”?
Ich habe sie gewählt und es bis heute nicht bereut.

Du hast in Deutschland studiert, bist dann aber wieder zurück nach Griechenland? Warum eigentlich? Würdest du es unter den Umständen der jüngsten Entwicklungen wieder so machen?
Ich bin aus persönlichen Gründen zurückgekommen. Und das hätte ich nicht machen sollen. Hat aber nicht direkt mit den jüngsten Entwicklungen zu tun. Griechenland war ja immer ein Land, wo persönliche Beziehungen eine große Rolle gespielt haben. Um beruflich vorwärts zu kommen, muss man nicht unbedingt gute Leistungen vorweisen können. Egal wie gut man ist, in dem was man tut, wenn man nicht von jemandem empfohlen wird, hat man keine Chance.

Sind deutsche Touristen eigentlich noch gern gesehene Gäste bei euch – falls sie das je waren…?
Soviel ich weiß, ja. Mein Vater arbeitet in der Tourismusbranche, und die Deutschen waren ja immer gern gesehene Gäste und ziemlich beliebt. Das hat sich nicht geändert.

Was möchtest du den Leuten in Deutschland sagen?
Sie sollen nicht alles glauben, was ihnen von den Medien präsentiert wird. Vom Geld der deutschen Steuerzahler haben hauptsächlich die Banken profitiert. Die Mehrheit der Menschen hier arbeitet viel, zahlt ihre Steuern und leistet Beiträge für die Gesellschaft.

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Der Autor und Reta auf einer privaten Feierlichkeit in Südhessen, circa 1996.

 

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