Laid Back

„Es ist so unentspannt, wenn die Uhr tickt“

LAid Back3„Laid Back / Laid Back / Laid Back, we’ll give you: Laid Back!“ – mit diesen Zeilen empfing mich 2005 ein Remixauftrag der britischen Popgruppe Hot Chip. Ihre Steilvorlage brachte mich auf die verstiegene Idee, diesen schönen, kleinen, rappeligen Song namens „Over And Over“ per Zitatlego mit der Bassline von „White Horse“ und der Akkordprogression von „Bakerman“ zu kombinieren, meinen Lieblingshits eines enigmatischen dänischen Pop-Duos. Es funktionierte fast wie von selbst, ohne schnöde Samples wohlgemerkt, eher Malen nach Zahlen. Und vielleicht ist das ein Beleg für die entwaffnende Universalität der Musik von Laid Back.

Hot Chip meinten übrigens etwas ganz Anderes mit diesen Zeilen, denn „Over And Over“ preist die Repetition im Sinne des Duracell-Äffchens, und „Laid Back“ – als Gegenteil davon – bezeichete ja auch einmal einen extrem scheußlichen Musikstil von J.J.Cale bis Eric Clapton, der in seiner saturiert-heterosexistisch-stoned’en Westcoast-Selbstzufriedenheit Erzfeind jedes klaren Geistes sein musste und ist; teilweise ist dieser als Yacht Rock aktuell wieder salonfähig, wohlgemerkt, ich rede nicht von Fleetwood Mac oder den Alessi Brothers. Und, dazu später mehr: Laid Back sind noch viel zurückgelehnter.

Im Sommer 2016 führe ich nun also im heiligen Kaput-Auftrag ein visuelles Ferngespräch mit John Guldberg und Tim Stahl in ihrem Kopenhagener Studio. Als Laid Back firmieren die beiden zwar erst seit 1980, sie arbeiten allerdings bereits seit den frühen 70ern zusammen und ihr Studio (schönster Stil, leicht verranzt, klassisches fettes Board und Analog-Synth-Gearporn galore) teilen sie schon seit 1975. Bis zu ihrem plötzlichen internationalen Durchbruch 1984 hatten sie also viel, viel Zeit. Offenbar um sich auf das Wesentliche zu reduzieren:

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give me, give me
give me just a little smile
That’s all I ask from you

sunshine
sunshine reggae
don‘t worry
don‘t hurry
take it easy
sunshine
sunshine reggae
let the good vibes
get a lot stronger
<<

 

Als mitteleuropäischer Pop-Adoleszent dieser Dekade schien mir diese omnipräsente 1984er-Sommerpest Ausgeburt desselben Höllenschlundes wie „The Final Countdown“, „Live is Life“, „Don’t Worry, Be Happy“ und anderer Chart-Scheusale. Etwas, das damals der Langnese- oder Bacardi-Werbung gleichkam und in einer Traditionslinie mit den heutigen Kampagnen von ab-in-den-urlaub.de oder dem ZDF-Fernsehgarten steht.

Doch: weit gefehlt!

 

Auf der B-Seite von „Sunshine Reggae“ – dessen schlichte Größe sich mir Jahrzehnte später dann doch noch erschloss – befand sich ein von den in ihren Sangria-mitm-Strohhalm-a-lot-stronger-Goodvibes schunkelnden europäischen Strandgenussamöben unbemerktes Meisterwerk. Weise A&R-Menschen veröffentlichen es in den USA als 12“-A-Seite und so erklomm „White Horse“ 1983 aus dem Nichts die „Billboard Disco Action Charts“ und blieb dort drei Wochen #1, mit späteren Erfolgen auch in den „Hot Black Singles Charts“. Zwei käsige Dänen! So eine legendäre Camouflage gelang fast zeitgleich nur Scritti Politti mit „Wood Beez“, die vor ihrem MTV-Video auch für einen afroamerican R&B-Act und nicht für einen ähnlich bleichen britischen Postpunk-Poststrukturalisten gehalten wurden. Auch epochal: 1984, Prince enttrohnte gerade Michael Jackson, da erschien seine 12“„Let’s Go Crazy“ mit der fulminanten B-Seite „Erotic City“, die frappant an „White Horse“ erinnerte. Jeder DJ, der diese beiden Tracks jemals ineinander gemischt hat, weiß, wie sie verschmelzen und wie man mit allein diesen beiden 12“es zur Not eine komplette Nacht in den kollektiven Wahnsinn treiben kann. Es gibt dazu jede Menge Internetrauschen. Ich habe die beiden direkt fragen können:

„Wie war das denn mit ‘White Horse’ und ‘Erotic City’? Es heißt, ihr hättet mit Prince zusammengearbeitet?“
„Nein, niemals. Wir hatten 1982 neue Kisten, eine Roland 808 und einen Sequential Pro-One und haben die ausprobiert und gejammt, so wie wir es immer tun. Dabei kam ‘White Horse’ heraus.“
„Und, wenn ich fragen darf, ist das denn eine Drogenallegorie? Das („if you wanna ride:“) „Weiße Pony“ als Kokain im Gegensatz zum („don’t ride the…“) „White Horse“ als Speed? So wurde mir das einmal erklärt.“
„Nein. Das „White Pony“ ist Heroin. Wir spielen immer gern mit Worten, und ein Freund, der sowas gerne nahm, hat uns davon erzählt“.

Aha. Was das weiße Pferd ist, erfuhr ich leider nicht. Und ist Heroin nicht zumeist eher bräunlich? Egal, nur die „partental advisory, explicit lyrics“-Worte, die in dem Song vorkamen („Rich? Bitch!“) verwehrten ihm den Einzug ins US-Radio und somit die Billboard Top 100. Angesichts des unermesslichen Erfolgs von „Sunshine Reggae“ in der Alten Welt konnten sich John und Tim nun noch tiefer zurücklehnen.

Als „Titanic“ selbst noch nicht so eklig war, gab es dort meine Lieblingsrubrik „Liste ekliger Wörter“. „Tiefenentspannt“ gehört sicher dorthin. Und „Tiefenentspannt“ ist gar kein Ausdruck für die Geisteshaltung des dänischen Duos. „Don‘t worry, don‘t hurry, take it easy“. Abscheulich. Aber: die meinen das todernst, es ist ihre „message“ („Is that too much?“). Gepaart mit den unwiderstehlich-simplizistisch-fetten und zumeist analog-elektronischen Grooves, die ihre Nonsens-Songs unterlegen, wird das zu einer wirklichen Botschaft, die sie für immer neue Generationen zur „Kultband“ hat werden lassen – die beiden sind inzwischen um die 70 (das neue 50). „No, we do not worry too much and just love to jam“ – feuilletonistischere Statements als solche sind den beiden nicht zu entlocken, und das ist geradezu pazifistisch entwaffnend.

Seitdem gibt es diesen String-Of-Hits-Alben, to little fanfare, mit fluffigen Titeln wie „Why is Everybody In Such A Hurry“ oder „Cosyland“. Ihr Kopenhagener Kumpel Lars von Trier, damals unbekannt, katapultierte sie 1989 aus der zwischenzeitlichen Versenkung in die Stratosphäre und ließ sie mit seinem frühen Dogma-Video zu „Bakerman“ mitsamt aufblasbaren Broten, echten Sängerinnen und dem Laid Back-Basstrommelfell an Fallschirmen fliegen, ohne Aufprall, free floating. Die Legende, das Video sei ein einziger Take, ist eben genau das: „Nein, wir mussten sehr oft springen und es war sehr anstrengend!“.

Eine neue Platte ist weder angekündigt noch wird sie benötigt. Lieber spielen Laid Back hin und wieder einen Gig, wenn ihnen danach ist. So wie kürzlich in Berlin beim By The Lake-Festival.
„Nach eurem großen Erfolg wart Ihr doch sicher in den größten Studios der Welt – und dennoch scheint es, als ob alle Eure großen Erfolge immer aus diesem kleinen Kopenhagener Studio kamen?“
„Wir waren überall, aber es ist so unentspannt, wenn im Studio die Uhr tick, und ja, unsere großen Hits sind alle hier aufgenommen, denn hier ist es entspannt.“.

Ich hätte rein gar nichts gegen eine neue dadaistische Enspannungsübung aus Kopenhagen.

Text: Justus Köhncke

Von unserem Autor ist gerade auf dem Berliner Label Martin Hossbach die „An Alle Ep“ erschienen, die zu verpassen ein großer Fehler wäre.

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